Petrorubel kommt

Sie haben bereits vom Petrodollar gehört. Die USA haben die Welt gezwungen, alles Petroleum (Erdöl) in Dollar zu kaufen und zu verkaufen. Das bedeutet, dass die Nachfrage nach Dollar immer sehr hoch ist. Das bedeutet, dass die USA fast beliebig viel Geld drucken können, ohne eine Inflation zu befürchten. Etwa 80% des Welthandels wird in Dollar abgewickelt. Dollar ist die Weltwährung.

Jedes andere Land, das Unmengen von Geld druckt, erleidet eine massive Inflation. Wenn die USA Unmengen von Geld drucken, gibt es auch eine Inflation, aber sie verteilt sich auf die gesamte Welt, weil die gesamte Welt Dollars benutzt. Die ganze Welt bezahlt die Exzesse der USA mit. Das ist wie eine verdeckte Steuer. Ein gigantisches Machtinstrument.

Die USA schützen den Petrodollar. Wer auf die Idee kommt, sich vom Dollar unabhängig zu machen, muss sterben. Wörtlich. Saddam Hussein wollte das Öl seines Landes nicht mehr gegen Dollar verkaufen. Er musste sterben. Muammar Gaddafi wollte das Öl seines Landes nicht mehr gegen Dollar verkaufen. Er musste sterben. Aber der Trend ist unaufhaltsam.

Russland und China arbeiten darauf hin, ihren Ölhandel vom Dollar abzukoppeln. 2014 wurde ein großer Schritt getan. Die Mega-Öl-Deals zwischen Russland und China sollen in Rubel und Yuan abgewickelt werden. Aber dieses Öl fließt erst in ein paar Jahren.

Noch in diesem Jahr startet Russland testweise den Verkauf einer eigenen Rohölsorte gegen Rubel. Es gibt weltweit eine Reihe von Rohölsorten, die sich in ihren chemischen Eigenschaften unterscheiden. Die beiden wichtigen Referenzsorten sind Brent (Nordseeöl) und WTI (US-Öl). Andere Sorten sind häufig unmittelbar an den Preis der Referenzsorten gebunden, je nach Qualität mit einem Abschlag oder einem Aufpreis versehen. Das gilt auch für die russischen Sorten. Heißt konkret: Wenn die Ölpreise für die Referenzsorten sinken, sinken automatisch auch die Preise für das russische Öl. Und sie ahnen es schon… die Preisbildung der Referenzsorten erfolgt ausschließlich an westlichen Ölbörsen. Der Westen kann also an seinen Börsen die Ölpreise nach oben oder unten manipulieren und der Rest der Welt wird davon automatisch mit betroffen.

Das ist so, als wenn Sie bei Ihrem Nachbarn ein Kilo Äpfel von seinem Apfelbaum kaufen wollen und sich dabei am Apfelpreis richten müssen, denn ich in einem fernen Land festgelegt habe. So funktioniert derzeit der Verkauf von Öl (und vielen anderen Produkten).

China arbeitet schon daran, eine eigene Ölbörse einzurichten, um die Preisbildung des Öls selbst mitzubestimmen. Der Preis wird außerdem nicht in Dollar festgelegt, sondern in Yuan. Ein Angriff auf den Petrodollar.

Russland macht jetzt auch den nächsten Schritt und startet den Verkauf einer eigenen Rohölsorte. Die Preisbildung erfolgt in Russland und das Öl wird gegen Rubel verkauft. Das sind erst einmal nur Testverkäufe, um die technischen Details auszuprobieren und die dabei auftretenden Probleme zu erfassen und zu korrigieren. Der vollwertige Verkauf ist für Ende 2016 geplant.

Was bedeutet das? Es bedeutet, dass der Handel zwischen Russland und anderen Staaten nicht mehr zwingend an die in den USA festgelegten Ölpreise gebunden ist. Die USA können den WTI-Preis in den Keller drücken, aber wenn die russischen und chinesischen Händler der Meinung sind, dass die Angebot-Nachfrage-Situation in ihren Ländern einen anderen Preis rechtfertigt, dann handeln sie zu einem anderen Preis. Und vor allen Dingen handeln sie in Rubel und nicht in Dollar. Das senkt die Nachfrage nach Dollar und schwächt die Macht der USA.

Russland und China sind zu groß, als dass die USA diese Angelegenheit auf militärische Art und Weise lösen könnten, wie sie es in Irak und Libyen getan haben. Aber einfach zusehen können die USA auch nicht, denn die Verdrängung des Dollars aus dem Welthandel ist gleichbedeutend mit dem Ende der US-Weltherrschaft.

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Geopolitik: Übersicht von Friedman

Warum schon wieder Friedman? Aus mehreren Gründen:

  1. Friedman denkt strategisch und hält sich nicht mit taktischem Klein-Klein auf. Er hat das große Bild im Blick. Leute wie er, Strategen, sind die Entscheider der Politik.
  2. Friedman ist Sprachrohr der US-Elite. Er ist selbst Teil davon. Von ihm erfahren wir aus erster Hand, was die US-Elite (zumindest ein Teil davon) denkt und plant.
  3. Friedman ist der Putin-Propaganda unverdächtig. Leider ist das ein Kriterium. Hundert Journalisten aus aller Welt können etwas aufdecken und berichten und es wird in Deutschland brav mit “Verschwörungstheorie” und “Putin-Propaganda” beiseite gewischt. Ein andressierter Verteidigungsmechanismus zum Schutz der Zombifizierung. Quellen wie Friedman unterlaufen diesen Verteidigungsmechanismus.
  4. Friedman hat Interessantes zu berichten, wovon Sie sich gleich selbst überzeugen können.

Sie haben vielleicht schon von Valdai gehört, am ehesten im Zusammenhang mit Putins Valdai-Reden. Der Valdai Discussion Club ist eine Plattform, auf der sich russische und internationale Eliten austauschen sollen:

The club’s goal is to promote dialogue between Russian and international intellectual elite, and to make an independent,unbiased scientific analysis of political, economic and social events in Russia and the rest of the world.

Die Eliten tauschen sich da auch fleißig aus, persönlich, aber auch durch Veröffentlichungen. George Friedman von Stratfor hat dort auch einen Beitrag geleistet (um Werbung für Stratfor und Propaganda für die USA zu betreiben, aber dafür hat er sich auch angestrengt), um den es hier gehen wird. Ich empfehle ihn sehr zur vollständigen Lektüre. Es ist sehr spannend, wie entgegengesetzt die Aussagen der Eliten zu den Berichten der Massenmedien sind.

Friedman vertritt eine systemische Sichtweise, in der Staaten die Hauptakteure sind und die Politik dieser Staaten durch die Umstände diktiert wird. Nicht der jeweilige Staatsmann an der Spitze bestimmt die Politik. Die Umstände diktieren größtenteils seine Handlungen und sein persönlicher Spielraum ist klein. Politiker, die sich nicht am Diktat der Umstände ausrichten, haben keine Chance an die Spitze der Politik zu gelangen.

Das charmante an diesem Ansatz ist, dass man wichtige Entwicklungen im Weltgeschehen erklären und sogar prognostizieren kann, ohne sich irgendwelches geheimdienstliches Detailwissen ansammeln zu müssen oder die Persönlichkeiten an der Spitze der Staaten zu analysieren. Die Details interessieren nicht und sind auch von geringer Bedeutung, wenn es darum geht, die großen Entwicklungslinien auszumachen. Mit diesem systemisch-strategischen Denkansatz gelangt Friedman zu folgenden Analysen (nachfolgend indirekte, teils direkte Zitate):

Deutschland hat eine starke Industrie, deren Produktion nach Osten und Südosten exportiert werden kann. Das hat zur Folge, dass Deutschland die östlichen und südöstlichen Märkte dominiert. Damit einhergehend dominiert Deutschland auch die Politik dieser Regionen. Dieses Prinzip gilt seit 1871. Gleichzeitig ist Deutschland aufgrund der offenen Geographie militärisch leicht angreifbar. Deutschland muss seine Exportmärkte festigen und seine Sicherheit durch militärische und politische Mittel aufrechterhalten. Aus dieser Sachlage folgt zwangsläufig und unabhängig von den Persönlichkeiten an der Spitze der deutschen Politik: 1. Deutschland muss exportieren, um innere soziale Spannungen nicht überhand werden zu lassen. 2. Die politische Landschaft wird so geformt, dass die Notwendigkeit von Exporten berücksichtigt wird. 3. Berlin wird kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden suchen. 4. Wenn ein militärischer Konflikt unvermeidbar scheint, wird Deutschland ihn selbst iniziieren und nicht darauf warten, dass andere es tun.

Jeder deutsche Kanzler, im Moment Merkel, ist gezwungen, die Exporte zu fördern, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden und die eigene politische Position zu festigen. Da ein Teil der Exporte in die EU geht, hat Deutschland die EU nach seinen Vorstellungen geformt (günstige Exportmöglichkeiten). Gleichzeitig darf Deutschland die anderen EU-Staaten nicht strategisch bedrohen, um die eigene Sicherheit nicht zu gefährden (siehe Punkt 3 oben). Das ist das Rahmenmodell, in dem man die deutsche Politik einordnen kann.

Der Zerfall der Sowjetunion hat nicht nur das Gebiet der Sowjetunion beeinflusst, sondern die gesamte Welt. Die Ära der europäischen Vormachtstellung ist damit zu Ende gegangen und der Schwerpunkt der Weltpolitik hat sich nach Nordamerika veschoben, genauer gesagt in die USA. In der Folge haben sich die weltpolitischen Ereignisse um drei Säulen herum entwickelt: USA, EU, China. Die EU ist ein Gegengewicht der USA geworden. China hat Japan abgelöst als Wirtschaftsmotor mit billigen Arbeitskräften. Diese Phase ist 2008 zu Ende gegangen. Um die Welt von heute zu verstehen, muss man diese drei Säulen verstehen.

Die USA haben die größte Weltwirtschaft und exportieren nur 10% ihres BIP. Die Energierevolution (Fracking) hat die USA außerdem unabhängig von fremder Energie gemacht. Damit sind die USA wirtschaftlich selbstgenügsam und nicht darauf angewiesen, dass die Wirtschaften anderer Länder gut laufen, was ihnen Raum für politische Manöver eröffnet. Außerdem kontrollieren die USA alle Weltozeane. Sie können jederzeit jede große Handelsroute unter Kontrolle nehmen. So können die USA verdeckt den gesamten Welthandel steuern. Entscheidend ist nicht, dass Washington von dieser Macht häufig Gebrauch macht. Entscheidend ist, dass es das könnte, was die anderen Staaten zwingt, sich daran anzupassen. Außerdem können die USA in ganz Eurasien Krieg führen und theoretisch Eurasien militärisch erobern, während Eurasien im Gegenzug keine Möglichkeit hat, die USA zu erobern, weil Eurasien nicht die Ozeane kontrolliert. Die Möglichkeiten sind also asymmetrisch. Die einzige Bedrohung, welcher die USA im Laufe des letzten Jahrhunderts ausgesetzt waren, war die Vereinigung Eurasiens oder zumindest Europas mit Russland. Das hätte einen ebenbürtigen Gegenspieler ergeben, der sogar in militärischer Hinsicht den USA gefährlich werden könnte. Folglich ist das primäre strategische Ziel der USA, einen Hegemon in Europa zu verhindern. [Friedman verwendet den Begriff Hegemon neutral. Gemeint ist jegliche politische Einheit, zum Beispiel auch die EU, die allein die Vorherrschaft über Europa ausübt.]

Aus dieser Sachlage ergibt sich nun die US-Strategie: Erstmal schauen die USA zu, wie sich in Europa von selbst ein Kräftegleichgewicht einstellt (also mehrere politische Zentren, die miteinander konkurrieren). Wenn das Gleichgewicht zu kippen droht, unterstützen die USA die schwächere Einheit in Europa. Zuerst finanziell und wirtschaftlich. Wenn das nicht reichen sollte, später auch militärisch. Wenn auch das nicht ausreicht, treten die USA auf der Seite des Schwächeren selbst in den Kampf ein, zuerst mit begrenztem Kontingent. Und erst im äußersten Notfall werfen sie ihre Hauptkräfte nach Europa.

Im Ersten Weltkrieg haben die USA so lange zugeschaut, wie das Kräftegleichgewicht in Europa noch vorhanden war. Der kritische Moment war der Zusammenbruch des russischen Zarenreichs, womit sich die Lage zu Deutschlands Gunsten änderte und Deutschland die Möglichkeit bekam, nach Westen vorzustoßen. Am 15. März 1917 ist der russische Zar abgedankt und schon am 6. April sind die USA in den Krieg eingetreten.

Im Zweiten Weltkrieg haben sich die USA selbst nach Pearl Harbour aus Europa rausgehalten. Sie haben Großbritanien und die Sowjetunion begrenzt unterstützt, hielten sich aber – von kleinen Operationen abgesehen – bis Juni 1944 mit eigenen militärischen Kräften raus. Erst als die Sowjetunion das Rückgrat der Wehrmacht gebrochen hatte und damit den Kriegsverlauf zu eigenen Gunsten änderte, schalteten sich die USA in bedeutendem Umfang in die Kampfhandlungen ein. Der Krieg hat Großbritaniens Macht entscheidend reduziert, die USA übernahmen die Vorherrschaft über die Ozeane.

