Polen wird mobilisiert

Im Mai habe ich die überraschende Wahl von Andrzej Duda zu Polens neuem Präsident kommentiert:

Im Gegensatz zum Vorgänger Komorowski ist Duda nicht nur russlandfeindlich, er ist auch deutschlandfeindlich. Wer hat ein Interesse daran, eines der wichtigsten Brückenländer zwischen Deutschland und Russland gegenüber beiden feindlich aufzustellen? Und wer hat nicht nur ein Interesse daran, sondern auch die Mittel, einen politischen Nobody unvermittelt zu Polens Präsident zu machen?

EU, dein Ende kommt in Riesenschritten näher. Polen ist vorbereitet worden, jederzeit zu eskalieren, wenn Deutschland nicht nach einer bestimmten Pfeife tanzt.

Seitdem wird Polen weiter politisch mobilisiert. Inzwischen so offensichtlich, dass sogar deutsche Boulevardmedien Alarm schlagen. Duda hat ein Gesetz in Kraft gesetzt, welches das polnische Verfassungsgericht lahmlegt. Gegen offenen EU-Widerstand. Welche Art von Gesetzen plant die neue polnische Regierung, dass sie sich eine derartige Rückendeckung verschafft? Mit einer absoluten Mehrheit hat sie freie Hand.

Polens geopolitischer Rolle habe ich hier ausgeleuchtet. Das ist der Kontext, in dem sich die Tagespolitik verstehen lässt. Polen ist ein stark von den USA kontrollierter Vasall. Polens Zweck ist es, einen Keil zwischen Westeuropa (vor allem Deutschland) und Russland zu treiben. Und das witzige ist, dass die EU diese fünfte Kollone selbst bezahlt hat mit über hundert Milliarden Euro Aufbauhilfe.

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Vitali Klitschko schlägt Diskussionsrunde K.O.

Vitali Klitschko, der Darling der Deutschen, Bürgermeister von Kiew, läuft in Russland gestandenen Comedians den Rang ab.

Schauen Sie sich selbst ein Beispiel an, ich liefere Ihnen die Übersetzung.

Klitschko: Es ist schwer jetzt. Auch sie stehen vor der Frage. Die Frage, die wir begonnen haben… wir haben unser Thema zur Sprache gebracht. Für sie ist es sehr schwer… Wohin sollen sie… Fehl… Vollständiges Fehlen von Informationen… Betrachten… ehhh… über das Gesetz, eins wie… ehhh… Man muss sich klar darüber sein, welche Folgen möglich sind. Und das ist nur der erste Schritt. Und drückt sich klar darüber aus. Wenn wir heute so tun, als ob nichts geschehe und weiter stolz aufmerksam tun, dass nichts geschehe… Weiter können weitere Schritte folgen… Nicht nur bezüglich der Ukraine. Es gibt ein klares Verständnis des gegenwärtigen Situation. Und wir haben… Was war… Wir haben darüber gesprochen. Die heutige Situation, die ist. Und man muss gucken, welche was können wir tun. Was der Ausweg ist aus der gegebenen Situation.

[Ich habe die Fehler mit übersetzt, das sind nicht meine eigenen!]

Moderator: Das ist eine von… Ich würde sagen, das ist eine tragische Situation. Das… Was tun?

Anderer Diskussionsteilnehmer: Fragen Sie mich?

Moderator: Ich frage alle.

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Was tun? Mein Tipp: Merkel fragen, ob es in den EU-Gremien einen weiteren Platz für Politiker gibt, die minutenlang unzusammenhängende Wörter aneinanderreihen.

Schade, dass Klitschkos Perlen in Deutschland nicht gezeigt werden. Die Deutschen haben ein Recht es zu erfahren, weil er mit deutschen Steuergeldern vom Boxer zum Politiker umgebaut wurde.

Vitali Klitschko leitet die Hauptstadt eines 40-Millionen-Staates. Berlin wollte Klitschko – kein Witz – zum Präsidenten der Ukraine machen.

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Die IWF-Zerreißprobe

Der IWF ist seit Jahren mittendrin in einem Machtkampf. Die USA ringen darum, ihre Vorherrschaft über diese Institution zu erhalten. Russland und China kämpfen darum, ihre Einflussmöglichkeiten im IWF auszuweiten.

Aktuell gibt es wieder eine hübsche kleine Intrige um diese Institution. Auslöser (nicht Anlass) ist der 3-Milliarden-Dollar Kredit Russlands an die Ukraine, der dieser Tage fällig wird.

Die Ukraine will diesen Kredit nicht zurückzahlen und beharrt darauf, dass er privat ist. Den Herren der Ukraine ist alles recht, um Russland irgendwie zu schaden. Der IWF blamiert sich bereits damit, die Ukraine auf Druck der USA mit Krediten zu versorgen, obwohl die Kreditwürdigkeit überhaupt nicht gegeben ist.

Am 10. Dezember verkündet der IWF eine Änderung seiner Regularien. Früher konnte keinem Staat Kredit gewährt werden, wenn der Staat pleite war. Die Ukraine ist inzwischen pleite, aber nur “technisch” (das ist schwarze Magie). Mit der Nichtbedienung des russischen Kredites wäre die Ukraine dann formal pleite. Die neuen Regeln erlauben es, Staaten auch dann noch mit Krediten zu versorgen, wenn sie “echt” pleite sind.

Dass der russische Kredit Anlass für die Regeländerung ist, wird gar nicht groß verheimlicht:

The second problem we flagged was that in cases where there is no Paris Club agreement, the Fund’s ability to lend to countries could potentially be held hostage to a particular official creditor who was owed arrears and was not willing to participate in a debt restructuring. In that context, the Fund’s policy at the time would not allow us to go forward and lend, so it was a classic holdout problem, to use the terminology of the collective action sovereign debt literature.

Das beschreibt genau die Situation mit dem russischen Kredit. Russland verweigert eine Restrukturierung seines Kredites. Das stimmt nicht ganz. Formal hat Putin ein außerordentlich großzügiges Angebot der Restrukturierung vorgelegt, aber komischerweise ist der Westen nicht darauf eingegangen und hat lieber so getan, als ob er nichts gehört hätte.

Eine große Hintertür bleibt dem IWF. Die Kreditierung von bankrotten Staaten ist an Bedingungen geknüpft. Bedeutet im Endeffekt, dass der IWF frei entscheiden kann, ob er einen bankrotten Staat weiter finanziert oder nicht. Dass der IWF seine Regeln aufweicht, zeigt aber, dass er dem Druck der USA nachgegeben hat. Das schwächt den IWF, denn es ist ein öffentlicher Akt, der unmissverständlich zeigt, dass der IWF nicht unabhängig ist.

Ein kleiner taktischer Sieg für die USA (strategisch eher ein Verlust). Die Möglichkeit, dass ihr Hund Ukraine Russland beißt, bleibt bestehen.

Dann, am 16. Dezember, nur wenige Tage vor Zahlungsfrist, stellt der IWF klar, dass der russische Kredit kein Privatkredit ist, wie die Ukraine meint, sondern ein Staatskredit. Ein kleiner Sieg für Russland. Vor allem aber ein Signal, dass der IWF bei weitem nicht so willig ist, im Interesse der USA für die Ukraine gegen Russland in die Schlacht zu ziehen. Ein Signal auch, dass der IWF um seine Unabhängigkeit kämpft.

Und nur einen Tag später, am 17. Dezember, geht die Nachricht um die Welt, dass IWF-Chefin Lagarde der Prozess gemacht werden soll, weil sie beim Betrügen geholfen hat. Das Timing ist kein Zufall. Weder die Tatsache, dass Lagarde bis zur letzten Sekunde gewartet hat, bis sie ihre Entscheidung bekannt gab, noch die Tatsache, dass sofort eine Kampagne gegen sie gestartet wurde.

Lagarde ist eine Frau, man kann ihr schwerlich eine Vergewaltigung in die Schuhe schieben, wie man es bei ihrem Vorgänger gemacht hat. Womit sie angegriffen wird, ist ziemlich dürftig. “Nachlässig gehandelt”, “bereits angeklagt”, Staatsanwaltschaft beantragte schon die Einstellung des Verfahrens. Das ist kaum der Stoff, aus dem man eine große Affäre aufblasen kann. Hat die CIA nicht mehr drin in ihrer Lagarde-Akte? Oder ist das nur ein Warnschuss und die Trümpfe werden noch zurückgehalten? Beides ist möglich.

Und worum geht es eigentlich bei dieser Posse? Es geht darum, ob der IWF ausschließlich auf die USA hört und damit seine Bedeutung verliert (aber noch eine Zeitlang den USA dienlich ist) oder ob der IWF genug Eigenständigkeit erlangen kann, um einen relevanten Beitrag bei der Neuordnung der Welt spielen zu können. Die neuliche Aufnahme des Renminbi in den Währungskorb des IWF ist auch Teil dieses Entscheidungsprozesses.