Während des Kalten Krieges wurde die Vorherrschaft der USA von der Sowjetunion bedroht. Das Kräftegleichgewicht wurde durch die Bildung der NATO-Allianz erreicht, die West- und Zentraleuropa als Gegenpol zur Sowjetunion vereinte. Die NATO-Staaten mit direktem Kontakt zum Sowjetblock bekamen finanzielle, wirtschaftliche und militärische Unterstützung. Die USA stationierten dort ein begrenztes Kontingent von Soldaten und versprachen, die europäischen NATO-Staaten zu schützen, bei bedarf auch mit Atomwaffen. Wie Charles De Gaul anmerkte, haben die USA keine Grantien dafür gegeben. Sie haben sich alle Optionen offen gelassen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verblieben keine Anwärter mehr auf eine Vorherrschaft in Europa. Die USA verließen den Weg der Allianzbildung und gingen dazu über, einzelne aufstrebende regionale Mächte zu zerstören. Die Kriege gegen Serbien, Irak, Afghanistan, Somalia und andere dienten dazu, Bedrohungen präventiv, noch vor ihrem echten Auftauchen, zu neutralisieren. Diese Politik schloss die Zerstörung der inneren Ordnung in Entwicklungsstaaten ein, sowie die Behinderung von staatsübergreifenden Bewegungen, wie die Taliban, die Nationalstaaten zu dominieren suchten.

Wichtige Anmerkung: Auf den ersten Blick haben die USA diese Kriege verloren. Das ist ein Missverständnis über die Ziele dieser Kriege. Vom militärischen Standpunkt aus gab es nicht das Ziel, die Kontrolle über diese Staaten herzustellen. Das Ziel war es, die innere Ordnung dieser Staaten zu zerstören, Chaos über sie zu bringen, um die Gefahr zu beseitigen, dass sich diese Staaten zu regionalen Mächten entwickeln. So gesehen haben die Kriege ihren Zweck erfüllt. In Serbien und im Irak haben die USA ihre Seemacht genutzt, um ungehindert und auf Entfernung den Krieg zu führen und sich anschließend wieder zurückzuziehen.

Wenn man den Äußerungen der Präsidenten folgt, sind diese Kriege verloren. Aber dahinter schimmert die seit 1917 angewendete Strategie durch: Wälze die Kosten so weit wie möglich auf die Allianzpartner ab, erreiche die anvisierten Zerstörungen, wälze die Kosten erneut auf die Allianzpartner ab, entferne dich. Man muss das Offensichtliche erkennen, um die Strategie der USA und die Strategie anderer Staaten zu verstehen.

Der Zerfall der Sowjetunion hat nicht nur der USA zur Weltdominanz verholfen, sondern auch die Entstehung von zwei neuen Mächten, EU und China ermöglicht, die beide potentiell in der Lage waren, die USA als Weltmacht herauszufordern. Die Schwäche der EU wurde schon beschrieben: Die EU ist rund um einen Staat aufgebaut, der auf Exporte angewiesen ist, was zu einem Monetärsystem und Regelwerk geführt hat, der es den anderen EU-Mitgliedern unmöglicht macht, sich vor deutschen Exporten zu schützen. Die anderen EU-Mitglieder haben keine Möglichkeit, mit deutschen Industriegiganten wie Siemens zu konkurrieren. Im Ergebnis hat die Finanzkrise von 2008 die EU gespalten. Deutschland hat auf harte Sparpolitik bestanden, was die Südstaaten in eine soziale Katastrophe gestürzt hat. Jetzt gibt es keine Einigkeit mehr in der EU und in der Folge hat das auch die Einheit der NATO untergraben.

Parallel dazu erlebt China einen zyklischen Abschwung, wie ihn Japan 1991 und Ostasien 1997 erlebt haben. Das chinesische Wirtschaftswachstum basierte nicht auf eigenen Mitteln, sondern auf Fremdkapital. China hat es verpasst, die Rentabilität des staatlichen Eigenkapitals zu erhöhen. Nunmehr, da die chinesischen Löhne in vielen wichtigen Regionen höher sind als beispielsweise in Mexiko, fließt das Fremdkapital wieder aus China ab. Und damit endet auch die Wundergeschichte des chinesischen Wirtschaftswachstums.

China hat aber noch ein tieferes Problem. Eine Milliarde Chinesen im Inland leben in Armut. An den Küsten leben 300 Millionen Chinesen, die für das Wirtschaftswachstum verantwortlich sind, von denen ein Gutteil eine Mittelschicht westlichen Standards darstellt. Diese küstennahen Chinesen sind westlich orientiert und auf Handel mit dem Westen angewiesen. Für die eine Milliarde Inland-Chinesen gilt das in viel geringerem Ausmaß. Die Interessen des chinesischen Inlands und der Küstengebiete sind unvereinbar und das ist Pekings großes Problem.

Das China von heute ist weder ein globales noch ein regionales Problem. Die Geographie macht es unmöglich, dass China seine Landstreitkräfte in die Tiefe des Kontinents zieht. Die Möglichkeiten der chinesischen Armee sind auf die Verteidigung beschränkt. Die chinesische Flotte kann nicht weiter als im Süd- und Ostchinesischen Meer operieren. Zudem hat die chinesische Flotte keinerlei echte Kampferfahrung. China wird es nie wagen, die USA auf dem Meer anzugreifen und die USA werden es nie wagen, China auf Land anzugreifen.

In diesem Kontext muss man den Aufstieg Russlands betrachten. Das Auftauchen von Putin oder einer ihm vergleichbaren Persönlichkeit war ein unausweichliches Ereignis. Jelzins Regime hat zu einer nationalen Katastrophe geführt. Die einzige seit der Zarenzeit effektiv funktionierende Behörde in Russland war die Geheimpolizei. Nur sie machte es möglich, Russlands großes, geographisch offenes Gebiet zusammen zu halten. Die Geheimpolizei hielt das Zarenreich und die Sowjetunion zusammen und hat ihren Einfluss auch nach Zerfall der Sowjetunion behalten. Sie war die einzige Kraft, die die Russische Föderation wieder einen konnte.

1992 haben alle davon geträumt, dass Russland in die europäische Wirtschafts- und Sozialsysteme integriert wird, aber das war angesichts des Chaos, das im Land herrschte, unmöglich. Russland wurde unter Jelzin zunehmend schwächer und der Westen begann, Russland zu verachten und brachte das mit seinem Handeln unverhohlen zum Ausdruck. Die USA begannen nicht nur einen Krieg, der Russlands Interessen entgegen stand, sondern ignorierten auch Friedensabkommen, die unter Moskaus Vermittlung erzielt wurden, denen nach Russland sich an der Verwaltung von Kosovo beteiligt hätte. Russlands Fall führte zur einzig möglichen Konsequenz, dass die Geheimdienste das Ruder übernahmen.

Putins Strategie war von den Umständen diktiert. Russland konnte mit den anderen Mächten nicht auf der Ebene der Industrie konkurrieren und konzentrierte sich daher auf den Export von Rohstoffen, um sein Eigenkapital zu erhöhen und eine Modernisierung der Wirtschaft zu organisieren. Putin wollte außerdem den Fehler der Zaren und der Kommissare vermeiden – ihre imperialen Ambitionen. Das Russische Reich und die Sowjetunion waren nie von Vorteil für die Russen selbst. Russland hat mehr Geld für die Kontrolle und den Aufbau der angeschlossenen Territorien ausgegeben, als es in Form von Einnahmen wiederbekommen hat. Im Endeffekt waren die an Russland angeschlossenen Sowjetstaaten einer der Gründe für den Fall der Sowjetunion. Putins Strategie war eine andere. Er wollte weder für die innere Stabilität noch für das wirtschaftliche Wohlergehen der ehemaligen Sowjetstaaten verantwortlich sein. Das einzige, was er anstrebte, war eine “negative Kontrolle” über die Außenpolitik dieser Staaten, um eine Bedrohung der russischen Sicherheit zu vermeiden, die von den Staaten selbst oder anderen, sie benutzenden Staaten ausgehen könnte.

Der Westen unterstützte die Aufstände in Russlands Nachbarstaaten, was die “negative Kontrolle” Russlands bedrohte. Am ausgeprägtesten war diese Tendenz in der Ukraine, die schon immer in der Zone der russischen Sicherheitsinteressen lag. Nachdem die NATO die Baltischen Staaten aufgenommen hatte, wurde die “negative Kontrolle” über die beiden für Russland notwendigen Pufferstaaten Weissrussland und Ukraine kritisch notwendig, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Die Orangene Revolution 2004/05, die im Westen als Geburtsstunde einer liberalen Demokratie und in Russland als Verschwörung des Westens wahrgenommen wurde, war eine direkte Folge der russischen Politik, die bei minimalen Kosten und Risiken ein gewisses Maß an Kontrolle erhalten wollte. Moskaus System fehlte das nötige Maß an Kontrolle, aber es war das beste, was Putin mit den verfügbaren Mitteln erreichen konnte. Russlands Peripherie blieb instabil.

Während die EU zerfällt, China zu einer normalen Wirtschaftsentwicklung übergeht und Russlands Ambitionen als Regionalmacht einer schweren Prüfung unterzogen werden, bleiben die USA der entscheidende Faktor der Weltpolitik. Die USA wollen das Auftauchen von Regionalmächten verhindern und Russland hat im Gegensatz zu anderen Ländern das Potential, diese Rolle und sogar noch mehr einzunehmen. Das Hauptbemühen der USA wird gegen Russland gerichtet werden. Die USA werden wie gewohnt Russlands Nachbarn unterstützen. Russland kann das aus den eigenen Sicherheitsinteressen heraus nicht hinnehmen und wird darauf hinarbeiten, Einfluss in seiner Peripherie zu gewinnen, um einen schützenden Puffer gegen Angriffe zu haben. Da die Interessen derart entgegengesetzt sind, wird es kaum zu einer Einigung kommen können. Die Spannung wird sich eher noch erhöhen.

Aus dieser Sachlage folgt, dass der Ukraine-Konflikt sehr gefährlich ist, weil er sich leicht auf das Baltikum und den Kaukasus ausweiten kann. Wie weit der Konflikt eskaliert, hängt vom Erfolg der russischen Handlungen ab. Das Ergebnis wird in jedem Fall in langfristiger Perspektive nicht gut für Russland sein, weil die US-Interessen fordern, dass Russland in den Konflikt reingezogen wird und weil in der Region eine Dysbalance des Kräftegleichgewichts auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Im Gegensatz zum Russischen Reich und der Sowjetunion sind die Pufferzonen rund um Russland in den Händen potentieller Feinde und die Rationalisierung von Russlands Wirtschaft macht es abhängig von Marktkräften, wie es für Russland früher nie der Fall war. Wenn es Russland nicht gelingt, eine friedliche Beilegung zu erreichen, bleibt nur die Möglichkeit, das Bedrohungspotential aufzubauen, um die USA einzuschüchtern. Was nicht die beste Strategie gegen die USA ist.

All das ist nicht gesagt, um Russland anzuschwärzen oder die USA zu glorifizieren. Beide Staaten sind wie sie sind und werden das tun, was ihnen die Umstände diktieren.

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So weit George Friedman. Ich habe große Teile des Texts ungekürzt oder leicht gekürzt wiedergegeben, in sehr naher oder sogar wörtlicher Übersetzung. Ich habe im obigen großen Abschnitt meine eigene Meinung völlig außen vor gelassen. Wenn Ihnen etwas krass formuliert erscheint, schauen Sie selbst nach: hier ist noch mal der Artikel, hier auf russisch, falls Sie russisch besser als englisch beherrschen.

Zusammenfassend und jetzt mit meinen eigenen Gedanken angereichert:

Die USA haben Großbritanien als Imperium beerbt und deren Politik der “Balance of Power” übernommen. Diese Strategie sieht vor, andere Akteure gegeneinander kämpfen zu lassen, den jeweils Schwächeren zu unterstützen und am Ende, wenn alle ausgeblutet sind, die eigenen militärischen Kräfte einzusetzen, um die Vorherrschaft zu erlangen. Diese Politik verfolgen die USA konsequent seit einem Jahrhundert. Der entscheidende Schauplatz ist Eurasien. Nur diese große Landmasse mit ihren Ressourcen, ihrer Bevölkerung und ihrem technologischen Stand ist in der Lage, die Weltherrschaft der USA zu bedrohen.

China ist geopolitisch kein bedeutender Akteur. Die Geographie macht es China unmöglich, sich zu einem Imperium zu entfalten. Ich möchte von meiner Seite anmerken, dass Chinas Kultur ohnehin eine abschottende ist und zu Imperialismus überhaupt nicht aufgelegt ist. Die USA beschwören die Furcht vor China, um die chinesischen Nachbarn an sich zu binden. Mit einigem Erfolg, wie es derzeit aussieht, auch weil China auf die US-Provokationen zu sehr taktisch reagiert und zu wenig strategisch.

Die EU ist im Kern auf Deutschland als Exportland ausgerichtet. Das ist denn auch die große und unüberwindbare EU-Schwäche. Die EU zerfällt bereits, weil Deutschland die Hälfte seines BIP exportiert und nicht anders kann. Die Südstaaten gehen daran kaputt. Die USA muss fast nichts mehr machen und kann zusehen, wie ihr potentieller Konkurrent von selbst verreckt. Kann Deutschland wirklich nicht anders? Deutschland sollte sich diese Frage stellen und darüber diskutieren. Oder ist Deutschland zufrieden damit, periodisch eine europäische Wirtschaftskrise auszulösen, an deren Ende ein Krieg unvermeidbar ist, den Deutschland dann noch selbst anfangen muss, weil es geographisch exponiert ist? Denk nach, Deutschland. Denk nach.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion verlegten sich die USA darauf, potentielle Regionalmächte ins Chaos zu stürzen, um Konkurrenz auf der Weltbühne gar nicht erst entstehen zu lassen.