PS: Die Schlacht um den IWF wird öffentlich ausgetragen, aber die Medien berichten derart darüber, dass man nicht erkennt, wer mit wem wofür kämpft und was auf dem Spiel steht. Mit welcher Technik bewirken Medien das?

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Es ist an der Zeit, die Früchte fremder Arbeit zu ernten

Die bevorzugte Kriegsstrategie der USA besteht darin, mit möglichst minimalen Mitteln die schwächere Kriegspartei zu unterstützen und erst gegen Ende des Krieges selbst einzugreifen. Am glorreichsten haben sie das im Zweiten Weltkrieg umgesetzt, als sie zugeschaut haben, wie die Sowjetunion allein und unter größten Verlusten mit Hitler fertig wird. Die USA ignorierten jahrelang die Bitte nach dem Eröffnen der zweiten Front gegen Hitler. Erst Mitte 1944, als der Ausgang des Krieges längst entschieden war und die Rote Armee unaufhaltsam nach Westen rollte, eröffneten die USA die zweite Front, um vom Westen her möglichst große Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die USA haben Europa und Asien sich gegenseitig zerfleischen lassen und am Ende die Früchte eingesammelt. Als Meister der Propaganda haben sie es nicht versäumt, sich auch noch als die entscheidende Kriegspartei in die Gehirne der Massen einzubrennen. Die Europäer glauben heute, dass die USA hauptverantwortlich für die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus waren.

In einem nicht ganz so großen Krieg geschieht gerade jetzt vor Ihren Augen das gleiche Spiel. Die USA unterstützen im gesamten Nahen Osten jeden, der eine Regierung stürzen will. Mit überschaubarem Aufwand stärken sie die schwächere Partei, schauen zu, wie sich eine Schlüsselregion in furchtbaren Kriegen selbst ausblutet und warten. Sie warten, dass der Krieg noch größer wird und noch länger dauert. Der Nahe Osten ist noch nicht so zerstört, wie er sein soll.

Unfreundlicherweise wurden ihre demokratischen Pläne von Russland durchkreuzt. Mit einem kleinen Kontingent von Kampfflugzeugen hat Russland in zwei Monaten eine Wende in Syrien herbeigeführt, nachdem die große von der USA angeführte Koalition über ein Jahr lang keinen Schaden am IS verursachen konnte und nachdem US-Generäle verkündet haben, dass der Kampf gegen den IS noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern würde. Die USA hätten die Wende am liebsten verhindert, aber da es sich nicht verhindern ließ, müssen sie das beste daraus machen. In bester US-Tradition bedeutet es erstens, sich möglichst viel Einfluss in der neuen Situation zu sichern und zweitens, die Welt glauben zu machen, dass es die USA waren, die die Wende organisiert und herbeigeführt haben.

Schauen Sie zu, wie man diese Ziele professionell angeht.

In einem Fernsehbeitrag zum Kampf der USA gegen den IS wird berichtet, dass die USA nun auch die Öl-Infrastruktur des IS bombardieren. Ein Video des Bombeneinschlags illustriert die Meldung. Bloß sieht man auf dem Video die Arbeit der russischen Luftwaffe. Russlands Verteidigungsministerium hatte das Video einen Tag vorher ins Netz gestellt. Das US-TV hat nicht einmal die kyrillischen Buchstaben rausgeschnitten. Auf youtube steht unter dem Nachrichtenbeitrag eine Notiz:

Editor’s note: Due to an editing error, a sequence in this report included footage of Russian air strikes on ISIS oil resources, instead of the U.S. air strikes referenced. Keen observers in the NewsHour audience picked up on the mistake and alerted us to it. The NewsHour regrets the error.

Wie kann man sich einen solchen “Error” denn vorstellen? Der Mitarbeiter der Nachrichtenabteilung soll die Aussage des US-Militärs mit einem Video versehen, geht dazu auf die Seite des US-Verteidigungsministeriums, vertippt sich dabei leicht und bedient sich, ohne es zu merken, auf der Seite des russischen Verteidigungsministeriums?

Und warum hat man keinen Link auf das echte Video eines US-Schlags auf eine Ölfabrik des IS hinzugefügt? Oh sorry, wir haben das falsche Video erwischt, ein zufälliger Fehler. Aber das richtige Video zeigen wir euch trotzdem nicht. Weil… ist doch egal. Millionen Menschen haben den Fake-Beitrag gesehen, aber nur ein paar tausend von ihnen werden auf den Fehler aufmerksam. In der Summe glauben Millionen Menschen, dass die USA gerade aktiv die wirtschaftliche Basis des IS zerstören. So schreibt man sich Russlands Erfolge zu.

Und dann ist da noch das andere Ziel, nämlich größtmöglichen Einfluss in der neuen Situation zu gewinnen. Russlands Entschlossenheit zwingt dazu, das Projekt IS fallen zu lassen. Ein paar Jahre früher als geplant. Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass Frankreich vorprescht und sich an Russlands Seite als Vorkämpfer gegen den IS positioniert. All diese Probleme löst die USA dadurch, dass sie selber vorprescht und sich an die Spitze der Schar setzt. Frankreich ist schon da, Deutschland ist auf dem Weg, Großbritanien hat auch erstmals IS-Ziele bombardiert. Damit sind alle wichtigen US-Vasallen an Bord und es ist nun wirklich möglich, dass die US-Koalition echt gegen den IS vorgeht. Wenn der gerade ohnehin erschossen wird, schießen wir auch drauf und behaupten anschließend, wir hätten den IS umgebracht. Und natürlich besetzen wir möglichst viele Gebiete in Syrien mit eigenen Soldaten oder mit unseren Marionetten.

Die USA organisieren gerade eine Kurdenoffensive im Nordosten Syriens. Das Ziel ist Rakka, die Hauptstadt des IS. Diese Eroberung will man nicht Russlands Koalition überlassen. Zum einen hat die Eroberung von Rakka natürlich symbolischen Wert, den die US-Propaganda maximieren wird, zum anderen braucht die USA für die kommenden Verhandlungen zur Neuorganisation Syriens ein paar Trümpfe in der Hand.

Denkbar ist sogar, dass die USA eine nennenswerte Anzahl von Bodentruppen nach Syrien verlegen, falls die Kurden sich als unfähig für größere Militäroperationen erweisen sollten. Über ehemalige hochrangige Militärs (übliche Vorgehensweise) bereitet man die Öffentlichkeit auf eine solche Option schon einmal vor und positioniert die USA zugleich als Helfer der Notleidenden.

Wie schon im Zweiten Weltkrieg beeilen sich die USA, dem russischen Vormarsch entgegen zu treten, nachdem Russland die Hauptarbeit verrichtet hat und bevor Russland die volle Kontrolle über das Kampfgebiet erlangt.

Offenbar ist es den USA auch gelungen, die sperrische Türkei endlich in die US-geführte Koalition einzugliedern. Die große türkische Dummheit mit dem Abschuss des russischen Kampfflugzeugs war dabei sehr hilfreich. Frankreich hat die Erlaubnis bekommen, seine Flugzeuge vom türkischen Stützpunkt Incirlic zu starten und türkischen Luftraum zu benutzen. Die USA mussten auf eine solche Erlaubnis lange warten und dürfen erst seit August diesen Jahres Incirlic benutzen. Ein spürbarer Wandel der türkischen Hilfsbereitschaft. Die Türkei hat außerdem angekündigt, den vom IS kontrollierten türkisch-syrischen Grenzabschnitt strenger unter Kontrolle zu nehmen. Womit die Türkei Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Der Westen signalisiert Gesprächsbereitschaft, indem es die Türkei reinwäscht von Terroristenunterstützung. Türkei betreibt massiv Ölhandel mit dem IS? Nicht doch! Dabei hat man es vor einem Jahr noch selber ausführlich berichtet. Und sogar gedroht:

“The middlemen, traders, refiners, transport companies, and anyone else that handles ISIL’s oil should know that we are hard at work identifying them, and that we have tools at hand to stop them,” he [David Cohen, the undersecretary for terrorism and financial intelligence] added. “We will target for financial sanctions anyone who trades in [Isis’s] stolen oil.

“We not only can cut them off from the US financial system and freeze their assets, but we can also make it very difficult for them to find a bank anywhere that will touch their money or process their transactions.”

Da drohte ein hochrangiger US-Beamter, man werde harte Sanktionen gegen all jene verhängen, die am Ölhandel mit dem IS beteiligt sind. Man werde dafür sorgen, dass kaum eine Bank auf dieser Welt mit diesen Leuten Geschäfte machen wird.

Aber das ist Schnee von gestern. Vor einem Jahr war Erdogan noch böse. Er verhandelte damals Türkisch Stream mit Russland und ließ die USA Incirlic nicht nutzen. Beides hat sich inzwischen erledigt. Kein Grund also, Erdogan weiterhin mit der Wahrheit einzuschüchtern und demonstrativ ein paar Tropfen davon in die Presse sickern zu lassen. Solange Erdogan tut, was er tun soll, wird man ihn medial decken. Und wenn er nicht das tut, was man von ihm will, hat man genug Material, um ihn wieder auf Linie zu bringen. Die Türkei hat sich verzockt und einen Großteil ihrer Souveränität verloren.

Wie Sie sehen, hat es rund zwei Monate gedauert, bis die westliche Koalition die Zeichen der Zeit erkannt und sich auf einen neuen Kurs geeinigt hat. Pünktlich zur Erntezeit.

Aus militärischer Sicht ist alles schon entschieden. Viel spannender ist im Moment der Informationskrieg. Wird Russland die Erntediebe einfach dulden oder hat es schon die Mittel, etwas gegen sie zu unternehmen? Und noch spannender ist natürlich die Frage, wie der diplomatische Krieg enden wird und wie die Neuordnung des Nahen Ostens aussehen wird. Da versucht sich gerade jeder in die erste Reihe zu drängeln. Sogar Deutschland hat zügig ein halbes Dutzend flugfähige Tornados aufgetrieben.

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Türkei gerät ins Abseits

Gleich vorweg: In der Überschrift heißt es, die Türkei “gerät” ins Abseits – was offen lässt, ob sie sich selbst ins Abseits begibt oder ob sie ins Abseits geschossen wird. Möglicherweise trifft beides zu.

Bereits am 16. Juli 2015 hat crimsonalter tiefe Besorgnis bezüglich der Türkei geäußert. crimsonalter erstellt brillante Analysen und viele seine Prognosen pflegen sich zu bewahrheiten. Ein Indiz dafür, dass er genau die wichtigen Faktoren unter die Lipe nimmt. Der Türkei hat cromsonalter das “Ukraine-Syndrom” diagnostiziert, welches sich zunehmend breitmache. Ein bettroffenes Land hat das Gefühl, geopolitisch unersetzlich zu sein und verhält sich entsprechend großspurig.

Türkei und Ukraine haben gemeinsam, sich an der Schnittstelle von großen geopolitischen Kräften zu befinden. Das hat zur Folge, dass man von allen Seiten und von den wichtigsten Ländern der Welt umworben wird. Man kann die damit verbundene Last leicht als Vorteil fehlinterpretieren und die Partnerschaften überstrapazieren.

Die Türkei ist für Russland, China, die USA und die EU ein bedeutender Partner. Die Türkei hat im Versuch, zwischen den Interessen der großen Partner zu lavieren, ihre Eigenständigkeit weitgehend bewahrt. Vielleicht ist ihr der Erfolg zu Kopf gestiegen.

Als crimsonalter seinen Artikel verfasste, stockte das spektakuläre Pipelineprojekt Türkisch Stream, welches den Gastransit von Russland in die EU von der Ukraine unabhängig und ein gutes Stückweit von der Türkei abhängig gemacht hätte. Statt diese sagenhafte Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und den Deal einzutüten, wollte die Türkei sich noch bessere Bedingungen aushandeln.

Gleichzeitig hat die Türkei ihren anderen großen Partner, China, vor den Kopf gestoßen, indem sie sich zur Schutzherrin einer muslimisch-uigurischen ethnischen Minderheit im Nordwesten Chinas ernannt hat. Chinas nordwestliche Provinz ist eine Problemzone, so ähnlich wie es der Kaukasus bei Russland war. Und wo immer ein großer Staat eine Problemzone hat, sind die USA mit ihren Menschenrechtsorganisationen vor Ort und schüren ethnische und religiöse Spannungen. Die Türkei hat sich leider diesem hässlichen Spiel angeschlossen. Sie hat sogar den chinesischen Botschafter einbestellt, um ihm eine Lektion über Menschenrechte zu erteilen und um auf ihre Unzufriedenheit bezüglich der angeblichen Verletzung der Rechte von Uiguren hinzuweisen. Und das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Türkei im chinesischen Seidenstraßenprojekt als Brückenkopf zwischen Europa und Asien eine sehr wichtige Rolle einnimmt.

Beide Projekte – Türkisch Stream und die Neuen Seidenstraßen – tragen zu wirtschaftlicher Integration Eurasiens bei. Es ist daher in Washingtons Interesse, beide Projekte zu sabotieren.

Angesichts der Tatsache, dass die Türkei es sich gleichzeitig mit Russland und mit China verscherzte, drängte sich der Verdacht auf, dass die Türkei entweder die Orientierung in strategischen Fragen oder aber ihre politische Unabhängigkeit verlor. Die Türkei ist auf russisches Gas und chinesische Investitionen angewiesen und kann beides nicht aus anderen Quellen ersetzen. Wenn man bei klarem Verstand ist und selbst entscheidet, was man tut, pinkelt man in so einer Situation nicht beiden Großmächten ans Bein.

crimsonalter schlussfolgerte, dass Erdogan schleunigst die Macht im Land wieder zentrieren sollte, wenn sein Land nicht ins Abseits geraten sollte. Es ist wichtig, wie diese Aussage formuliert ist: Sie unterstellt, dass Erdogan die Politik im eigenen Land nicht unter Kontrolle hat. Das stimmt auch. Die Türkei hat eine mächtige und sehr aktive, aus den USA gelenkte politische Kraft mitten in der Regierungspartei. Erdogans Partei AKP hat die Wahlen in diesem Jahr überraschend nicht gewinnen können – zufälligerweise nachdem Erdogan bei den USA in Ungnade gefallen ist. Äußere Kräfte rütteln von innen heraus an der Türkei und Erdogan hat alle Mühe, den Laden zusammen zu halten.

Erdogans Außenpolitik sieht eine Ausweitung des außenpolitischen Einflusses vor. Im Visier ist da nicht zuletzt Syrien. Einfluss über die Nachbarländer kann man dadurch vergrößern, dass deren Staatlichkeit reduziert oder gar zerstört wird. Nun waren die USA schon seit vielen Jahren dabei, die Staatlichkeit im Nahen Osten systematisch zu zerstören. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob das Vorgehen der USA der Türkei in die Hände spielt. Die Türkei hat sich der Arbeit der USA angeschlossen, hat sich als Logistikzentrum, Ausbildungsstandort, Erholungsort und Waffenlieferant von Terroristen und anderen “moderaten Oppositionellen” zur Verfügung gestellt.

Strategisch war das keine gute Entscheidung. Das schlimmste daran ist nicht einmal, dass ein Pakt mit Terroristen an sich nach hinten losgehen kann. Das schlimmste für die Türkei ist, dass die USA seit 2006 öffentlich einen Kurdenstaat propagieren, was bei Erdogan gewisse Alarmglocken hätte zum läuten bringen müssen.

Die Mehrzahl der Kurden bevölkert ein Gebiet an der Schnittstelle von Türkei, Syrien, Irak und Iran. Kurdische Autonomiebestrebungen sind in der Türkei ein riesiges Pulverfass. Erdogan musste schon immer sehr viel Energie in das “Kurdenproblem” investieren, um diese Bevölkerungsgruppe unter Kontrolle zu halten. Wenn in direkter türkischer Nachbarschaft ein unabhängiger Kurdenstaat entsteht, verschärft das das türkische Kurdenproblem zwangsläufig. Und zwar nicht zu knapp. Es bedroht die türkische Staatlichkeit, um genau zu sein.

Erdogan und seine Strategen müssen diese Gefahr gesehen haben, sie ist zu offensichtlich. Irgendwas hat sie glauben lassen, dass sie diese Gefahr meistern können. Oder irgendwelche Vorteile schienen noch größer als die Gefahr. Jedenfalls hat sich die Türkei von den USA zum Tanz bitten lassen.

Die Probleme der Türkei begannen nicht erst seit Russlands Militäreinsatz in Syrien. Die Unterstützung der Kurden in Irak und Syrien durch die USA und andere Partner (unter anderem auch Deutschland) war der Türkei durchgehend ein Knochen im Hals und hat andauernd für diplomatische Spannungen gesorgt, Einbestellung des US-Botschafters inklusive. Die türkischen Militäroperationen in Syrien, offiziell gegen den IS gerichtet, trafen in Wirklichkeit fast nur die Kurden. Jeder weiss das, aber die westlichen Partner pflegten das Tuch des Schweigens darüber auszubreiten. Dabei sind die Kurden in Syrien praktisch die einzige große Gruppierung, die neben der regulären syrischen Armee gegen den IS kämpft.

Man könnte meinen, dass es eine paradoxe Situation ist. Während die einen Koalitionspartner die Kurden bewaffnen und ausbilden, werden die Kurden von einem anderen Koalitionspartner zerstört. Vor allem scheint es die Koalition nicht sonderlich zu stören. So paradox ist das aber nicht in einer Situation, in der jeder Koalitionspartner seine eigenen Terroristen in Syrien heranzüchtet und pflegt. Wenn Syrien endgültig zerstört ist, will jeder Koalitionspartner sich ein möglichst großes Stück davon von seinen Terroristen abschneiden lassen. Da in der US-Koalition ausnahmslos alle an diesem Drecksspiel beteiligt sind, kann auch niemand mit dem Finger auf einen anderen zeigen und sich öffentlich beschweren, weil postwendend analoge Anschuldigungen zurückkämen.