Interessantes Detail: Staatsübergeifende Bewegungen werden nur als Bedrohung wahrgenommen, wenn sie Nationalstaaten erfassen. Staaten sind stark, sie vertreten die eigenen Interessen auf hohem Niveau. Staatsübergreifende Bewegungen (am Beispiel der Taliban) sind gefährlich, weil sie das Potential haben, mehrere Staaten zu  einer Allianz zu vereinen, wodurch diese Staaten ihre Interessen noch besser vertreten können. Wissen Sie, warum der IS viel besser ist als die Taliban? Die Taliban haben die Staatlichkeit erhalten. Der IS zerstört Staaten und bildet auf deren Gebiet ein mittelalterlich-feudales System ohne staatliche Strukturen. Das ist wie ein Geschenk für die USA. Nur Jäger und Sammler sind noch leichter zu kontrollieren.

Inzwischen hat sich Russland aufgerichtet und wird zu einer Bedrohung für die USA. Beachten Sie Friedmans offene Darstellung der Sachlage: Die USA wollen die Weltherrschaft, Russland will nationale Sicherheit. Die beiden Ziele sind nicht miteinander vereinbar. Vergleichen Sie diese Darstellung der Sachlage mit der Gülle, die Ihre Medien täglich in Ihr Gehirn ergießen.

Beachten Sie auch Friedmans Darstellung des russischen Imperialismus: Man pumpt mehr Geld in die Provinzen, als man dort wieder herausholt. Das ist das genaue Gegenteil des westlichen Imperialismus, bei dem man Kolonien erobert und schonungslos ausbeutet. Ich habe diesen Vergleich des westlichen und russischen Imperialismus schon vor einiger Zeit in russischen Quellen gelesen. Jetzt, wo ich einen Vertreter der US-Eliten gefunden habe, der das offen ausspricht, kann ich in Deutschland auf diesen Vergleich aufmerksam machen. Ein schmerzhafter Vergleich. Was heißt es denn, mehr Geld in die Provinzen zu pumpen, als man dort rausholt? Es heißt, dort Straßen, Eisenbahnen, Schulen, Krankenhäuser, Fabriken und vieles mehr zu bauen. So ist Russland, wenn es imperial denkt. Die Ukraine, die angeblich so gelitten hat unter dem Joch der Sowjetunion, hat vor der Sowjetunion nie als eigener Staat existiert und ging aus der Sowjetunion als gigantische Industrienation hervor, mit einem mächtigen Militär, mit einer höchstentwickelten Schwerindustrie, einschließlich der Fähigkeit, Weltraumraketen zu bauen und ins All zu schießen. Die Ukraine war ein Agrarstaat, als es von Lenin gegründet wurde und war in den Top 10 der Welt gemessen am BIP, als es sich von der Sowjetunion unabhängig machte. So funktioniert russischer Imperialismus. Und nach 25 Jahren westlicher Demokratie ist die Ukaine bereits auf halbem Weg dahin, von wo sie einst aufgebrochen war: ein Agrarstaat.

Beachten Sie, dass Friedman Ihnen sagt, dass Putin komplett auf imperiale Ziele verzichtet. Vergleichen Sie das mit der Propaganda, die Ihnen täglich in die Köpfe gehämmert wird.

Manche Teile des Textes habe ich ausgelassen, weil Friedman dort eindeutig flunkert. So behauptet er etwa, dass der Georgienkrieg 2008 von Russland initiiert und eine direkte Folge der Orangenen Revolution von 2004 war. Dann behauptet er, dass die ukrainischen Ereignisse 2014 eine Folge des Georgienkrieges waren. Das ist eine kunstvolle Verschleierung, bei der die treibende Rolle der USA bei all diesen Konflikten hübsch ausgeklammert wird. Im gleichen Monat, als der hier ausgiebig zitierte Artikel von Friedman erschien, gab er auch ein Interview, in dem er unter anderem folgendes von sich gab:

Россия называет события начала года организованным США госпереворотом. И это действительно был самый неприкрытый госпереворот в истории.
(….)

Россия начала предпринимать определенные шаги, которые США сочли неприемлемыми. Прежде всего в Сирии. Там русские продемонстрировали американцам, что они в состоянии оказывать влияние на процессы на Ближнем Востоке. (…) США сочли это попыткой России нанести им вред. Именно в этом контексте стоит рассматривать события на Украине. (…) США же в сложившейся ситуации посмотрели на Россию и подумали, чего она хочет меньше всего — нестабильности на Украине.

Übersetzung:

Russland nennt die Ereignisse vom Anfang des Jahres [Sturz Janukowitschs in Kiew] einen von den USA organisierten Putsch. Und das war wirklich der am wenigsten verdeckte Staatsstreich in der Geschichte.

Russland unternahm gewisse Schritte, die von den USA als unannehmbar eingestuft wurden. Am ehesten in Syrien. Dort demonstrierte Russland den Amerikanern, dass es die Situation im Nahen Osten beeinflussen konnte. [Friedman meint Putins Vorschlag, Syriens Chemiewaffen kontrolliert zu vernichten. Obama hatte vorher einen Krieg der USA gegen Syrien an die Chemiewaffen gekoppelt und der Krieg stand kurz bevor. Putin hat mit diesem diplomatischen Schachzug den Kriegseintritt der USA in Syrien vereitelt.] Die USA stuften das als einen Versuch Russlands ein, den USA zu schaden. Genau in diesem Kontext muss man die Ereignisse in der Ukraine betrachten. Die USA schauten in dieser Situation auf Russland und überlegten, was Russland sich am wenigsten wünscht – Instabilität in der Ukraine.

Daraufhin haben die Journalisten noch mal nachgehackt und Friedman hat noch expliziter bestätigt, dass der Putsch in der Ukraine eine Reaktion auf Putins diplomatische Einmischung in die US-Angelegenheitem im Nahen Osten war.

Wie Sie sehen, kann Friedman nicht nur schonungslos offen sein, sondern auch dreist lügen. Vertrauen Sie niemandem blind und schalten Sie nie Ihr Gehirn aus. Speziell für Friedman gilt, dass er seine Stärken bei der Analyse vergangener Ereignisse hat. Sobald er aktuelle, noch nicht abgeschlossene Ereignisse einordnet, vermischt er kunstvoll Analyse mit Propaganda und es kommt in großen Teilen Müll dabei heraus. Wenn Sie Friedmans Valdai Paper genau lesen (und den Zeitpunkt genau im Hinterkopf behalten – Dezember 2014), erkennen Sie ein feines Spiel. Friedman verleiht sich Glaubwürdigkeit und Seriösität durch die guten und ehrlichen strategischen Analysen und nutzt das gewonnene Vertrauen für Propaganda. Russland sei in der aktuellen Situation eingeengt, habe keinen Spielraum, werde es sehr schwer haben. Probleme, Probleme, Probleme. Die Botschaft an die russische Elite: Ergebt euch, solange es nicht zu spät ist, ihr könnt das Kräftemessen ohnehin nicht gewinnen. Im Dezember 2014 hat diese Botschaft noch Sinn gemacht, denn es sah so aus, als ob Friedman Recht haben könnte. Seitdem ist ein knappes Jahr vergangen und man kann feststellen, dass Friedman mit seinen Prognosen für die nahe Zukunft grundfalsch lag.

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Auf den Spuren von Steven R. Mann und dem National War College

Das ist eine Ergänzung / Erweiterung zu diesem Beitrag über die Strategie des gelenkten Chaos. Kurze Zusammenfassung: Das National War College in den USA bildet bewährte Militärs, Geheimdienster und Diplomaten in Strategie aus, damit die Absolventen anschließend die höchsten Posten in den Schlüsselpositionen betreffs nationaler Sicherheit einnehmen können. Steven R. Mann, 1991 ausgezeichneter Absolvent der Akademie, hat 1992 einen Artikel veröffentlicht, in dem er einen Paradigmenwandel in der Strategie der nationalen Sicherheit fordert. Er plädiert für die Strategie des gelenkten Chaos. Dass man ihm die Gelegenheit gegeben hat, seine Ideen öffentlich zu präsentieren, zeugt davon, dass sie für gut befunden wurden. Es hat zwei Jahrzehnte gedauert, bis die USA sich auf die neue Strategie umgestellt haben. In den letzten fünf Jahren haben sie gemäß der von Mann beschriebenen Strategie reihenweise stabile Staaten ins Chaos gestürzt. Mann selbst hat eine steile Karriere als Diplomat hingelegt und war in hohen und höchsten diplomatischen Posten für die aus US-Sicht strategisch wichtigsten Gebiete des Rimlands verantwortlich.

Wenn man den Spuren von Mann und dem National War College folgt, entdeckt man viele spannende Dinge. Zum Beispiel US-Depeschen bei Wikileaks mit Erwähnung von Steven R. Mann. Gleich in die erste reingeschaut und dort das gefunden:

USAID is working through its contractor, BearingPoint, to increase human capacity in several new government institutions, to prepare the strategy to support private sector development, and to support the introduction of International Financial Reporting Standards in Turkmenistan.
(….)
Together with the Institute, USAID’s partner, the International Center for Not-for-Profit Law, has laid out an ambitious plan for cooperation over the next year. Other USAID partners have made or are preparing to make other proposals based on feedback from the Institute.

Keine neue Information, aber eine Bestätigung aus offiziellen Dokumenten. USAID, die angeblich Entwicklungshilfe betreiben, arbeiten mittels Drittfirmen (im ersten Beispiel die Unternehmensberatung BearingPoint) daran, US-Agenten in die Behörden der “unterstützten” Staaten einzuschleusen (“increase human capacity in several new government institutions”).

USAID ist, wie im zitierten Beitrag schon erwähnt, eine der großen Koordinierungsstellen, die sehr viele andere, unverfänglich privat und gemeinnützig aussehende Firmen und NGOs lenkt.

Auf den Spuren des National War College habe ich noch etwas Nettes gefunden:

Ein Thriller von einem Absolventen des National War College. Erscheinungsjahr: 2010.

Wie prophetisch. Zwei Jahre nach Erscheinen des Buchs begann der große Aufstieg des IS und 2014 wurde das Kalifat auch wirklich ausgerufen.

An anderer Stelle wurde ich auf diesen feinen Artikel über Strategie aufmerksam. Kurz nachgeschaut und festgestellt, dass der Autor, Colonel John A. Warden III, ebenfalls bei dem National War College war:

Warden was promoted to Colonel at the age of thirty nine and selected for the National War College. Colonel Warden’s first book, The Air Campaign: Planning for Combat was published from his National War College research in 1988.

Wenn man ins Wespennetz reingestochen hat, kommt einem ein Füllhorn an Puzzlestücken entgegen. Die Bilder, die aus diesen Puzzles entstehen, finden Sie nicht in Ihrer Tageszeitung.

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Strategie des gelenkten Chaos

Sie haben vielleicht schon von der Strategie des gelenkten Chaos gehört, welche von den USA angewendet wird. Was hat es damit auf sich?

Diese Strategie wurde von Steven R. Mann in einem Fachartikel im Jahr 1992 propagiert. Er fordert dort nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Strategie der nationalen Sicherheit der USA. Das alte Paradigma  war mechanistisch. Es stellt die Denkweise eines Ingenieurs bzw. Technikers dar. Aus dieser Denkweise ergaben sich etwa die Forderungen nach Stabilität oder dem Gleichgewicht der Kräfte.

Mann sieht großes Potential darin, die Denkweise umzukrempeln und die Chaos-Theorie zur Basis strategischen Denkens zu machen. Hinter dem populistischen Begriff Chaos-Theorie steht die Betrachtung nichtlinearer Dynamiken. Mit nichtlinearer Dynamik lassen sich Systeme mit vielen aktiven Teilnehmern (was für politisch-soziale Systeme zutrifft) viel besser beschreiben als mit mechanistischen Modellen. Die Handlungen der Akteure lösen Kettenreaktionen aus und eine kleine Handlung kann (muss nicht, kann aber) zu sehr schwerwiegenden Folgen führen. Mechanistische Modelle können das nicht beschreiben, die Chaos-Theorie schon. Das mechanistische und nichtlinear-dynamische Weltbild unterscheiden sich auch dadurch, dass im mechanistischen Weltbild das System in sich stabil ist und Änderungen am System durch äußere Einwirkungen herbeigeführt werden müssen; chaotische Systeme dagegen verändern sich schon allein aufgrund interner Dynamiken. Politische Schlussfolgerung: Sie müssen außenpolitisch nicht aufwendig von außen auf einen Staat einwirken. Es kann viel einfacher sein, von innen heraus die passenden Kettenreaktionen in Gang zu setzen.

Wie lenkt man Chaos? In Wirklichkeit ist das Chaos nicht chaotisch, sondern streng geordnet, aber es wirken so viele Gesetzmäßigkeiten gleichzeitig und ihre Wechselwirkungen haben so weitreichende Folgen, dass wir nichtlineare Dynamik als chaotisch erleben. Wir können nicht vorhersagen, wie es weiter geht.

Besser gesagt, wir konnten es früher nicht vorhersagen. Als Mann 1992 seinen Aufsatz publizierte, hatte die Wissenschaft von der nichtlinearen Dynamik sich schon so weit entwickelt, dass man die Ordnung im Chaos zu erkennen begann. Man war (und ist immer noch) weit entfernt davon, es voll zu verstehen, aber es war genug, um bereits erste Schritte zur Lenkung nichtlinearer Systeme zu unternehmen.

Kennzeichnend für das Paradigma der Chaos-Theorie ist, dass es keine Homöostase gibt (den einen Gleichgewichtszustand), sondern lediglich temporär stabile Zustände, zwischen denen das System wechselt. Der Wechsel zwischen zwei stabilen Zuständen ist besonders chaotisch. In gesellschaftlichen Systemen erleben wir solche Zustandswechsel als Krisen: Kriege, Revolutionen, Verlust der alten Ordnung, Orientierungslosigkeit. Da in nichtlinearen Systemen schon kleine Änderungen große Wirkungen haben können, kann man Zustandswechsel mit relativ geringem Aufwand bewirken. Ein wenig Verständnis des Systems vorausgesetzt.

Das erste Ziel sei es daher, die nichtlinearen Dynamiken menschlicher Gesellschaften zu verstehen. Darauf aufbauend folgt das nächste Ziel, nämlich die gezielte Beeinflussung dieser Dynamiken. Im Sinne der US-Interessen.

Mann geht in seiner Arbeit noch nicht in große Details, benennt aber doch schon ein paar mögliche Faktoren, von denen ich nur einen erwähnen möchte: Konfliktpotential der Akteure. Je mehr Konfliktpotential vorhanden ist, desto schneller und leichter kann man ein System (also eine Gesellschaft) in einen Zustandswechsel überführen. Oder aus der Perspektive eines in dieser Gesellschaft lebenden Bürgers: die Gesellschafts ins Chaos stürzen.

Gelenktes Chaos bedeutet also nichts anderes, als dass die USA komplexe gesellschaftliche Dynamiken gezielt steuern sollen, um Gesellschaften in chaotische Phasen reinzutreiben. In diesen chaotischen Phasen ist eine Gesellschaft formbar. Selbstverständlich zum Vorteil der USA.

Bezüglich des Konfliktpotentials dürfen Sie gerne an die US-NGOs denken, die sich überall in der Welt für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzen und dabei das Konfliktpotential der Bevölkerung erhöhen. Sie dürfen an die Unterstützung von Oppositionellen überall in der Welt denken. Sie dürfen an die Unterstützung gemäßigter Rebellen denken. Sie dürfen auch an den aktuellen Flüchtlingsstrom nach Deutschland denken, der das Konfliktpotential im Land unübersehbar erhöht.

Das Konfliktpotential und das damit verbundene Potential, eine Gesellschaft ins Chaos zu stürzen, soll von den USA gezielt genutzt werden, schreibt Mann offen. Mal soll das Potential unterdrückt und gesenkt werden, mal soll es verstärkt werden. Je nachdem, was den US-Interessen am besten dient.

Gegen Ende des Artikels wird Mann besonders offenherzig. Hier die schönsten Zitate:

Conflict energy reflects the goals, perceptions, and values of the individual actor – in sum, the ideological software with which each of us is programmed. To change the conflict energy of peoples – to lessen it or direct it in ways favourable to our national security goals – we need to change the software. As hackers have shown, the most aggressive way to alter software is with a “virus,” and what is ideology but another name for a human software virus?

Konfliktenergie reflektiert also unsere ideologische Software. Um die Konfliktenergie im Sinne der US-Interessen zu manipulieren, müsse man folglich die ideologische Software verändern. Und das tue man – Hacker haben es vorgemacht – am besten mit einem Virus. Ideologie sei nichts anderes als ein Virus der menschlichen Software.

Man kann leicht freundliche Metaphern für Ideologie finden. Ideologie als Weltanschauung, als Orientierung, als verbindendes Element der Gesellschaft. Für Mann, den Strategen, ist Idelogie aber eine hinterhältige Waffe.

With this ideological virus as our weapon, the United States should move to the ultimate biological warfare and decide, as its basic national security strategy, to infect target populations with the ideologies of democratic pluralism and respect for individual human rights. With a strong American commitment, enhanced by advances in communications and increasing ease of global travel, the virus will be self-replicating and will spread in nicely chaotic ways. Our national security, therefore, will be best assured if we devote our efforts to winning the minds of countries and cultures that are at variance with ours. This is the sole way to build a world order that is of long duration (though, as we have seen, it can never achieve absolute permanence) and globally beneficial. If we do not achieve this ideological change throughout the world, we will be left with only sporadic periods of calm between catastrophic reorderings.

Die Ideologie sei eine Waffe, mit der die USA in den ultimativen biologischen Krieg ziehen sollen. Zielpopulationen sollen angesteckt werden, insbesondere Länder und Kulturen, die nicht auf einer Linie mit den USA sind.

Haben Sie noch die NGOs im Kopf? Deren Vertreter sind auch infiziert. Sie sind Überzeugungstäter, sie glauben, sie tun Gutes, indem sie anderen Kulturen ihre Werte aufdrängen. Sie müssen sich überhaupt nicht bewusst sein, dass ihre Überzeugung von elitären Kreisen ausgenutzt wird. Nicht per Befehl. Sondern viel subtiler, unter Anwendung systemischer Vorgehensweise. Das ist nichtlineare Dynamik: Sie können aus echter moralischer Überzeugung Gutes tun und dabei gar nicht merken, dass Sie gezielt als Virus eingesetzt werden und in Wirklichkeit überhaupt nichts Gutes bewirken.

A tangible implication of this analysis is a sharp increase in support for the United States Information Agency, the National Endowment for Democracy, and the numerous private-sector exchange and educational programs. This programs lie at heart of an aggressive national security strategy.

Das Herzstück einer aggressiven nationalen Sicherheitsstrategie seien Organisationen wie USIA, NED und private Austausch- und Bildungsprogramme.

USIA ist eine PR-Behörde. NED ist eine CIA-Ausgründung, um schmutzige CIA-Operationen der Kontrolle des Kongresses zu entziehen. Eine Reaktion auf ungemütliche Aufdeckungen von CIA-Machenschaften in den 70ern Jahren durch den Kongress. Die NED und einige weitere große Organisationen (darunter die USAID) stehen koordinierend an der Spitze eines inzwischen gigantisches Netzwerkes von staatlichen, pseudo-staatlichen und privaten Organisationen, die überall in der Welt Freiheit, Demokratie und Menschenrechte verbreiten. So glauben sie es jedenfalls selbst und so mag es aus ihrer persönlichen Perspektive auch aussehen. Dabei hängen sie an den Fäden mächtiger Puppenspieler.

We can learn to see chaos and reordering as opportunities, and not push for stability as an illusory end in itself.

Man solle gar nicht versuchen, nach Stabilität zu streben. Man solle das Chaos als Gelegenheit begreifen, um die Welt zu formen.

Sie fragen sich vielleicht, wer dieser Steven R. Mann ist wie viel Einfluss man seinen Ideen beimessen kann und wie systematisch dieser Einfluss stattgefunden hat.

Steven R. Mann ist nicht irgendwer. Er ist seit 1976 im US-Auslandsdienst aktiv, spezialisiert auf die Sowjetunion und Süd-Asien. Er hat US-Botschaften in Mongolien und Armenien eröffnet. Er war Botschafter in Turkmenistan. Er war Vermittler im Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Er war US-Beauftragter für Energiefragen rund um das Kaspische Meer. Er war 2003 im Irak im Einsatz.

In January 2008, he was named coordinator for Eurasian energy diplomacy, managing all U.S. Government diplomatic efforts on Eurasian oil and gas issues. Prior to that, he served as principal deputy assistant secretary for South and Central Asian affairs where he oversaw the full range of foreign policy matters in the region, including management of U.S. ties with India.

Koordinator für eurasische Energie-Diplomatie, verantwortlich für alle US-Belange hinsichtlich Öl und Gas in dieser Schlüsselregion. Vorher verantwortlich für die US-Außenpolitik in der gesamten süd- und zentralasiatischen Region, Indien eingeschlossen.

Mann ist ein Diplomat höchsten Ranges. Seine wichtigsten, verantwortungsvollsten und zeitlich überdauernden Einsatzgebiete liegen genau im Rimland, der aus US-Sicht strategisch wichtigsten Region der Welt.

Noch ein wichtiges Detail:

He is a 1991 distinguished graduate of the National War College.

Mann ist ein ausgezeichneter Absolvent des National War College. Das National War College ist so elitär, dass Eliteunis dagegen verblassen. Sie kennen vielleicht die United States Military Academy (USMA) in West Point, eine Elite-Militärschule. Nun, wenn Sie die USMA erfolgreich abgeschlossen haben und sich anschließend im Kriegseinsatz bewährt haben und Ihre Vorgesetzten der Meinung sind, dass Sie für Höheres berufen sind… dann dürfen Sie auf das National War College. Zwischen 60 und 75% der Studenten sind aus dem Militär. Etwa 25% sind Staatsbedienstete (Geheimdienstler eingeschlossen), so wie Mann. Für alle Studenten gilt, dass man sie für die wichtigsten strategischen Aufgaben der USA einplant und für die meisten Studenten gilt, dass sie ihre Tauglichkeit im Dienst für die USA schon bewiesen haben müssen.

Das National War College befasst sich ausdrücklich mit Strategie:

The College is concerned with grand strategy and the utilization of the national resources necessary to implement that strategy… Its graduates will exercise a great influence on the formulation of national and foreign policy in both peace and war….

Und noch mal direkt von der Startseite:

A senior-level course in national security strategy to prepare future military and civilian leaders for high-level policy, command, and staff responsibilities.

Mit Strategie befassen sich die Eliten der Eliten. Die Strategen geben allen anderen die Richtung vor.

Steven R. Mann hat also 1991 die Elite-Schmiede für Strategen mit Auszeichnung abgeschlossen. Und 1992 kommt sein Artikel raus. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist der Artikel eine Zusammenfassung seiner Abschlussarbeit. Die Strategie des gelenkten Chaos, für gut befunden und ausgezeichnet von US-Strategen auf höchster Ebene. Zwei Jahrzehnte hat es gedauert, um diese Strategie auf praktischer und taktischer Ebene zur vollendeten Reife zu führen. Die Anwendung können Sie live bewundern. Die letzten vier Jahre waren eine absolute Hochphase in der Praktizierung von gelenktem Chaos seitens der USA.

PS: Mann hat völlig Recht damit, dass nichtlineare Dynamik viel besser als alte mechanistische Modelle geeignet ist, um komplexe Systeme zu beschreiben. Unsere Gesellschaft beeilt sich leider nicht damit, diesen Fortschritt in das allgemeine Bildungssystem reinzutragen. Die Eliten setzen aber schon längst auf die Erklärungspower der nichtlinearen Dynamik, übrigens nicht nur in den USA. Ich empfehle Ihnen wärmstens, sich in diesen Stoff einzulesen.

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US-Strategie nach der Ukraine

Rückblick auf Stratfors Artikel “From Estonia to Azerbaijan: American Strategy After Ukraine” vom 25. März 2014, der hier im Blog bereits zitiert wurde.

Schon die Überschrift ist es wert, sich näher damit zu befassen. Es geht um “Strategie”. Im Volksmnd wird häufig nicht unterschieden zwischen Strategie und Taktik. An dieser Stelle ist es erforderlich, den Unterschied zwischen beidem deutlich zu machen, weil Stratfor wirklich Strategie meint und nicht Taktik. Überhaupt beschäftigt sich Stratfor viel mit Strategie, was diese Quelle auch so interessant macht.

Strategie meint einen langfristigen Plan. Strategie legt Ziele fest, die in ferner Zukunft erreicht werden sollen. Strategie bestimmt Zustande, die zeitlich überdauernd angesteuert werden sollen.

Taktik meint den kurzfristigen Plan. Taktik legt fest, wie die aktuellen Merkmale der Situation (Freund, Feind, man selbst, die Umwelt) bestmöglich genutzt werden können, um das kurzfristige Ziel zu erreichen.

Der wesentliche Unterschied zwischen Strategie und Taktik ist der zeitliche Horizont. Strategie und Taktik interagieren eng miteinander und können phasenweise sogar entgegengesetzt wirken. Beispiel: Eine offensive Kriegsstrategie führt dazu, dass Sie den Anteil offensiver Waffensysteme überdurchschnittlich hoch halten, dass Sie den Gegner auf denjenigen Gebieten in den Kampf verwickeln, wo ein Angreifer im Vorteil ist, dass Sie die Initiative ergreifen und sie zu behalten versuchen, usw. Ihre Taktiken werden sich an diese Strategie anpassen, aber das schließt keinesfalls aus, dass Sie auch mal einen Rückzug antreten oder an bestimmten Positionen oder zu bestimmten Zeitpunkten eine defensive Taktik wählen. Ihre Strategie beraubt Sie nicht der taktischen Flexibilität, gibt aber doch deutlich die Richtung vor, an die Sie sich halten. Ein taktisch bedingtes Abweichen von Ihrer Richtung, ein Umweg, ein Rückschritt, sind alle nur vorübergehend und der aktuellen Situation geschuldet. Gemäß Ihrer Strategie werden Sie alles dafür tun, zurück auf ihre Stammroute zu gelangen.

In der Politik müssen Sie Jahrzehnte auf einmal erfassen, um strategisches Handeln in voller Pracht zu erkennen. Wenn man die Strategie kennt, erkennt man sie auch im tagespolitischen Geschehen.

Der zwite wichtige Hinweis aus der Überschrift ist “von Estland bis Aserbaidschan”. Im Artikel wird das auch bebildert:

Von Estland bis Aserbaidschan. Die neue US-Eindämmungspolitik. Quelle.

Die Bildüberschrift klärt uns auf, worum es dabei geht: Eindämmung. Das war seit Ende der 1940er die offizielle US-Strategie gegenüber der Sowjetunion. 80 Jahre später ist das noch genauso aktuell. Das ist der große zeitliche Horizont von Strategie. Und mag die USA aus taktischen Gründen zwei Jahrzehnte lang den Eindruck von Freundschaft vermittelt haben (90er und 00er), sie haben dabei nicht vergessen, die NATO bis an Russlands Grenzen zu erweitern, ihren Eindämmungs-Ring enger um Russland zu ziehen, eine brutale Deindustrialisierung in Russland durchzuführen und Russland mit NGOs vollzustopfen, die man nutzt, um die russische Politik zu behindern und das Land von innen heraus zu destabilisieren (ein Beispiel). Die Wurzeln dieser Strategie sind noch deutlich älter als 80 Jahre. Die USA kamen aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Position, von der aus man Strategien solchen Maßstabs anwenden kann.