In dieser Situation taucht plötzlich Russland auf und verändert die Spielregeln komplett. Der Staat Syrien soll erhalten bleiben, die Terroristen werden eliminiert. Jahrelange türkische Investitionen in den IS und andere Oppositionelle drohen zu einem Totalverlust zu werden. Während im Westen die Zeichen der Zeit erkannt werden und alle fieberhaft daran arbeiten, sich in der veränderten Lage neu zu positionieren (bitte nicht verwechseln mit “plötzlich Moral entdecken”), bleibt die Türkei stur. Vielleicht weil die Türkei am tiefsten drin steckt. Weil es die türkische Grenze ist, über die der IS mit allem versorgt wird, was er zum Leben braucht. Weil es die Türkei ist, die einen lukrativen Ölhandel mit dem IS betreibt. Es hat auch damit zu tun, dass im Gegensatz zum Westen die türkische Spitze dem IS ideologisch nahe steht.

Während Russland schon mitten drin ist im Krieg gegen den IS, fordert Hakan Fidan, der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, dass man den IS als Realität anerkennen und akzeptieren müsse. Fidan plädiert dafür, ein IS-Konsulat in der Türkei zu eröffnen. Er wendet sich übrigens explizit an die westlichen Partner, die er aufruft, Russlands Pläne zur Unterdrückung der islamischen Revolution in Syrien zu vereiteln. Ein türkischer Staatsbeamter von ganz oben positioniert sein Land damit für den IS, gegen Russland, und im Spannungsverhältnis zum Westen. Mit dem IS gegen den Rest der Welt ist nichts anderes als eine geopolitische Isolation. Welche Drogen haben die türkischen Entscheider bei der Wahl dieser Strategie genommen? Eine alternative Erklärung ist, dass sie nicht Drogen, sondern große Geldsummen von gewissen Geheimdiensten eingenommen haben.

Die türkische Isolation hat sich noch verschlimmert, nachdem Russland ein paar diplomatische Fesseln abgelegt hat und nicht nur Militärziele, sondern auch die Wirtschaftsbasis des IS bombardierte. Frankreich schwenkte offen auf Russlands Seite. Jetzt kullerten die türkischen Pläne schon richtig den Bach herunter. Sollte die abgeschossene russische Su 24 die NATO-Staaten wieder auf türkische Seite ziehen, wie Pepe Escobar meint? Das ist eine plausible Erklärung. Sie reiht sich ein in die türkischen Versuche, den Westen gegen Russlands Koalition zu positionieren.

Aber wenn man als NATO-Mitglied ein russisches Flugzeug grundlos und provokativ abschießt, vergewissert man sich doch vorher, dass es von den Partnern korrekt aufgenommen wird? Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass die türkische Spitze die möglichen Folgen ihrer Provokation nicht durchgespielt hat. Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass die türkische Spitze bereit ist, für den IS in eine geopolitische Isolation zu geraten. Das steht in überhaupt keinem Verhältnis zu dem, was die Türkei in Syrien gewinnen kann.

Dass die türkische Spitze blöd geworden ist, ist eine denkbare Erklärung für das, was gerade geschieht. Aber das ist keine gute Erklärung. In der großen Politik ist man nicht blöd, sonst wäre man nicht dort. Wenn es von außen nach Blödheit aussieht, dann sieht man die wahren Gründe noch nicht.

Welche plausiblen Gründe kommen noch in Betracht? Verrat. Äußere Einflüsse. Die Türkei ist kein US-Vasall wie Deutschland, aber wenn es jemanden gibt, der die Türkei lenken kann, dann sind es die USA. Und zufälligerweise sind die strategischen Fehler der Türkei ganz im Sinne der USA.

Türkisch Stream vor dem Aus, China erzürnt, jetzt offene Konfrontation mit Russland begonnen. Je stärker der Konflikt zwischen Türkei und Russland, desto besser für die USA. Teile und Herrsche. Lasse die anderen gegeneinander kämpfen und wenn sie ausgeblutet sind, kommst du als Schlichter ins Spiel und nimmst beide unter Kontrolle. Denken Sie auch an Stratfors Ansage: Die Konfliktherde in Eurasien sind noch nicht verschmolzen. Den USA kann es völlig egal sein, welcher Funke den Großbrand entzündet. Ob es Terror in Paris oder ein Angriff auf Russland ist oder andere Aktionen, die in Zukunft noch kommen werden. Hauptsache, Eurasien brennt.

Die USA hoffen, dass Russland emotional reagiert. Wie naheliegend ist es doch, wenn Russland die Kurden mit netten Spielzeugen versorgt, damit die Kurden den Türken einheizen können. Das wäre eine tolle Möglichkeit, die gefallenen russischen Soldaten zig-fach zu rächen, ohne einen offenen Krieg gegen die Türkei zu beginnen, nicht wahr? Nein, das wäre keine gute Idee. Mit solchen Vergeltungsaktionen würde Russland US-Ziele befördern: Instabilität im Nahen Osten vermehren und zur Entstehung eines Kurdenstaats beitragen.

Wir sind Zeuge eines wahrhaft grandiosen diplomatischen Thrillers. Russland muss reagieren. Erdogan darf nicht einknicken, weil es ihn die ohnehin fragile Stabilität im Inneren kosten könnte. Beide Seiten müssen ihr Gesicht wahren in einer Situation, in der eigentlich nur einer das Gesicht wahren kann. Beide Seiten sind sich bewusst, dass ihre Konfrontation ihnen beiden schadet und den USA nützt.

Was in dieser Situation kommen muss, ist ein diplomatischer Tanz auf der Rasierklinge. Er ist schon in vollem Gange.

Der Westen wirft die Türkei Russland zum Fraß vor. Alle haben sich von der Türkei distanziert. Der Köder für Russland ist ausgelegt. Russland und Türkei wetzen verbal die Messer. Allerdings ist Russlands Spitze weder durch Drogen vernebelt noch verblödet noch von den USA kontrolliert. Die russische Spitze sieht sehr genau, welche Falle ihr gebaut wurde. Was wird Russland tun?

Russland wird die Türkei natürlich bestrafen. Öffentlichkeitswirksam. Aber wirtschaftlich vermutlich in einem erträglichen Ausmaß. Türkeis Dummheit soll sich nicht zu einem langen Konflikt auswachsen.

Russland wird vor allem seine Position im Nahen Osten extrem stark ausbauen. Der Abschuss der Su 24 löst noch mehr diplomatische Fesseln. Wenn man sieht, was Russland jetzt in Syrien macht, dann ist klar, dass bis hierhin alles nur eine Anti-Terror-Operation war. Jetzt ist es richtiger Krieg. Russland hat den syrischen Luftraum faktisch geschlossen für all jene, die Russland nicht wohl gesonnen sind. Russland wird die türkisch-syrische Grenze schließen und sämtliche Lieferungen an den IS zum Versiegen bringen. Die international nunmehr isolierte Türkei kann jetzt nichts dagegen machen.

Seit Wochen verhandeln Russland und USA hart darum, welche Gruppen in Syrien als Terroristen und welche als moderate Opposition einzustufen sind. Viel mehr terroristische Banden werden jetzt auf der richtigen Seite der Liste landen. Wenn sie überhaupt so lange überleben, wie die Verhandlungen um ihren Status andauern.

Was wird die Türkei tun? Wenn sie klug ist, wird sie ihre Strategen enthaupten und die politische Spitze von Verrätern befreien. Der Konflikt mit Russland kann am einfachsten beigelegt werden, wenn Erdogan sich öffentlich entschuldigt. Außenpolitisch wäre das der Weg der effizientesten Schadensbegrenzung. Schadensbegrenzung ist auch das beste, worauf die Türkei derzeit hoffen kann. Wenn die Türkei nicht klug ist, isoliert sie sich weiter. Das wäre der Weg der Schadensmaximierung.

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Wie wahrscheinlich ist ein dritter Weltkrieg?

Lassen wir berechtigte Ängste gleich beiseite. Jenseits der Emotionalität ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit des dritten Weltkriegs nämlich äußerst spannend.

Weltkriege sind eine moderne Erscheinung. Es gibt sie erst seit der Zeit, da die Welt so weit globalisiert war, dass eine Krise in einem zentralen Knotenpunkt der Welt automatisch die gesamte Welt mit hineingezogen hat. Diese Bedingung ist heute natürlich stärker denn je ausgeprägt. Aber das allein ist nicht genug, um einen Weltkrieg auszulösen.

Die nächste notwendige Bedingung ist eine Kräfteverschiebung zwischen den großen globalen Akteuren. Wenn die aktuelle Hierarchie der globalen Spitzenakteure nicht mehr dem echten Kräfteverhältnis entspricht, wächst die Spannung. Die Kräfte wollen neu verteilt werden, aber kaum jemand rutscht freiwillig und kampflos auf der Hierarchieleiter nach unten, auch wenn die reale Kraft nicht mehr für den beanspruchten Platz ausreicht.