Steigen wir nach diesen Vorüberlegungen ein in den Text und wir erfahren gleich im ersten Absatz erhellendes:

As I discussed last week, the fundamental problem that Ukraine poses for Russia, beyond a long-term geographical threat, is a crisis in internal legitimacy. Russian President Vladimir Putin has spent his time in power rebuilding the authority of the Russian state within Russia and the authority of Russia within the former Soviet Union. The events in Ukraine undermine the second strategy and potentially the first. If Putin cannot maintain at least Ukrainian neutrality, then the world’s perception of him as a master strategist is shattered, and the legitimacy and authority he has built for the Russian state is, at best, shaken.

Die Ukraine-Krise nahm damals erst richtig Fahrt auf und war noch weit entfernt von ihrem Höhepunkt. Erst wenige Tage zuvor stimmte die Krim-Bevölkerung für den Anschluss an Russland und wurde die Krim in die Russische Föderation aufgenommen.

Friedman nennt uns die US-Ziele der Ukraine-Krise:

  • langfristige geographische Bedrohung Russlands (NATO in der Ukraine ist für Russland fast unmöglich zu verteidigen)
  • interne Legitimität von Putin untegraben

Die langfristige militärische Bedrohung Russlands war das bestmögliche Ergebnis der US-inszenierten Krise. Dass US-Strategen darauf gehofft, aber nicht wirklich daran geglaubt haben, sehen Sie an Friedmans Karte. Er hat die Ukraine nicht in den Eindämmungs-Ring der USA eingeschlossen, sah sie langfristig also nicht stark genug im Einflussbereich der USA. Die taktische Situation sah zu diesem Zeitpunkt so aus, dass die USA die ukrainische Politik voll kontrollierten und schon längst damit begannen, alle politischen Elemente, die in Zukunft der US-Linie gefährlich werden könnten, zu säubern. Friedman, der Stratege, ließ sich von derlei massiven taktischen Vorteilen aber nicht blenden.

Als realistisches Ziel der Ukraine-Krise hat er die Untergrabung von Putins Legitimität angesehen. Minimales Ziel war der Legitimitätsverlust in der ehemaligen Sowjetunion, angestrebt wurde aber auch Putins Legitimitätsverlust in Russland selbst. In den Augen der Welt sollte Putin das Ansehen als Meisterstratege verlieren.

Inzwischen wissen wir, dass die USA alle diese Ziele verfehlt haben. Mehr noch, das genaue Gegenteil ist eingetroffen. Putins Legitimität in Russland ist seit Ausbruch der Krise so hoch wie nie. Russlands Bindungen mit anderen ehemaligen Sowjetstaaten haben sich verbessert. Und Putins Ruf als Meisterstratege ist ebenfalls auf einem Hochpunkt, mit weiterem Potential nach oben. Für die USA ist aber alles noch viel schlimmer gekommen, denn im Zuge der Ukraine-Krise sind sie dabei, Alt-Europa zu verlieren (auf der Karte sind das die Staaten westlich des eingezeichneten Rings), sie müssen zusehen, wie Russland und China eine enge strategische Allianz eingegangen sind und inzwischen müssen sie zusehen, wie Russland ihren Einfluss im Nahen Osten reduziert.

Das Manöver “Ukraine-Krise” ist für die USA zu einer Katastrophe ausgeartet und inzwischen rudern sie auch zurück und gehen in die Defensive. Russlands Militäreinsatz in Syrien ist willkommen und dieser Tage hat John Kerry sogar die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland ins Gespräch gebracht. Sie können gerade live beobachten, wie die USA mit ihrer agressiv-offensiven Strategie aus taktischen Gründen eine defensive Haltung einnehmen. Sie brauchen eine Verschnaufpause, müssen sich neu sortieren. Ihre Strategie ist damit natürlich nicht abgeschafft. Noch nicht.

Zurück zu Friedmans Text:

The United States has been developing, almost by default, a strategy not of disengagement but of indirect engagement. Between 1989 and 2008, the U.S. strategy has been the use of U.S. troops as the default for dealing with foreign issues. From Panama to Somalia, Kosovo, Afghanistan and Iraq, the United States followed a policy of direct and early involvement of U.S. military forces. However, this was not the U.S. strategy from 1914 to 1989. Then, the strategy was to provide political support to allies, followed by economic and military aid, followed by advisers and limited forces, and in some cases pre-positioned forces. The United States kept its main force in reserve for circumstances in which (as in 1917 and 1942 and, to a lesser degree, in Korea and Vietnam) allies could not contain the potential hegemon. Main force was the last resort.

Rückblickend stellt er fest, dass die USA von 1914 bis 1989 (also 1., 2. Weltkrieg und Kalter Krieg) ihre Verbündeten mit Maßnahmen in folgender Reihenfolge unterstützte:

  1. politisch,
  2. wirtschaftlich,
  3. Waffenlieferungen,
  4. Militärberater und begrenzten Armeekontingente,
  5. Fronttruppen in begrenzter Anzahl,
  6. Haupttruppen

Ihre militärischen Hauptkräfte haben die USA immer aufgehoben, um sie nur im Notfall gegen den stärksten Akteuer (“potential hegemon”) einzusetzen.

Das ist die imperiale “Balance of Power” Strategie. Unterstütze die Schwächeren gegen die Stärkeren, lass sie gegeneinander kämpfen und sich gegenseitig schwächen und mische dich so wenig wie möglich mit eigenen Ressourcen ein. Lass die Trottel sich gegenseitig zerfleischen. Und dominiere sie dann.

In der Zeit von 1989 bis 2008 sind die USA von dieser bewährten, ressourcenschonenden Strategie abgerückt. Als einzig verbliebene Weltmacht glaubten sie, die Welt direkt und mit Gewalt beherrschen zu können. Der Einsatz von Haupttruppen rückte vom letzten Platz der Maßnahmenliste auf den ersten.

Friedman kritisiert diesen Wandel stillschweigend, indem er die notwendige Rückkehr zur alten Strategie verkündet:

(…) a somewhat analogous balance of power strategy is likely to emerge after the events in Ukraine. Similar to the containment policy of 1945-1989, again in principle if not in detail, it would combine economy of force and finance and limit the development of Russia as a hegemonic power while exposing the United States to limited and controlled risk.

Analog zum Kalten Krieg soll Russland mit begrenzten US-Ressourcen eingedämmt werden. Haben Sie die Rimland-Theorie noch im Kopf? Nichts anderes beschreibt Friedman hier. Und erinnern Sie sich auch noch an das “strategische Heartland” aus dem gleichen Artikel? Das ist das Tor zur russischen Festung, das Gebiet zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Und damit geht es bei Friedman auch weiter. Er nennt das Gebiet in Anlehnung an einen Polen “Intermarium“.

So in etwa sollte das Intermarium aussehen.

Friedmans Karte von weiter oben ist das dem Intermarium ähnliche Gebilde, das sich inzwischen herausschält und Realität wird.

Welche Kräfte treiben die Bildung der neuen Allianz an? Zunächst mal sei da die Unmöglichkeit der USA, sich militärisch in der Ukraine einzumischen. Zu groß das Risiko, den Krieg zu verlieren, zu schwach die Allianzen der USA mit angrenzenden Staaten. Direkter formuliert: Noch sind zu wenige Idioten da, die sich für die US-Interessen in der Ukraine aufopfern.

If the United States chooses to confront Russia with a military component, it must be on a stable perimeter and on as broad a front as possible to extend Russian resources and decrease the probability of Russian attack at any one point out of fear of retaliation elsewhere.

“Wenn die USA beschließen, Russland militärisch zu konfrontieren” – beachten Sie, wer das beschließen wird und dass es keinesfalls ausgeschlossen ist – dann brauchen die USA einen großen Umkreis mit einer möglichst breiten Front, um die russischen Kräfte auseinander zu ziehen und um jeden russischen Angriff an einem Frontabschnitt an anderen Frontabschnitten erwidern zu können. Das ist militärische Eindämmung.

Sehen Sie, ich schätze Friedman für seine Ehrlichkeit. Die “private CIA”, wie Stratfor genannt wird und sich gerne nennen lässt, schreibt in alle Welt heraus, dass die USA Russland militärisch angreifen würden, aber nicht mit den eigenen Kräften, sondern mit den Kräften der russischen Nachbarn, deren russlandfeindliche Einstellung man sich erst durch entsprechende Allianzen versichern muss.

Die NATO sei übrigens kein geeignetes Instrument dafür. Deren Mitglieder erleben Russland nicht mehr geschlossen als militärische Bedrohung. Viele NATO-Mitglieder seien militärisch zu schwach, um noch einen bedeutenden Beitrag leisten zu können. Und nicht zuletzt benötige die NATO Einstimmigkeit, um in den Krieg zu ziehen. Und diese Einstimmigkeit hinsichtlich Russland gibt es nicht mehr. Das heißt:

Therefore, any American strategy must bypass NATO or at the very least create new structures to organize the region.

Die US-Strategie muss die NATO umgehen oder mindestens neue Strukturen in der Region schaffen.

Tja. Das war es mit der NATO. Aber wir sind auf dem strategischen Schlachtfeld, hier benötigen Veränderungen lange Zeiträume. Die NATO kann nicht und wird nicht in kurzer Zeit abgeschafft werden. Aber denken Sie in 20 Jahren noch mal daran und schauen dann, was aus der NATO geworden sein wird. Formal wird sie dann wohl noch existieren, aber effektiv wird sie bereits ein Schatten ihrer selbst sein.

Weinen wir dem fallenden Stern nicht hinterher, sondern widmen uns der neuen, aufstrebenden, noch namenlosen Allianz. Deren Stützpfeiler sollen nach Friedman Polen, Rumänien und Aserbaidschan sein.

Hierzu mein Kommentar: Mit Polen ist es den USA sehr gut gelungen. Polen ist dasjenige Land aus Osteuropa, dem der EU-Beitritt am besten getan hat (und eins der wenigen, dem es überhaupt gut getan hat…). Die EU hat auch massiv dafür gezahlt, dass Polens Wirtschaft aufgebaut und an EU-Standards herangeführt wird. Zur gleichen Zeit haben die USA Polens Politik fest in ihre Hand genommen. Die EU hat das irgendwie voll verpennt, dass sie mit großem finanziellen Aufwand einen US-Vasall aufgebaut hat, der inzwischen für US-Interessen die EU angreift.

Zu Polen hat Friedman noch etwas zu sagen, was mich auch erst wieder an diesen Artikel vom letzten Jahr hat zurückdenken lassen:

Poland borders the Baltics and is the leading figure in the Visegrad battlegroup, an organization within the European Union.

Schon mal etwas von der Visegrad-Gruppe gehört? Ihr gehören Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn an. Gegründet wurde sie bereits 1991. Die Bedeutung dieses Bündnisses ist sicher stark untergeordnet und von lokaler Bedeutung. Noch.

Aus dem oben verlinkten Wikipedia-Artikel:

Trotz Mitgliedschaft in der NATO ist die kollektive Sicherheit weiterhin eines der Kernanliegen der Gruppe. Das, historisch begründet, teils angespannte Verhältnis zu Russland stellt heute nur noch eines der Aufgabenfelder dar. Mittlerweile rücken auch Probleme wie der Terrorismus und die Regelung des Grenzverkehrs ins Blickfeld. Bei ihrem Treffen am 12. Mai 2011 in Levoča wurden die Möglichkeiten zur Aufstellung einer gemeinsamen EU-Battlegroup bis zum Jahr 2016 erörtert. Die Einheit soll etwa Bataillonsstärke haben und unter der militärischen Führung Polens stehen[7][8].

Wo Militärkräfte vereinigt werden, wird es ernst. Die Flüchtlingskrise bietet eine schöne Gelegenheit, diese Entwicklung zu beschleunigen. Die Visegard-Gruppe stellt schon jetzt eine eigene Truppe zusammen, um die Südgrenze der EU gegen Flüchtlinge zu sichern. Übrigens demonstrativ ohne Rücksprche mit der EU. Das habe man nicht nötig.

Ein zartes Pflänzchen. Die Flüchtlingskrise ist der erste wachstumsfördernde Regenguss darauf. Die USA werden dieses Pflänzchen weiter hegen und pflegen, denn die Visegard-Gruppe stellt schon die Hälfte der von Friedman herbeigesehnten neuen Militärallianz.

Ein kurzer Blick in die englische Wiki fördert mehr interessante Details zutage. Es waren die Polen, die die Bildung der Kampfgruppe initiierten. Bereits 2011 wurde die Ukraine zur Teilnahme der Visegrad-Battlegroup eingeladen. Und 2014 hat die Gruppe einen “joint military body” innerhalb der EU gegründet, explizit begründet mit der Ukraine-Krise und der angeblichen russischen Bedrohung. Hier habe ich über diesen neuen, über 4000 Mann starken Verband, bereits berichtet.

Ich möchte keinesfalls behaupten, dass die Ukraine-Krise und die Flüchtlingskrise organisiert wurden, um der Visegrad-Kampfgruppe auf die Beine zu helfen. Wohl aber ist erkennbar, wie jede Krise (egal wer und wofür sie organisiert hat) gezielt genutzt wird, um die Entwickung der Visegrad-Kampfgruppe voranzutreiben. Die Visegrad-Gruppe kann man sich für die Zukunft vormerken, denn sie ist von strategischem Interesse für die USA.

Weiter mit Friedman und seiner Geopolitik-Lehrstunde:

In Western hands, Moldova threatens Odessa, Ukraine’s major port also used by Russia on the Black Sea. In Russian hands, Moldova threatens Bucharest.

So einfach ist das. Rumänien ist der zweite von Friedman auserkorene Stützpfeiler der neuen Militärallianz. Wenn Rumänien Moldawien kontrolliert, ist das eine Bedrohung für Russland. Wenn Russland Moldawien kontrolliert, ist das eine Bedrohung für Bukarest und damit eine Unterwanderung des US-Stützpfeilers in der Region. Spätestens jetzt wissen Sie, warum es so ein Gezerre um dieses arme kleine Land gibt und warum es nicht aufhören wird. Den USA geht es um ihre Hegemonie, Russland um die nationale Sicherheit. Solange die USA noch stark sind und Russland noch lebt, werden beide von dem jeweiligen Ziel nicht abrücken.

Aserbaidschan schließlich, das dritte Standbein der neuen Allianz, ist laut Friedman in vielerlei Hinsicht bedeutend. Erstens kann Aserbaidschan den Fluss von Jihadisten begrenzen, falls es im Süden Russlands zu einer Destabilisierung kommt. Zum Verständnis: Falls die Terroristen in Tschetschenien sich wieder vermehren, sorgt Aserbaidschan dafür, dass sie in Russland bleiben und dort ihr Unwesen treiben und nicht etwa nach Süden in den Nahen Osten auswandern. Dort haben die USA schon genug eigene Terroristen. Was Friedman nicht erwähnt (auch seiner Ehrlichkeit sind gewisse Grenzen gesetzt), ist, dass Aserbaidschan nicht nur den Terroristenstrom von Nord nach Süd aufhalten, sondern auch den Strom von Süd nach Nord ermöglichen könnte. Zweitens kann Aserbaidschan als Nachbar Georgien unterstützen. Das ist wichtig, weil Georgiens Häfen im Schwarzen Meer benötigt werden. Drittens kann Aserbaidschan als Bindeglied zwischen Iran und der EU hinsichtlich Gaslieferungen fungieren. Die russischen Gaslieferungen an die EU zu ersetzen, ist ein strategisches Ziel der USA, das sie mit aller Härte verfolgen.

Und dann ist da noch der Karabach-Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien:

Previously, this was not a pressing issue for the United States. Now it is.

Wie wahr, wie wahr. Der Stratege Friedman sagte es 2014 und ein Jahr später folgten die Taten der USA.

These countries, diverse as they are, share a desire not to be dominated by the Russians. That commonality is a basis for forging them into a functional military alliance.

“Diese Länder, so unterschiedlich sie sind, teilen den Wunsch, nicht von Russland dominiert zu werden. Diese Gemeinsamkeit ist die Basis, um diese Länder zu einer funktionierenden Militärallianz zu vereinen.”

Es lohnt sich, hier inne zu halten und die Gedanken ein wenig schweifen zu lassen. Diese für die USA strategisch wichtige Allianz steht und fällt damit, dass diese Länder sich von Russlands Dominanz bedroht sehen. Das bedeutet in direkter Schlussfolgerung, dass – völlig unabhängig davon, ob Russland diese Länder dominieren will oder nicht – diese Länder der festen Überzeugung sein müssen, dass Russland eine Bedrohung für sie ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit anti-russischer Propaganda, die man in diesen Ländern massiv verbreiten und aufrechterhalten muss. Was passiert, wenn man diesen Propaganda-Strom unterbricht, hat Friedman weiter oben geschildert: Manche NATO-Mitglieder lassen sich nicht mehr gegen Russland aufbringen, nachdem eine Zeitlang das Gefühl der direkten Bedrohung verschwunden war.

All of these countries need modern military equipment, particularly air defense, anti-tank and mobile infantry. In each case, the willingness of the United States to supply these weapons, for cash or credit as the situation requires, will strengthen pro-U.S. political forces in each country and create a wall behind which Western investment can take place. And it is an organization that others can join, which unlike NATO does not allow each member the right to veto.

Nachdem man diese Länder überzeugt hat, dass Russland der Feind ist, der nur darauf wartet, sie zu verschlingen, wollen sie Waffen haben, um sich zu verteidigen. Und die USA sind bereit, ihnen alles notwendige zu liefern. Das wird den US-Einfluss in diesen Ländern weiter stärken und eine Mauer aufbauen, hinter der der Westen in Ruhe seinen Geschäften nachgehen kann. Und das Sahnehäubchen für die USA: Die neue Organisation wird im Gegensatz zur NATO kein Vetorecht einzelner Mitglieder haben. Fantastisch. Ich darf ergänzen, dass die neue Organisation ein Abstimmungssystem bekommt, bei welchem die Mehrheit der Stimmanteile eine Entscheidung besiegelt und bei dem die Stimmanteile sich nach investiertem Geld / Waffenstärke / Truppenstärke / Sonstiges zusammensetzen, aber in jedem Fall so, dass die USA allein oder mit wenigen ganz treuen Vasallen die erforderliche Mehrheit erreichen.

Greif zu, USA! Lass dich beschützen, Europa!

Friedman beschreibt ganz offen ein Puppenspiel, bei dem Menschen sich Propaganda ins Gehirn scheißen lassen müssen, ihre Steuern für US-Waffen ausgeben müssen und ihre Leben im Krieg für US-Interessen opfern müssen, wenn die USA es beschließen. Und das alles nur… weil diese Menschen das Pech haben, in der Nähe (nicht einmal in direkter Nachbarschaft) eines Staates geboren worden zu sein, den die USA als Hauptbedrohung ihrer imperialer Ansprüche wahrnehmen.

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Russlands Militäreinsatz in Syrien

Seit über einem Jahr bombardiert eine Koalition der Freiwilligen unter Führung der USA IS-Ziele im Irak, später auch in Syrien. Über 7000 Schläge auf IS-Ziele wurden durchgeführt. Mit welchem Effekt? Man erkennt es leicht auf der Karte:

Erfolge der US-Operationen gegen den IS

Schwarz eingezeichnet sind die vom IS kontrollierten Territorien. Rot sind die Flächen, die IS im ersten Halbjahr 2015 verloren hat, grün sind die Flächen, die der IS im gleichen Zeitraum erobert hat.

Wir sehen die Fangarme des IS, die nach Bagdad greifen und wir sehen, dass diese abgehackt wurden. Wir sehen außerdem, dass die Kurden im Norden Syriens größere Gebiete erobert haben. Wir sehen auch, dass der IS in Richtung Damaskus vorrückt.

Insgesamt sehen wir, wie die USA den IS vom Osten und Norden her nach Südwest treiben. Sie zerstören den IS nicht, sie kontrollieren lediglich seine Stoßrichtung.

Nun hat sich Russland eingeschaltet. Seit zwei Wochen bombardiert ein Kontingent der russischen Luftwaffe den IS und andere “moderate Rebellen”. Die Hysterie in der westlichen Presse ist groß.

Betrachten wir das große Ganze. Der IS ist ein Werkzeug der USA, ein Rammbock, um bestehende Grenzen im Nahen Osten aufzulösen. Die “moderaten Rebellen” sind aus der gleichen Werkzeugkiste und dienen dem genau gleichen Zweck. Man hat sie erfunden, um die Ausbildung und Versorgung von Terroristen im Nahen Osten öffentlich zu rechtfertigen, nachdem es nicht mehr verheimlicht werden konnte.

Der große Unterschied.

Der IS vereint viele komische Zufälle in sich. Geboren im komplett von der USA kontrollierten Irak, fördern seine Aktivitäten strategische US-Ziele. Der IS hat es auf die Länder abgesehen, die den USA ein Dorn im Auge sind: Irak, Syrien. Zufälligerweise hat der ultrabrutale, radikalislamistische IS nichts gegen Israel einzuwenden und bisher überhaupt nichts gegen Israel unternommen.

Israel dagegen nutzt die Gunst der Stunde, um seinen Feind Syrien mit Agenten zu überfluten und um direkt militärisch einzugreifen – gegen Syrien, nicht gegen den IS. Wie massiv Israel in Syrien mitmischt, merken Sie zum Beispiel daran, dass rechtzeitig vor dem Beginn des russischen Luftwaffeneinsatzes ein israelisch-russisches Koordinationszentrum eingerichtet wurde. Netanjahu ist zeitgleich dazu in Moskau gewesen, was den Ernst der Situation nur zusätzlich unterstreicht.

Dass ein solches Koordinationszentrum nötig ist, zeigt uns, dass Israel sehr aktiv auf syrischem Gebiet operiert. Und es zeigt uns ein weiteres mal, dass Atommächte aus strategischen Gründen nie in direkten Konflikt miteinander geraten dürften. Israel ist eine sehr ernstzunehmende Atommacht. Aus dem gleichen Grund wurde auch ein Koordinationszentrum zwischen USA und Russland eingerichtet. Drei Atommächte tummeln sich jetzt in Syrien.

Um zu verstehen, warum in Syrien das passiert, was da gerade passiert, muss man zurück schauen und den Fall Libyen studieren. Lassen wir die Gründe für den Zorn der USA auf Gaddafi außer Acht und halten einfach fest, dass beschlossen wurde, ihn zu entfernen. Mit einer friedlichen farbigen Revolution ließ sich Gaddafi nicht stürzen, also musste nachgeholfen werden. Zuerst mit Rebellen, die das Land in einen Bürgerkrieg stürzten, später mit einer Flugverbotszone, welche von der NATO für Bombardements genutzt wurde. Nachdem Libyens Militär entscheidend geschwächt und Libyens Infrastruktur massiv zerbombt wurde, war es den Rebellen endlich möglich, das Land ins Chaos zu stürzen. In dem das Land bis heute verweilt und aus dem das Land nicht herauszuholen ist, wenn die USA ihre Zustimmung dazu versagen.

In Syrien wiederholt sich das gleiche Spiel. Assad kam auf die schwarze Liste der USA. Eine farbige Revolution wurde initiiert, führte aber nicht zum Erfolg. Es tauchten Rebellen auf, die die nächste Eskalationsstufe (Bürgerkrieg) einleiteten. Immer noch kein Erfolg. Als nächstes kommt: die Flugverbotszone. Die genutzt wird, um die syrische Armee entscheidend zu schwächen. In der Folge stürzen die Rebellen das Land ins Chaos.

Die Flugverbotszone ist der Schlüssel. Wie die Financial Times berichtet (Artikel mit Zugriffsschranke, aber Google Cache bietet vollen Zugriff), wurde erst vor wenigen Wochen, nach monatelangen Verhandlungen, eine Flugverbotszone über Syrien vereinbart, “to end the Assad regime’s bombing of civilians in northern and southern Syria”, wie es heißt, oder im Klartext: um Assad endlich zu stürzen. Die Vereinbarung basiert auf jordanischen und türkischen Plänen. Die EU ist Teil der Koalition, die sich an diesem Plan beteiligt. Es wird ein europäischer Diplomat zitiert, der gesagt hat, dass die EU sich von der Flugverbotszone eine politische Lösung des Konflikts (= Assads Sturz) erhofft. Im Beitrag wird klar formuliert, dass Russlands Luftwaffenpräsenz in Syrien diesen Plan begraben hat. Hillary Clinton hat eine Flugverbotszone über Syrien noch am 2. Oktober propagiert, als Russland bereits Luftangriffe über Syrien flog.

Betrachten wir die Situation nun aus Russlands Perspektive.

Der IS ist noch damit beschäftigt, Syrien zu bekämpfen. Was tun die Kämpfer, wenn sie damit fertig sind? Sie suchen sich neue Ziele. Zu den neuen Zielen gehört auch der Kaukasus, Russlands südliche Region zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Der Kaukasus wird von den USA seit dem Afganistan-Krieg der 80er Jahre als Einfallstor für Islamisten genutzt. Viele von den Tschetschenienkriegen übrig gebliebenen Rebellen kämpfen heute in den Reihen des IS und anderer Terroristengruppen. Junge, radikal eingestellte Tschetschenen sind dazugekommen.

Das große Kriegsgebiet des Nahen Ostens gebiert Tausende kampferprobte Rebellen und Terroristen. Das sind Leute, die keine Angst vor dem Tod haben, die im Krieg ruhig und abgebrüht agieren. Das sind Leute, die keinen Platz in ihrer Heimat gefunden haben und deshalb zur Rebellion bereit sind. Das sind Leute, die gelernt haben, Probleme mit Krieg zu lösen. Weder hat Russland Lust, dass durchs Feuer gegangene tschetschenische Terroristen zurück nach Russland kommen, noch hat Russland Lust, dass das Chaos im Nahen Osten sich weiter verbreitet und noch mehr Terror gebiert.

Chaos und Staatenlosigkeit im Nahen Osten behindern auch die eurasischen Integrationsbemühungen von Russland und China. Wie können geplante Straßen, Schinennetze und Pipelines im und durch den Nahen Osten gebaut werden, wenn dort Chaos herrscht? Gar nicht. Infrastrukturprojekte setzen Stabilität und Sicherheit voraus.

Vergessen Sie Assad. Es geht nicht um Assad. Weder für den Westen, noch für Russland. Der Name des aktuellen syrischen Staatsoberhauptes ist völlig beliebig. Es geht um Syrien. Es geht darum, was mit Syrien geschehen wird. Es geht darum, ob der Staat Syrien zerstört wird oder ob er bestehen bleibt. Die USA arbeiten an der Zerstörung Syriens, Russland am Erhalt. Betrachten Sie auch die verschiedenen Terror- und Rebellengruppen in Syrien durch dieses Prisma und Sie werden verstehen, warum wer wen bekämpft.

Russland arbeitet schon lange an einer Koalition gegen den IS. Das Ziel ist eine echte Terroristenbekämpfung und der Erhalt der syrischen Staatlichkeit. Die angestrebte Koalition wurde gebildet. Russland, Iran, Irak und Syrien haben sich auf einen Plan verständigt.