Die zweite notwendige Bedingung ist heute auch erfüllt. Die USA sind formal die Nummer eins der Welt, aber faktisch haben sie nicht die Kraft, diese Rolle auszufüllen. Anspruch und Realität driften auseinander. Menschen sind auch nur Tiere. Sie lassen sich nicht lange von jemandem dominieren, der nicht die Kraft dazu hat.

Wenn die großen Tiere einen ernsthaften Machtkampf austragen, bei dem der alternde Pascha vom Thron gestoßen wird, ist das in der heutigen globalisierten Welt unvermeidlich ein Weltkrieg. So scheint es jedenfalls.

Alles ist angerichtet, jetzt braucht es nur noch einen Auslöser. Die Geschichte zeigt uns, dass Auslöser schneller gefunden sind, als es uns lieb sein kann. Ein Attentat löste den Ersten Weltkrieg aus. Eine kleine False-Flag-Operation der Deutschen löste den Zweiten Weltkrieg aus. Wenn die Nerven zum Zerreißen gespannt sind, reicht ein kleiner Funkte, um die Situation zur Explosion zu bringen.

Leider ist auch diese Bedingung in der heutigen Situation erfüllt. Es funkt sogar gewaltig. Die Terroranschläge in Paris wurden als Krieg eingestuft. Krieg gegen ein NATO-Mitglied ist ein Grund, den Bündnisfall auszurufen. In unseren Medien wird das offen beschworen. Der Terroranschlag gegen das russische Passagierflugzeug wurde von Russland als Krieg eingestuft. Wenn Frankreich und Russland herausfinden, welcher Staat hinter den jeweiligen Anschlägen steckt, ist die Versuchung eines Vergeltungskrieges groß.

Und jetzt der Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch die Türkei. Weil das russische Flugzeug 10 bis 15 Sekunden über türkischem Luftraum war – glaubt man den türkischen Angaben der Flugroute. Ein NATO-Mitglied schießt einen russischen Kampfjet runter. Braucht es noch mehr Anlässe?

Die Situation ist wirklich kritisch. Der dritte Weltkrieg wäre tatsächlich unabwendbar, wenn… wenn es keine Atomwaffen gäbe. Besonders wichtig ist dabei, dass es nicht nur Atomwaffen gibt, sondern dass mindestens zwei der großen Tiere so viel davon haben, dass sie selbst im Sterben noch den größten Feind physisch zerstören können. Ich habe hier ausführlich darüber geschrieben. Das Ziel eines Machtkampfes, egal wie brutal es geführt wird, ist es, am Ende den Sieg zu erringen. Die Arsenale von Russland und USA machen es unmöglich, dieses Ziel zu erreichen. Ein Machtkampf zwischen den großen Tieren mittels eines militärischen Krieges wird damit sinnlos, wobei man sinnlos und unmöglich keinesfalls verwechseln sollte.

Die Atomwaffen verbieten einen militärischen Krieg zwischen den Großen, solange die Entscheider strikt rational denken und sich nicht von Emotionen leiten lassen. Atomwaffen verbieten damit auch einen Weltkrieg. Der zwingende Machtkampf, die Neuverteilung der Kräfte, kann dadurch aber nicht abgeschafft werden. Welche Möglichkeiten bleiben in der Doktrin “Dritter Weltkrieg sinnlos” übrig? Zum einen Kriege mit nichtmilitärischen Mitteln – Wirtschaftsrkrieg, Informationskrieg, hybrider Krieg. Hatten wir seit Beginn des Atomwaffenzeitalters reichlich und können wir auch jetzt alles live beobachten. Zum anderen bleiben Stellvertreterkriege als Möglichkeit. Können wir auch live beobachten. Die moderaten Terroristen in Syrien, am prominentesten durch den IS vertreten, vertreten die US-Koalition. Der Staat Syrien vertritt die Russland-Koalition.

Der Angriff der Türkei gegen Russland kann sehr wohl im Rahmen der “Dritter Weltkrieg sinnlos”-Doktrin beantwortet werden. Angefangen über die Unterstützung der Kurden, über das Austrocknen des großen russischen Touristenstroms in die Türkei bis hin zu radikalen wirtschaftlichen Maßnahmen, wie etwa dem Abdrehen des Gashahns (die Türkei bezieht über die Hälfte ihre Gases von Gasprom).

Die Welt steht vor einer echten Zerreißprobe, wie es sie in der Geschichte der Menschheit höchstens seit 50 Jahren gibt. Ich will nicht sagen, dass es das erste mal ist. Die Kuba-Krise ist das bekannteste, aber nicht einmal das einzige Beispiel dafür, dass Atommächte am Rande des Krieges standen. Bisher ist es gut gegangen. Jetzt müssen wir wieder das Experiment über uns ergehen lassen, bei dem geklärt wird, ob unter den neuen, durch Atomwaffen geschaffenen Bedingungen, ein Weltkrieg möglich ist oder nicht. Ein spannendes Experiment. Ein furchtbares Experiment. Der Ausgang ist keinesfalls sicher.

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Russlands Militäreinsatz in Syrien – Teil 2

Im ersten Beitrag wurde die strategische Situation des russischen Militäreinsatzes in Syrien dargelegt.

Seitdem ist lange Zeit nichts überraschendes passiert. Viel taktisches Verhalten, das man mehr oder weniger ausführlich ausleuchten könnte.

Assad war in Moskau zu Gast – seine erste Auslandsvisite seit dem Kriegsausbruch in Syrien. Dieser taktische Zug zementierte Russlands Position. Falls sich im Westen noch immer jemand große Hoffnungen machte, dass der syrische Konflikt mit dem aus dem Ausland herbeigeführten Sturz Assads gelöst wird, wurde ein großer Teil dieser Hoffnungen zu Grabe getragen. Aber diese Hoffnung ist immer noch nicht tot. Beziehungsweise wird sie öffentlich am Leben erhalten, als Verhandlungsmasse.

Putin gab im Anschluss an das Treffen im Fernsehen bekannt, dass er Assad gefragt habe, ob Russland gemäßigte oppositionelle Kräfte in Syrien ebenfalls militärisch unterstützen dürfe, sofern sich solche Kräfte finden lassen. Assad habe zugestimmt. Noch ein taktischer Zug, der die strategische Sachlage zementierte. Die Sachlage sieht nämlich eine Spaltung der syrischen Opposition in den “Block der Vernunftbegabten”, der zu Verhandlungen bereit ist, sich auf die Seite des syrischen Staates stellt und in Zukunft seinen Teil vom Kuchen bekommt; und den “Block der Radikalen”, der für Vernunft nicht zugänglich ist und weiter daran arbeiten wird, Syrien in ein mittelalterlich-feudales System zu stürzen. Putin gab den Vernunftbegabten das Signal, dass ihre Chance auf Rettung jetzt da ist. In der Folge wurde in der Tat eine zunehmende Spaltung syrischer oppositioneller und terroristischer Gruppen beobachtet. Die Front klärt sich, genau wie vorgesehen.

Polittechnologische Feinheiten: Da Putin und Assad eine fördernswerte syrische Opposition vereinbart haben, wird eine solche Opposition bei Bedarf eigens geschaffen, wenn sich in den Reihen der vorhandenen Opposition nichts passendes findet. Ohnehin ist klar, dass in der neuen syrischen politischen Ordnung verschiedene Gruppen größeres Gewicht erhalten werden. Alle diese Gruppen werden pauschal Opposition genannt und alle am Konflikt beteiligten ausländischen Kräfte arbeiten derzeit fieberhaft daran, ihre Kräfte in Syrien für die Rolle der neuen Opposition zu bewerben. Viele Banden und terroristische Vereinigungen werden derzeit umbenannt und reingewaschen. Wenn Syrien Pech hat, schaffen viele dieser Banden die Legalisierung und werden zu einer tickenden Zeitbombe.

Zwischendurch lieferten Fernsehberichte aus Russland den Beleg, dass 95% der eingesetzten russischen Bomben altes billiges Zeug sind, zum Teil schon angerostet. Die westliche Propaganda greift das auf und behauptet, Russland würde ziellos bomben und großen Schaden an ziviler Bevölkerung und ziviler Infrastruktur anrichten. Unter anderem hat Nuland das in die Fernsekameras herausposaunt. Das ist schlicht gelogen, denn wie schon im ersten Beitrag dargelegt, fallen diese Bomben keineswegs ziellos, sondern mit der gleichen Präzision wie selbstnavigierende Raketen. Russland war schon immer groß darin, mit wenig Mitteln extrem viel zu erreichen. Kreativität ist das Zauberwort. Technisch steckt nichts außergewöhnliches dahinter.