Der Plan sieht so aus: Russland stellt seine Luftwaffe zur Verfügung, um dem IS (und allen anderen Banden, die an der Zersetzung des syrischen Staates arbeiten) einen empfindlichen Erstschlag zu verpassen. Kommandozentren, Waffenlager und andere Infrastrukturobjekte des IS und der Rebellen werden aus der Luft zerstört. Damit allein kann aber kein Krieg gewonnen werden. Hier kommen nun die anderen ins Spiel. Syrien wird auf seinem Gebiet eine Bodenoffensive starten, unterstützt von Iran, Hisbollah und den Kurden. Irak als geographisches Bindeglied zwischen Iran und Syrien öffnet Luftraum und Verkehrswege für die Koalitionspartner. Russland und Iran unterstützen auch mit Waffen und Munition. Wenn das Chaos beseitigt ist, wird die Macht in Syrien neu aufgeteilt. Assad wird vielleicht sogar gehen, aber nicht so, wie die USA es wollen, und nicht mit den Folgen, die die USA haben wollen.

Die sichtbaren russischen Vorbereitungen begannen im September. Sie waren betont sichtbar. Russische Schiffe mit unverdecktem Kriegsgerät an Bord sind durch den Bosporus gefahren und die Soldaten haben sich dabei fotographiert und die Fotos ins Netz gestellt. Was hat sich unsere Presse die Mäuler darüber zerrissen. Russische Detektiv-Blogger haben die Fotos gesammelt und SPON & Co haben eine schreiende Schlagzeile nach der nächsten daraus produziert. Es würde mich nicht wundern, wenn die russischen Internet-Detektive, die unsere Presse hochgejubelt hat, in Wirklichkeit Agenten russischer Geheimdienste waren. Hätte Russland die Waffenlieferungen geheim halten wollen, hätte es das getan. Der Westen sollte es sehen. Die richtigen Leute haben das Signal verstanden.

Es ist der westlichen Presse bei all dem übrigens nicht gelungen, einen juristischen Makel aufzudecken. Russland hat Rüstungsverträge mit Syrien. Die russischen Soldaten in Begleitung des Kriegsgerätes sind eine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht. Egal, an wen Russland militärisches Gerät ausliefert, ein Kontingent der Armee bewacht die Lieferung bis zur korrekten Übernahme. Alle Leistungen der russischen Armee in Syrien sind mit der Syrischen Regierung koordiniert und erfolgen nur in Absprache. Russland wurde von der syrischen Regierung um militärische Hilfe gebeten.

Nach geltendem internationalem Recht dürfen Staaten auf dem Gebiet anderer Staaten nur dann militärisch eingreifen, wenn sie darum gebeten wurden oder wenn es einen entsprechenden UN-Beschluss gibt.

Im Westen wird Panik geschürt ob eines möglichen russischen Bodentruppeneinsatzes. Lassen Sie sich davon nicht veralbern. Russische Bodentruppen in Syrien wären ein Traum für die USA. Eine solche Falle haben sie der Sowjetunion in Afghanistan gestellt und das würden die USA liebend gern wiederholen. Russland wird den Fehler aber nicht noch einmal machen. Für die Bodenunterstützung sind andere Koalitionspartner zuständig. Lassen Sie sich auch nicht russische Instruktoren als Bodentruppen verkaufen. Russland liefert komplexe Militärtechnik nach Syrien. Der Umgang damit ist nicht selbsterklärend, bei manchen Systemen muss ein halbes Dutzend Soldaten koordiniert miteinander handeln. Wartung und Reparatur müssen auch beigebracht werden. Daneben gibt es in Syrien russische Militäreinheiten mit speziellen Aufgaben, wie etwa die Wiederherstellung der Radiokommunikation der syrischen Armee. Die Rebellen haben nämlich die Radiokommunikation der syrischen Armee technisch unterdrückt. Fragen Sie bei der türkischen Armee nach, mit welchen Technologien man das bewerkstelligt. Russland kann auch gegen solche Störeinflüsse sichere Kommunikation aufbauen und tut das in Syrien. Nicht zuletzt werden russische Militärexperten in Syrien unterwegs sein, um die Wirkung der Luftschläge genau zu analysieren.

Ende September war alles vorbeiretet. Pünktlich zur 70. UN-Generalversammlung. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Putin hat vor aller Welt alle eingeladen, den IS ernsthaft zu bekämpfen. Das ist ein diplomatischer Schachzug. Was Putin in Russland bekannt gibt, auch wenn es an die ganze Welt gerichtet ist, muss nicht in der ganzen Welt gehört werden. Wenn Sie im Westen leben, werden Sie nichts von Putins konstruktiven Vorschlägen mitbekommen. Ihnen präsentiert man nur Hitler-Vergleiche und lenkt Sie mit debilen Psychoanalysen Putins vom Wesentlichen ab.

Eine UN-Generalversammlung ist schon ein ganz anderer Maßstab. Bei aller medialer Macht kann der Westen nicht vollständig unterdrücken, was hier gesagt wird (auch wenn die Bemühungen zur Auslassung, Verdrehung, Ablenkung und Lüge kolossal sind, schauen Sie sich etwa dieses Beispiel an). Und so findet Putins Einladung, gemeinsam den IS zu bekämpfen, in aller Welt Gehör. Wenn die US-Koalition der Einladung folgt, ist es gut für alle, außer für die US-Koalition. Wenn die USA der Einladung nicht folgen, entlarven sie sich in der breiten Öffentlichkeit. Eine Falle.

Der einzige Schutzschild der USA ist ihre Behauptung, dass Assad kleine Kinder bombardiert und man keiner Koalition beitreten könne, in der Assad mit vertreten ist. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt solcher Vorwürfe kann sich diese Haltung als Falle erweisen, wenn der IS tatsächlich besiegt wird und die Macht in Syrien neu verteilt wird. Eine internationale Krise wäre ohne US-Beteiligung (und sogar gegen deren Wirken) gelöst. Das wäre der Moment, in dem der Junge schreit: “Der König ist nackt!”.

Ein Teil der US-Eliten ist sich dessen bewusst. Derzeit kann man eigentlich nicht von den USA als einem Teilnehmer im Syrienkrieg sprechen. Die USA sind mit zwei Lagern vertreten: Die Radikalen und die Gemäßigten. Verwechseln Sie das nicht mit Republikanern und Demokraten. Verwechseln Sie das nicht mit Guten und Bösen. Es geht um die Eliten hinter der Politik, es geht um das ganz große Geld. In der Politik haben beide Lager in beiden US-Parteien ihre Marionetten. Hillary Clinton etwa vertritt als Demokratin das radikale Lager. McCain tut es aus den Reihen der Republikaner. Obama, Kerry und Biden sind Vertreter der Gemäßigten. Beide Lager sind moralisch auf dem gleichen Niveau. Sie unterscheiden sich nur darin, welche Mittel sie als zweckdienlicher ansehen. Die Radikalen wollen alles mit dem Knüppel lösen. Die Gemäßigten sind nicht etwa friedfertiger, sie glauben lediglich, dass andere Mittel (z. B. TTP und TTIP), zur Not sogar Kompromisse, in der aktuellen Situation risikoärmer oder günstiger sind.

Nehmen Sie beispielsweise Hillary Clinton, die an Obamas Seite gewirkt hat. Sie distanziert sich derzeit von allen Projekten Obamas: gegen TTP, gegen Obamacare (das große innenpolitische Vermächtnis von Obama), für eine Flugverbotszone in Syrien (damit für eine aggressive militärische Lösung auch gegen Russlands Widerstand). Ein anderes Beispiel: Condoleezza Rice (ehemalige Außenministerin) und Robert Gates (ehemaliger Verteidigungsminister) machen schon in der Überschrift die Richtung klar: “How America can counter Putin’s moves in Syria”. Bei den Radikalen ist Konfrontation gegen Russland angesagt. Das hat höhere Priorität, als gemeinsam den IS auszulöschen. Und dann noch Ashton Carter, derzeitiger Verteidigungsminister: “Russia will pay price for Syrian airstrikes“.

Der Ankündigung sind bereits Taten gefolgt. Die USA versorgen die Rebellen mit Munition, und die US-Partner versorgen die Rebellen mit stärkeren Waffen.

Vergleichen Sie das zum Beispiel mit der Rede von US-Außenminister John Kerry vom 30. September. Russland begann mit den Luftschlägen und Kerry hat praktisch das US-Einverständnis dazu verkündet. Ein paar Ausschnitte:

We also need to exert pressure in support of peace, perhaps one of the most important components of our responsibility in places such as Libya, for instance, where instability feeds the kind of chaos and fear in which extremist organizations thrive – and we see that now with the presence of ISIL in Libya.

Hui, die USA übernehmen die Verantwortung für das Chaos in Libyen.

Now, I’d like to add a few thoughts about Syria, specifically, ISIL and Russia. The United States supports any genuine effort to fight ISIL and al-Qaida-affiliated groups, especially al-Nusrah. If Russia’s recent actions and those now ongoing reflect a genuine commitment to defeat that organization, then we are prepared to welcome those efforts and to find a way to de-conflict our operations and thereby multiply the military pressure on ISIL and affiliated groups.

Herzlich willkommen, russischer Militäreinsatz!

But we must not and will not be confused in our fight against ISIL with support for Assad. Moreover, we have also made clear that we would have grave concerns should Russia strike areas where ISIL and al-Qaida-affiliated targets are not operating. Strikes of that kind would question Russia’s real intentions fighting ISIL or protecting the Assad regime.

Zur UN-Generalversammlung war die Frage um Assads Zukunft noch nicht geklärt. Achten Sie auf diplomatische “Kleinigkeiten”: Die USA wären “sehr besorgt”, wenn Russland die falschen Terroristen beschießt. Ohne Ankündigung von Konsequenzen, was in so einem Fall passieren würde. Die Botschaft an Russland: Wenn ihr macht, was ihr wollt, können und werden wir nichts dagegen machen, außer herumjammern. Die Botschaft ans heimische Publikum: Wir halten die Russen schon im Zaum, damit sie keinen Unfug treiben.

Wie schon gesagt, ist Assads Persönlichkeit völlig nebensächlich. In der EU stimmt man die Zombies schon darauf ein, dass Assad auch “übergangsweise” – und auf unbestimmte Zeit – bleiben könne, wenn es denn sein soll, um gemeinsam den IS zu bekämpfen. Weiter mit Kerry:

Now, we have informed Russia that we are prepared to hold these de-confliction talks as early as possible – this week.

As President Obama said on Monday, “The United States is prepared to work with any nation, including Russia and Iran, to resolve the conflict. But we must recognize that there cannot be, after so much bloodshed, so much carnage, a simple return to the pre-war status quo.”

So in conclusion, I call on all concerned governments – including Russia, including Syria – to support a UN initiative to broker a political transition.

Erinnern Sie sich noch daran, wie Obama erst vor einem Jahr die drei großen Seuchen benannte? Ebola, IS und Russland. Plötzlich ist Russland willkommener Partner in einer großen US-russischen Streitfrage. Die Gemäßigten in den USA haben erkannt, dass die Keule sie nicht weiter bringt.

Wir konstatieren eine tiefe Spaltung der US-Eliten. So sieht der Untergang eines Imperiums aus. Große Eroberungen sind nicht mehr möglich. Die Elitten ringen um den verbliebenen und weiter schwindenden Besitz. Politisch hat man die Wahl zwischen schlecht und schlecht, so dass sich kein Konsens einstellen mag.

Zurück nach Syrien und hinein ins Kampfgetümmel. Nach der Ankündigung bei der UN-Vollversammlung schritt Russland zur Tat. Seit knapp zwei Wochen werden IS und andere “moderate” Rebellen bombardiert. Alle Rebellen, die offiziell moderat sind, werden damit vor die Wahl gestellt: zur von Russland angeführten Koalition wechseln (faktisch: sich der syrischen Armee anschließen) oder… sterben. Dadurch wird an den Fronten Klarheit geschaffen.

Bei dieser Strategie ist das psychologische Moment wichtiger als der Kampf selbst. Syriens Oppositionelle vor Ort sind Opposition geworden, weil ihnen von US-Eliten versichert wurde, dass sie nach einer Übergangsphase und Assads Sturz zur neuen Macht im Lande gehören würden. Das ist die ganz normale menschliche Eigenschaft, sich im Wind zu drehen. Man lehnt sich an den stärkeren an. Man unterwirft sich dem aktuell stärksten Spieler, egal wer es ist. Und bei Gelegenheit versucht man die Hierarchieleiter aufzusteigen. So eine Gelegenheit bot sich den Syrern. Wenn sich der Wind dreht, drehen sich die Oppositionellen auch wieder.

Russland Einsatz drehte den Wind um. Aber wie oben schon verlinkt, pusten die USA bereits aus der Gegenrichtung und intensivieren die Waffenlieferungen an die Rebellen. Das macht die Entscheidung wieder schwer. Wohin soll man sich drehen, wenn der Wind aus allen Richtungen bläst? Wenn dieser Zustand weiter anhält, wird er den Krieg enorm verlängern. Ob er anhält oder nicht, hängt davon ab, welches Lager in den USA die Überhand nimmt. Obama hat am 2. Oktober angekündigt, dass die USA keinen Stellvertreterkrieg beginnen werden. Zehn Tage später berichten US-Medien (siehe oben), wie die USA einen Stellvertreterkrieg in Syrien beginnen. Es ist nicht das erste mal, dass das Radikale Lager Obama symbolisch eins auswischt, indem es das Gegenteil dessen geschehen lässt, was Obama verkündet.