Der Informationskrieg ist natürlich eine eigene Erwähnung wert. Der Westen macht, was er immer macht, nämlich konsequent lügen, wenn es um Russland geht. Spannend ist, dass das moderne Russland überraschend souverän auf dem Schlachtfeld des Informationskrieges agiert. Eine in den USA ansässige syrische NGO behauptet, dass in sechs Dörfern Krankenhäuser durch russische Bombardements zerstört wurden? Alle westlichen Medien tröten diese “Nachricht” in die Welt. In der Regel erkennen Sie solche Fakes schon an Begriffen wie “sollen”. “Angaben von NGO xy nach soll Russland sechs Krankenhäuser zerstört haben.” Russland hat nachgeforscht und siehe da: In fünf der Dörfern hat es nie ein Krankenhaus gegeben, im sechsten Dorf steht das Krankenhaus unversehrt, wie frische Satellitenbilder bezeugen. Bei dieser Gelegenheit hat Russland die Militärattaches seiner westlichen Partner versammelt und sie vor laufenden Fernsehkameras aufgefordert, entweder Beweise für die Medienbehauptungen zu liefern, oder aber öffentlich aufzuklären, dass es sich um unbelegte Behauptungen handelt. Russland legt diplomatische Daumenschrauben an die Partner an. Russland verteidigt sich im Informationskrieg.

Die USA springen auf den russischen Syrien-Zug auf, weil sie derzeit keine Möglichkeit sehen, den Zug zum entgleisen zu bringen. Also aufspringen und später versuchen, das Ruder an sich zu reißen. Die USA dürfen nicht außen vor sein, wenn ein Weltkonflikt gelöst wird. Sie müssen in den Reihen derer sein, die den Konflikt lösen und als Weltmacht müssen sie dabei natürlich in vorderster Reihe stehen. Im Moment sind sie in der zweiten Reihe, die Spielregeln bestimmt ein anderer Staat. Aber die USA sind immerhin dabei und stehen nicht außen vor. Alle multinationalen Treffen, die es in den letzten Wochen gegeben hat, sind taktische Manöver, die sich in diesem Rahmen bewegen. Es hat den USA übrigens viel politisches und diplomatisches Kapital gekostet, auf den russischen Syrien-Zug aufzuspringen.

Auf syrischem Boden gibt es keine Überraschungen. Die syrische Armee mit Unterstützung der Hisbollah und iranischer Truppen kämpft sich langsam vorwärts. An der Frontlinie wechseln manche Dörfer und Stellungen häufiger die Seite, aber die Tendenz ist klar. Die syrische Armee geht behutsam vor, weil sie keine personellen Reserven für einen verlustreichen Sturmlauf hat. Russland bereitet den Weg mit Luftangriffen vor.

Ein wichtiges Ereignis war der Absturz des russischen Passagierflugzeugs über Ägypten. Der IS hat schnell die Verantwortung dafür auf sich genommen. In Russland wurde in den Massenmedien kaum darüber spekuliert. Man betrieb Trauerarbeit und beleuchtete den Stand der Untersuchungen. Es bestätigte sich leider, dass es sich um einen Terroranschlag handelte. Moskau hat mit der Veröffentlichung dieses Ergebnisses bis nach dem G20-Gipfel gewartet.

Und jetzt sind wir an einer wirklich spannenden Stelle angekommen. Sowohl Präsident Putin als auch Außenminister Lawrow haben den Anschlag als Krieg eingestuft und sich gemäß der UN-Regularien alle Möglichkeiten der Reaktion offen gelassen, die im Falle eines kriegerischen Angriffs laut internationalem Recht legitim sind. Das schließt den Krieg gegen andere Staaten mit ein. Warum bemüht Russlands Spitze § 51 der UN-Charta? Für den Syrien-Einsatz ist das nicht nötig, der ist schon dadurch legitim, dass die syrische Regierung darum gebeten hat.

Der Anschlag auf das russische Flugzeug befreit Russland von diplomatischen Fesseln. Die Berufung auf den Selbstverteidigungsfall ist die offizielle Verkündigung, dass Russland sich so mancher Fesseln entledigt. Und was genau entfesselt wurde, lässt sich bereits einen Tag nach der offiziellen Verkündigung beobachten.

Russland hat sein Luftwaffenkontingent in Syrien verdoppelt und die Zahl der Einsätze vervielfacht. Russland setzt seine strategischen Langstreckenbomber sowie Kriegsschiffe im Kaspischen Meer und im Mittelmeer ein. Russland setzt vermehrt selbstnavigierende Raketen ein.

Vor allem aber… zerstört Russland jetzt andere Ziele. Plötzlich werden Lastwagenkonwojs mit Erdöl bzw. Benzin vernichtet. Plötzlich werden Erdöllagerstätten des IS vernichtet. Plötzlich werden erdölverarbeitende Fabriken vernichtet. Vorher hat Russland ausschließlich militärische Ziele ins Visier genommen. Jetzt zerstört Russland im Eiltempo die wirtschaftlich-finanzielle Basis des IS. Im Moment geht da mächtig die Post ab.

Hat Russland etwa vorher nicht gewusst, wo sich die Lagerstätten und Erdölkonwojs des IS befunden haben? Selbstverständlich hat Russland es gewusst, genauso wie es alle anderen Akteure schon immer gewusst haben. Dass die westliche Koalition die wirtschaftliche Basis des IS jahrelang unangetastet ließ, ist klar – man zerstört schließlich nicht das Werkzeug, das man sich gebaut hat und noch einsetzen will. Aber warum hat Russland die wirtschaftliche Basis des IS bisher nicht angetastet?

Weil Russland es sich diplomatisch nicht leisten konnte, so weit zu gehen. Russlands Bemühen, in der Syrienkrise alle Parteien an einen Tisch zu bringen – Syrien, USA, EU, Türkei, Saudi-Arabien, Iran, Israel, Irak und andere – führt bei der Masse entgegengesetzter Interessen zwangsläufig dazu, dass jedem Teilnehmer die Hände stark gebunden sind. Niemand kann in einer solchen Konstellation machen, was er will, nicht einmal die USA oder Russland.

Putin und sein Team haben ein außergewöhnliches Gespür für das Machbare. Sie überreizen ihr Land nicht. Und sie sind Strategen, ihr Handeln folgt langfristigen Zielen. Den IS massiv an der empfindlichsten Stelle zu treffen, war vor drei Wochen noch eine zu große diplomatische Belastungen für die Beziehungen zwischen Russland, dem Nahen Osten und dem Westen. Langfristig sind diese Beziehungen wichtiger als ein schneller taktischer Erfolg gegen den IS. Hitzköpfe aus einem dem beteiligten Lager hätten Russlands diplomatische Bemühungen, den Syrienkonflikt zu lösen, erfolgreich torpediert. Hinter den Terroristen in Syrien stehen ganze Staaten. Der Außenminister von Qatar hat in einem Fernsehinterview keinen Hehl daraus gemacht, welche Terroristen von Qatar finanziert werden. Nur so als Beispiel. Über die US-Beteiligung habe ich auch schon geschrieben. Saudi-Arabien, Türkei und Israel sind ebenfalls dick im Terroristengeschäft. Terror ist für viele Staaten heutzutage ein ganz normales politisches Instrument. Und so wie man seine Städte, Schiffe und Ländereien nicht einfach zerstören lässt, so lässt man auch seine Terroristen nicht einfach zerstören. Man baut sie doch nicht umsonst mit riesigen Milliardensummen auf.

Jetzt, da der IS einen schweren Terroranschlag gegen Russland verübt hat, den Russland sogar als Kriegsfall bewertet, kann man Russland diplomatisch schwer etwas entgegenhalten, wenn es den IS viel intensiver als vorher bekämpft. Das sind die gelösten Fesseln.

In einem Lagebericht zu den neuen intensiven Luftschlägen hat Russlands Verteidigungsminister Schoigu berichtet, dass die unter vermehrten Beschuss geratenen Terroristen “in nördlicher und südwestlicher Richtung fliehen”. Er hat das nicht näher erläutert, aber beim Blick auf die Karte sieht man nördlich von Syrien die Türkei und südwestlich davon Israel. Welche Botschaft wollte Schoigu seinen türkischen und israelischen Kollegen überbringen? Die Adressaten werden schon verstanden haben.

Nach den Anschlägen in Paris will auch Frankreich gegen den IS vorgehen. Also in echt jetzt. Angeblich. Putin hat ein paar zusätzliche militärische Kräfte vor Syrien zusammengezogen, damit Frankreich nicht auf allzu dumme Ideen kommt. Gleichzeitig hat Putin seine Streitkräfte angewiesen, Frankreich als Bündnispartner im Kampf gegen den IS zu behandeln. Damit zeichnet sich ab, dass Russland und ein NATO-Staat Seite an Seite in einem Krieg kämpfen werden. So spektakulär, wie es klingt, ist es nicht angesichts des Bedeutungsschwunds der NATO, wie ihn die US-Strategen konstatieren. In jedem Fall wird dadurch die von Russland angeführte Koalition gestärkt und die von den USA angeführte Koalition geschwächt. Frankreich nutzt die Anschläge von Paris, um auf die Seite überzulaufen, die allem Anschein nach den Sieg davontragen wird.

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Poroschenko gibt private Oligarchenarmeen zu

Ein interessantes Interview von Poroschenko mit Deutsche Welle (deutscher öffentlich-rechtlicher Propagandasender für das Ausland).

Bemerkenswert, wie der Journalist Tim Sebastian auf Poroschenko herumhackt. Poroschenko, in der Rolle des Schulbubs, der vom Schuldirekter üble Schelte einkassiert, wehrt sich mit einstudierten Phrasen.

Aber bei mehreren Angriffen pro Minute hat auch der sichtlich entnervte Poroschenko zumindest einen Fehler begangen. In der 22. Minute rühmt er sich damit, dass er alle privaten Oligarchenarmeen entwaffnet hat. Womit er natürlich bestätigt, dass es private Oligarchenarmeen in der Ukraine gegeben hat.

Tim Sebastian hackt sofort nach und verweist auf den Rechten Sektor, der nicht entwaffnet ist. Poroschenko entgegnet, dass es nun mal schwierig sei, in einem Land, in dem Krieg herrscht, private Armeen zu entwaffnen. Der Prozess laufe aber.

Am Ende hat Poroschenko bestätigt, dass es private Oligarchenarmeen in der Ukraine gab und immer noch gibt.

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Diplomatisches Trolling

Erinnern Sie sich an den 3-Milliarden-Dollar Kredit, den die Ukraine Russland im Dezember diesen Jahres zurückzahlen muss?

Auf dem G20-Gipfel, der jüngst abgehalten wurde, war dieser Kredit mal wieder ein Thema. Der Westen glaubt, Russland auf diesen Schulden sitzen lassen zu können und fordert eine Restrukturierung. Diese Forderungen stellt der Westen aus einer Position der Schwäche heraus (wie Ihnen gleich ersichtlich sein wird) und Putin hat darauf eine würdige Antwort gegeben:

Unsere Partner vom IWF versuchen uns zu überzeugen, den 3-Milliarden-Kredit zu restrukturieren, der bis Ende diesen Jahres zurückgezahlt werden muss. Sie überzeugen uns, dass wir der Ukraine entgegenkommen und die Rückzahlung auf nächstes Jahr verschieben sollten. Sie versichern, dass es der Ukraine hilft und uns die Rückzahlung sichert. Wir haben unsere Partner darauf hingewiesen, dass dieser Kredit kein Privatkredit ist. Das ist ein Staatskredit der Ukraine.

Dennoch, um die Rückzahlung zu gewährleisten, und um die Ukraine nicht in eine schwierige Lage zu bringen, haben wir einen – meiner Meinung nach – unerwarteten Vorschlag an unsere Partner gemacht. Wir sind nicht nur mit der Restrukturierung einverstanden, wir haben sogar bessere Bedingungen angeboten, als diejenigen, um die der IWF geben hat. Man hat uns gebeten, die Rückzahlung der 3 Milliarden auf nächstes Jahr zu verschieben. Ich habe gesagt, dass wir zu einer noch tieferen Restrukturierung bereit sind. Wir sind bereit, in diesem Jahr gar kein Geld zu bekommen, im nächsten Jahr, 2016, eine Milliarde zu bekommen, 2017 noch eine Milliarde zu bekommen und 2018 noch eine Milliarde zu bekommen.

Aber da unsere Partner sicher sind, dass die Kreditwürdigkeit unserer ukrainischen Partner steigen wird und wir uns sogar sicher sein könnten, nächstes Jahr alle drei Milliarden zu bekommen… Wenn das also so ist, dann haben unsere Partner kein Problem, Garantien für diesen Kredit zu geben. Wir haben um solche Garantien gebeten. Entweder von den USA oder von der EU oder von einem der soliden internationalen Finanzinstitutionen. Wir erwarten, dass diese Frage bis Anfang Dezember diesen Jahres geklärt wird. Wir haben diese Frage heute mit Frau Lagarde besprochen, auch mit dem Präsidenten der USA und mit dem Finanzminister der USA.

Ich muss sagen, dass dieser Vorschlag mit Interesse aufgenommen wurde. Wir haben vereinbart, dass wir mit unseren Partnern sehr zeitnah über die Details dieses Vorschlages sprechen werden.

In der Tat, wenn unsere Partner so sicher sind, dass die Kreditwürdigkeit der Ukraine steigen wird und wenn sie uns davon zu überzeugen versuchen, dann glauben sie daran. Und wenn sie daran glauben, dann sollen sie uns Garantien geben. Und wenn sie uns keine Garantien geben wollen, dann glauben sie wohl selbst nicht an die Zukunft der ukrainischen Wirtschaft. Das wäre schlecht für sie selbst, da sie uns vom Gegenteil zu überzeugen versuchen. Das wäre auch schlecht für unsere ukrainischen Partner. Wir denken aber, dass hier alles möglich ist und wir sehen kein Problem darin, die Risiken mit unseren Partnern zu teilen.

Das sollen die Partner erst einmal verdauen. Und darauf eine gute Antwort finden.

Betrachten wir den Kontext der Situation: Der Staat Ukraine schuldet dem Staat Russland 3 Milliarden Dollar. Zu zahlen noch in diesem Jahr. Der Kredit wurde nach britischem Recht geschlossen und eine britische Kanzlei ist offizieller Mittelsmann dieses Deals. Das heißt, wenn die Ukraine nicht zahlt, muss die britische Kanzlei der Ukraine das Geld aus dem Leib prügeln. Russland kann entspannt zusehen, wie die Ukraine mal wieder von ihren Freunden aus dem Westen gefickt wird. Wenn die Briten sich weigern, die Ukraine zu ficken, wäre das noch toller für Russland. Dann würde Russland zusehen, wie sich Großbritannien als Finanzzentrum selbst ins Bein schießt, weil es sich als unverlässlicher Partner zeigt, der die eigens aufgestellten Regeln nicht befolgt.

Betrachten wir jetzt Putins Vorschlag, zu dem man einfach nicht nein sagen kann. Die Bürgschaft dafür, dass Russland sein Geld wiederbekommt, soll einfach vom britischen Finanzzentrum auf USA, EU oder IWF übergehen. Großartig. Fortan darf also einer dieser drei Partner der Ukraine das Geld aus dem Leib prügeln oder sich selbst ins Bein schießen, wenn es das nicht tut. Bleibt für Russland im Prinzip alles beim Gleichen. Dass die Rückzahlung sich auf drei Jahre hinzieht, verlängert nur das Spiel.

Putin ist nicht bereit, Russlands gute Position bei diesem Kredit aufzugeben. Warum sollte er auch? Russlands Partner haben jahrzehntelang deutlich gemacht, dass sie asozial sind und nur einen harten, wenn auch höflichen Umgang auf Augenhöhe verdienen. Bestenfalls. In der aktuellen Situation wünscht der Westen, dass Russland selbst dafür verantwortlich wird, die ukrainischen Schulden einzutreiben. Welch tolle Gelegenheit wäre das, um in der Ukraine die Feindschaft gegen Russland weiter zu befördern. Nein nein, die schmutzige Arbeit soll der Westen selbst verrichten. Das kühlt entweder den Westen oder die Ukraine ein wenig ab.

Die Überheblichkeit des Westens bestraft Putin dadurch, dass er die Partner mit der Nase in die Scheiße hineintunkt, die sie in der Ukraine angerichtet haben. Alles super in der Ukraine, sagt ihr? Toll, bürgt doch dafür. Ihr wollt nicht bürgen? Damit gesteht ihr ein, dass alles scheiße ist in eurer Ukraine. Und als Sahnehäubchen setzt Putin auch noch eine konkrete Frist.

Jetzt sind USA, EU und IWF am Zug. Wie können sie ihr Gesicht wahren? Nun ja, indem einer der drei die Arschkarte zieht. Für die ukrainischen Schulden bürgen heißt derzeit, diese Schulden auf sich zu nehmen. Dass sich die westlichen Partner nun gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben müssen, kann Russland nur recht sein.

Feinstes diplomatisches Trolling ist das.

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Peitsche für Frankreich

Die EU wird zunehmend zum Problem für die USA. Insbesondere der Kern der EU, Deutschland und Frankreich. Sie weigern sich immer noch, TTIP zu unterschreiben. Sie sind der chinesischen AIIB beigetreten und halten sich damit die Möglichkeit offen, das US-kontrollierte Welt-Finanzsystem zu verlassen. Sie weigern sich, eine offene Feindschaft gegen Russland einzugehen. Sie weigern sich, sich vom russischen Gas abschneiden zu lassen.

Die USA müssen immer häufiger die Peitsche benutzen, um ihre wichtigsten EU-Vasallen unter Kontrolle zu halten.

Mitte 2014, die Ukraine-Krise ist auf dem Höhepunkt, die russophobe Propaganda ist auf dem Höhepunkt, aber die diplomatischen Beziehungen zwischen EU und Russland reißen nicht ab. Das US-Justizministerium verhängt eine Rekordstrafe von 6,6 Milliarden Euro gegen die französische Bank BNP Paribas. Die USA hätten es auch sein lassen können. Auf derart hohem Niveau haben Ermittlungen und Gerichtsentscheidungen nichts mehr mit dem Rechtssystem zu tun, sondern nur noch mit Politik. Das war ein schwerer, öffentlich vollzogener Peitschenhieb der USA gegen Frankreich. Frankreich hat geschäumt vor Wut.

Die Franzosen waren schon immer sehr unangenehm für die USA. Aus dem Zweiten Weltkrieg formal als Siegermacht hervorgegangen (ein bewundernswertes diplomatisches Kunststück übrigens), konnte Frankreich bei weitem nicht so stark kolonialisiert werden wie Deutschland.

Oktober 2014 stirbt Total-Chef Christophe de Margerie bei einem Flugzeugunfall in Moskau. De Margerie spricht sich offen gegen die Sanktionen aus, pflegt enge Beziehungen zu Russland, war gerade in Moskau, um mit Premierminister Medwedew Investitionen in Russland zu diskutieren. De Margerie forderte unverhohlen die Abkehr vom Dollar. Total ist eines der weltgrößten Industrieunternehmen. Die Versuchung aus Sicht der USA, de Margerie zu beseitigen, ist objektiv mehr als gerechtfertigt. Die Angehörigen der drei anderen beim Unglück Verstorbenen glauben nicht an einen Unfall. Es sieht aber wirklich sehr nach einem Unfall aus. Es gibt ja tatsächlich so etwas wie Zufall. Dieser Zufall ist wie ein sechser im Lotto, aber hin und wieder gewinnt jemand im Lotto. Diesmal zufällig die USA. Lassen wir es als Zufall durchgehen. Warum ist es dann überhaupt erwähnenswert? Zum einen ist ein Mord auch nicht ausgeschlossen, zum anderen muss man sich besondere Zufälle merken – wenn sie sich einseitig häufen, kann man sich fast sicher sein, dass es keine Zufälle sind. Bezüglich dieses Ereignises gibt es einen weiteren Zufall: Die westlichen Medien haben diese großartige Gelegenheit überhaupt nicht genutzt, um exzessiv über Russland herzuziehen. Besoffene Fahrer auf der Startbahn, schlafende Koordinatoren im Kontrollturm – eigentlich ein Traum für die westliche Presse, die so gern kritisch über Russland berichtet. Nur diesmal nicht.

Der nächste große Peitschenhieb war der Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015. Das war nicht das Werk von islamistischen Terroristen, sondern von einem mächtigen Geheimdienst. Eine false flag Operation. Professionelle Killer lassen ihre Ausweise im Auto liegen (Geheimdienste fahren voll ab auf diesen sagenhaft kreativen Trick), der Komplize mit felsenfestem Alibi stellt sich selbst der Polizei, weil er Angst um sein Leben bekommt, ein hochrangiger Ermittler der Anschläge begeht in der Nacht vom 7. auf den 8. Selbstmord, während er einen Ermittlungsbericht schreibt. Letzteres wird, wie manch anderes Detail, von der Presse professionell totgeschwiegen. Man muss schon ein wohlerzogener Zombie sein, um die offizielle Story zu glauben, die auf einer gigantischen emotionalen Welle geschrieben wurde. Ich war mir damals nicht sicher, ob es der französische oder der US-Geheimdienst war. Wenn es der französische Geheimdienst wäre, dann nur im Rahmen einer sehr großen politischen Kampagne, welche sehr große, sehr schwer vermittelbare Entscheidungen vorsieht, die nur während einer nationalen Schockstarre durchdrückbar sind. Dergleichen konnte ich in den Folgemonaten und bis jetzt nicht erkennen.

Nur wenige Tage vor den Terroranschlägen forderte Hollande öffentlich die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Zum damaligen Zeitpunkt ein politisch radikaler Schritt. Man hat Hollande sicherlich eindrücklich davor gewarnt. Er torpedierte damit die antirussische westliche Front. Böser Junge.

Jetzt wieder ein Peitschenhieb gegen Frankreich. Neue Terroranschläge in Paris. Beachten Sie, wie die Wirkung der Schläge jedes mal höher wird. Man kann natürlich davon ausgehen, dass es Islamisten waren, die völlig unabhängig von der Mitwirkung oder der Deckung mächtiger Geheimdienste mitten in Paris acht Anschläge gleichzeitig verübt haben. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man davon ausgehen, aber man muss dabei den Terroristen eine sagenhaft gute Koordination unterstellen und den französischen Sicherheitsdiensten ein monumentales Versagen, wenn man derart breite Vorbereitungen überhaupt nicht erkannt hat. Man kann aber auch die offizielle Version über Islamisten nur als eine Version unter mehreren betrachten und sich einer anderen Version zuwenden, aus zwei Gründen.

Erstens, die meisten Terroristen unterstehen irgendwelchen Geheimdiensten. Im vorliegenden Fall haben wir drei Gruppen, die synchron und hochprofessionell agieren. Sie setzen jeweils verschiedene Methoden ein: Bombenanschläge, Geiselnahme, wahlloser Beschuss auf der Straße. Koordiniert und maximal vielseitig. Die Bombenattentäter schaffen es bis zum Stadion, in dem sich zu diesem Zeitpunkt der Französische Präsident und der deutsche Außenminister aufhalten – rund um das Stadium gelten erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. In der Summe ist das alles kein Zufall. Man kann sowas nicht zufällig. Das ist aus dem militärischen Lehrbuch für Diversionen – wie kann man mit kleinen Gruppen im Hinterland des Feindes möglichst viel Schaden anrichten. Die Terroristen von Paris sind professionell ausgebildet. Damit ist aber ausgeschlossen, dass sie unkontrolliert handeln können. Lars Schall hat über die Förderer und Trainer der Terroristen gerade einen sehr lesenswerten Artikel geschrieben.

Der zweite Grund ist, dass wir ein Muster erkennen. Wir suchen nach Frankreichs demonstrativen Anmaßungen, sich unabhängig von den USA verhalten zu wollen. Und in zeitlicher Nähe zu den Anschlägen werden wir fündig:

France will seek to end U.S.-European trade talks if gridlock continues into next year, French trade minister Matthias Fekl said.

“If in the following rounds of talks, and in 2016, things haven’t improved, we will seek to stop talks,” Fekl said Wednesday on RMC radio. “If, in Europe, France doesn’t want a major negotiation to continue, the negotiation won’t happen.”

Redet man so mit seinem Meister? Der französische Handelsminister droht öffentlich damit, TTIP komplett zu blockieren, wenn die französischen Wünsche nicht berücksichtigt werden. Wenn Sie der Verlinkung folgen, lesen Sie, was konkret gemeint ist: Eine Absage an die vorgesehenen privaten Schiedsgerichte, die über nationalem Recht stehen. Das ist aber das Herzstück von TTIP, um nichts anderes geht es dabei. Wenn man das rausschneidet, ist TTIP nichts mehr wert.

Die Bedeutung von TTIP und das Ringen darum können kaum überschätzt werden. Wenn die USA sich damit durchsetzen, verlängern Sie ihren Untergang um weitere 10 bis 15 Jahre auf Kosten der EU. Nicht weniger hat der französische Minister mit seinen Äußerungen in Frage gestellt.

Böser Junge. Das gehört bestraft. Wenn die USA es nicht bestrafen, haben sie schon verloren. Wenn sie es bestrafen, geht der Kampf noch weiter. Der Kampf geht noch weiter.

Deutschland folgt übrigens Frankreich auf dem Fuße. Haben Sie die Reihenfolge noch im Kopf? Erst auf den Geldbeutel schlagen, dann Blutvergießen anrichten, dann immer mehr Blutvergießen anrichten. In Deutschland sind wir in Stadium eins, vielleicht schon darüber hinweg. Der VW-Skandal, in den USA entzündet, trifft die deutsche Wirtschaft milliardenschwer. Auch in diesem Fall gilt, dass die USA den Skandal nicht hätten entzünden müssen. Unter Freunden hätte man das auch nicht getan. Aber die Beziehung zwischen USA und Deutschland basiert nicht auf Freundschaft, sondern auf Kolonialisierung. Und die Kolonie zeigt sich ungehorsam, verweigert die totale Unterwerfung.

Das Problem der USA ist, dass ihnen nur noch die Peitsche als Mittel der Erziehung verblieben ist. Sie haben kein Zuckerbrot mehr anzubieten. Beides zusammen bildet ein wirksames Kontrollinstrument. Wenn man nur eins von beidem nutzt, verliert man auf lange Sicht die Kontrolle. Aber während ein Herr die Kontrolle verliert, setzt er seine Peitsche öfter und härter ein, im krampfhaften Versuch, das Unvermeidliche abzuwenden.

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