Was gibt es über den russischen Einsatz noch interessantes zu berichten? Durchaus einiges. Zum Beispiel die Tatsache, dass Russland die Gelegenheit selbstverständlich nutzt, um verschiedene Waffensysteme im realen Krieg zu testen und zu vergleichen. Das passiert systematisch. Die eingesetzten Flugzeuge setzen sich beispielsweise aus neueren Su-30 und Su-34 und den alten Su-24 und Su-25 zusammen. Spannend: die neuen Flugzeuge tragen selbstnavigierende Raketen. Die Treffen ihr Ziel genau, sind aber extrem teuer. 100.000 $ pro Rakete sind keine Besonderheit. Die alten Flugzeuge bestückt man mit einfachen, günstigen Bomben. Die können nichts anderes als passiv zu fallen. Problem: Ob und welches Ziel getroffen wird, ist schwer vom Zufall abhängig. Russische Problemlösung: Man modernisiert die Flugzeuge mit einer speziellen Software, die unter Berücksichtigung der aktuellen Witterungsverhältnisse und gestützt auf GLONASS-Koordination (russisches GPS) das Flugzeug so positioniert, dass die abgeworfene Bombe unter der Einwirkung der Schwerkraft eine punktgenaue Landung vollführt. Das System ist seit einigen Jahren im Einsatz und findet den besten Zuspruch bei den Luftstreitkräften. Vorteil: billige Bomben können mit der Genauigkeit von selbstnavigierenden Raketen abgeworfen werden. Nachteil: Das Flugzeug kann nicht von überall her feuern, sondern nur aus bestimmter Position. Das bedeutet, dass das Flugzeug verwundbar ist, weil es unter Umständen in eine Zone reinfliegen mus, die der Feind mit Luftabwehrsystemen kontrolliert. In Syrien stellt sich dieses Problem (noch) nicht, weil die Rebellen mit ihren portablen Luftabwehrsystemen nicht so hoch schießen können, wie die russichen Flugzeuge fliegen.

Interessant ist auch, dass Russland nicht nur Kampfflugzeuge, sondern auch effektive S-300 Flugabwehrsysteme nach Syrien gebracht hat. Ein zartes Signal an die US-Koalition, dass sich ihre Luftwaffe besonnen verhalten sollte. Und eine klare Absage an die geplante Flugverbotszone. Russland hat das internationale Recht auf seiner Seite: Es verteidigt auf Syriens Bitte den syrischen Luftraum. Die US-Koalition dringt dagegen ohne Syriens Bitte und ohne UN-Beschluss täglich in den syrischen Luftraum ein und bombadiert ohne irgendwelche Absprache mit Syrien irgendwelche Ziele. Juristisch gesehen hat Russland die Erlaubnis, US-Kampfflugzeuge über syrischem Luftraum abzuschießen. Die Gefahr, dass es in der Praxis so weit kommt, ist aber sehr gering.

Interessant ist eine weitere russische Botschaft: Russland hat den IS vom Kaspischen Meer aus mit Kalibr-Raketen beschossen (Video). Wenn Sie auf der Karte schauen, stellen Sie fest, dass die Raketen eine Entfernung von etwa 1500-2000 km überbrückt haben und dabei Iran und Irak überflogen haben. Das ist eine Ansage in vielerlei Hinsicht. Vor allem auch an die USA. Russland kann allein vom kaspischen Meer den gesamten Nahen Osten mit selbstnavigierenden Raketen erreichen, ohne dass der Westen unmittelbar etwas dagegen tun kann. Putin hat das kommentiert:

Es ist eine Sache, auf Expertenlevel zu wissen, dass Russland solche Waffen wohl besitzt. Es ist eine andere Sache, sich zu vergewissern, dass Russland gewillt ist, diese Waffen einzusetzen, wenn es den nationalen Interessen unseres Staates und des russischen Volkes entspricht.

Eine Warnung an das Lager der Radikalen in den USA. Eine Einladung zumindest an die nicht voll entschlossenen, ihre Position zu überdenken. Ein Versuch, das Gleichgewicht der Radikalen und Gemäßigten zu stören und das Kräfteverhältnis in Richtung der moderaten US-Eliten zu kippen.

In Syrien wird entschieden, ob der Nahe Osten tiefer im Chaos versinkt oder ob es eine Wende hin zur Stabilität geben wird. Das ist der Grund des aktuellen Krieges. Der Anlass der russischen Beteiligung sind die Pläne des Westens, eine Flugverbotszone über Syrien einzuführen und Assad wegzubomben wie Gaddafi in Libyen. Die Entscheidung ist damit vertagt. Für wie lange sie vertagt ist, hängt davon ab, ob sich im Westen die Moderaten oder die Radikalen durchsetzen können.

 

Nachtrag, 25.11.2015: Im Text war ein Fehler: Die Syrien unterstützenden Bodentruppen kommen natürlich nicht von der Hamas (wie ursprünglich geschrieben), sondern von der Hisbollah. Der Fehler ist korrigiert. Danke an den aufmerksamen Leser für den Hinweis!

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Das Vergehen der Ärzte ohne Grenzen

Am 3. Oktober haben die US-Streitkräfte ein Krankenhaus der Organisation “Ärzte ohne Grenzen” in Afghanistan zerbombt. 22 Zivilisten starben, darunter 12 Mitglieder der Organisation.

Die GPS-Koordinaten des Krankenhauses wurden den Streitkräften übergeben, als das Gebäude bezogen wurde. Den Streitkräften war also bekannt, dass es sich bei dem beschossenen Gebäude um ein Krankenhaus handelte. Außerdem wurden die Streitkräfte nach dem ersten Beschuss sofort vom Krankenhaus informiert und aufgefordert, das Feuer einzustellen, aber der Beschuss dauerte noch eine halbe Stunde an. Die US-Streitkräfte behaupten, feindliche Kräfte beschossen zu haben, die eine Bedrohung dargestellt hätten. Das Krankenhauspersonal kann sich an keine Kampfhandlungen im Vorfeld des Bombardements erinnern.

Ein böser Zufall?

Ärzte ohne Grenzen sprechen sich seit Monaten mit Nachdruck gegen TTP aus. TTP ist eine der beiden Säulen der strategischen US-Außenpolitik. Es wird unter anderem die Preise für Medikamente steigen lassen. Mehr Menschen werden sterben, weil sie sich die Medikamente werden nicht leisten können. Deswegen laufen Ärzte ohne Grenzen Sturm gegen das Abkommen.

Welch Zufall. Die chirurgisch präzisen Raketen der USA verirren sich über eine halbe Stunde lang präzise auf die Köpfe unliebsamer Kritiker.

Der Vorfall ereignete sich zwei Tage vor der Unterzeichnung des Abkommens.

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Die Nato warnt!

Schlagzeile eines großen deutschen Online-Mediums:

Nato warnt vor weiteren Bombardements gegen Rebellen

Preisfrage: Wen warnt die Nato?

a) Kiew
b) Moskau
c) Washington

Alle bombardieren sie Rebellen.

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Die Kontinuität der Geopolitik

Sir Halford Mackinder gilt als Begründer der Wissenschaft von Geopolitik. 1904 hielt er den vielbeachteten Vortrag “The Geographical Pivot of History” in der Royal Geographical Society in Großbritanien. Dabei stellte er seine Heartland-Theorie vor. Europa, Asien und Afrika werden darin als die große Weltinsel betrachtet. Sie vereint die meiste Bevölkerung und den Großteil natürlicher Ressourcen. Das Herzland der Weltinsel umfasst Osteuropa und Nordasien und deckt sich stark mit dem Gebiet der Sowjetunion. Das Herzland wird umschlossen vom “inneren Halbmond”. Darauf liegen unter anderem Deutschland, Türkei, Indien, China. Der Rest gehört zum “äußeren Halbmond”, dazu zählen Großbritanien, Japan, Afrika, Australien, Nord- und Südamerika.

Aufteilung der Welt gemäß der Heartland-Theorie.

Mackinder unterschied stark zwischen Seemächten und Landmächten. Seemächte zeichnen sich dadurch aus, dass sie gern küstennah agieren und ungern tief ins Landesinnere vordringen, wo die Flotte keinen Schutz mehr bietet. Im Grunde muss eine Seemacht auch nicht tief ins Landesinnere, um ihre Kolonien zu kontrollieren. Es reicht, die Seehandelsrouten zu kontrollieren, die für den Warentransport unabdingbar sind, weil Seetransport viel billiger ist als Landtransport.

Mackinder sah jedoch ein Problem mit dem Herzland. Es hat keinen günstigen Seezugang für die Flotten der Seemächte. Auf den ersten Blick sieht das nach einem Nachteil für das Herzland aus, denn es kann sich keine Seehandelsrouten erschließen. Mackinder sah jedoch voraus, dass Zugverbindungen einen kostengünstigen Warentransport unabhängig von Wasserwegen ermöglichen würden. Er warnte davor, dass die rohstoff- und bevölkerungsreiche Weltinsel ein engmaschiges Schienennetz aufbauen würde und sich damit der Kontrolle der Seemächte entziehen würde.

Die uneingeschränkte Seemacht Nr. 1 war zur damaligen Zeit Großbritanien. Das Herzland wurde vom Russischen Reich gehalten. Zwischen Großbritanien und Russland tobte seit fast einem Jahrhundert das “Große Spiel” (“The Great Game“). In diesem Kontext ist Mackinders Einteilung in Seemächte und Landmächte zu verstehen. Er sah Großbritanien, das praktisch alle Weltmeere kontrollierte, aber keinen Zugriff auf Russland hatte. Im Herzland sah Mackinder die Festung der Landmacht Russland und er hatte Sorge davor, dass Russland es sich bequem in der Festung macht und von dort die Kontrolle über die gesamte Weltinsel übernimmt.

1919 erweiterte Mackinder seine Theorie um den Fakt, dass das Herzland nur vom Westen aus bequem erreichbar ist.

Die Geographie Eurasiens.

Vom Süden her behindern Gebirge den Zugang. Außerdem sind die Meere sehr weit entfernt. Vom Osten her müsste man erst tausende Kilometer Wildnis durchqueren, bevor man Russlands große Bevölkerungs- und Industriezentren erreicht. Im Westen dagegen ist ein breites geographisches Tor zur Festung vorhanden. Dieses Scheunentor bietet dem Herzland potentiell Zugang zu wichtigen Seehandelsrouten. Es ist aber auch ein Einfallstor für militärische Invasionen aus Europa ins Herzland. Mackinder ernannte Osteuropa zum “strategischen Herzland”. Sein Merksatz:

Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland.
Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel.
Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.

Die Veranschaulichung mit der Festung ist durchaus passend. Eine Festung nützt ihrem Herrn nichts, wenn er das riesige Zugangstor nicht zumachen kann und die Feinde ungehindert reinspazieren können. Im übrigen bleibt die Herzland-Theorie bestehen. Vom Herzland aus kann man die Weltinsel kontrollieren. Und wenn man die Weltinsel mit ihrer Bevölkerung und ihren Rohstoffen kontrolliert, bleibt für den Rest nur die Rolle der Peripherie.

1943 brachte Mackinder noch einen dritten Aufsatz zu seiner Theorie. Er warnte davor, dass die militärische Lufthoheit die Grundsätze der Heartland-Theorie nicht aushebeln könne.

Zu diesem Zeitpunkt war Großbritanien jedoch vom imperialen Thron des Welthegemons runtergestoßen. Die USA waren dabei, diesen Platz zu besetzen. Sie haben Mackinders Theorie studiert und ihre Schlüsse daraus gezogen. Die 1940 veröffentlichte Rimland-Theorie von Professor John Spykman geht davon aus, dass das Herzland selbst nicht so entscheidend ist, der innere Halbmond dagegen, den Spykman “Rimland” nennt, von primärer strategischer Bedeutung ist.

Aufteilung der Welt gemäß der Rimland-Theorie.

Mackinder und Spykman sind sich einig darin, wie man die Welt in strategische Zonen einzuteilen hat. Sie unterscheiden sich in der Ansicht, welchen Teil man kontrollieren muss, um die Welt zu beherrschen. Mackinder sagt, es ist das Herzland selbst, das kontrolliert werden muss. Dazu sei die Kontrolle von Osteuropa unabdingbar. Spykman sagt, dass man das Herzland selbst in Ruhe lassen kann. Die Kontrolle des Rimland ist genug, um das Herzland einzudämmen.

Kleiner Exkurs: Nach Ende des Zweiten Weltkrieges drängte Churchill die USA dazu, die Sowjetunion anzugreifen, unter Verwendung von Atombomben und unter Einsatz aller westlicher Armeen, Deutschlands Truppen eingeschlossen. Die USA haben abgelehnt. Das Verhalten beider Staaten und ihrer Anführer spiegelt die jeweilige geopolitische Lehre wieder. Die Briten, die auf das Herzland selbst zielten und die Gelegenheit zu seiner Eroberung nutzen wollten, waren bereit und willig, alle moralischen Grenzen für dieses Ziel zu überschreiten. Für die USA war das aber kein primäres Ziel und der Einsatz war ihnen zu hoch. Alle moralischen Grenzen haben die USA später überschritten, als es um ihr Ziel Nr. 1 ging, das Rimland.

Damit haben wir das erste Beispiel, wie eine geopolitische Strategie das Verhalten von Staaten bestimmt. Das erste von vielen. Legen Sie diese Strategie als Schablone über verschiedenes taktisches Verhalten und sie werden feststellen, dass sehr viele große Ereignisse der immer gleichen Strategie folgen.

Schauen Sie sich zum Beispiel die Lage der US-Militärbasen an:

Militärbasen der USA.

Die ausländischen Militärbasen der USA konzentrieren sich – welch Zufall – auf das Rimland. Die aufgeführten 730 Basen sind übrigens längst nicht alle. Falls Sie sich in das Thema reinknien wollen, schauen Sie auch hier vorbei. Die genaue Zahl ist aber nicht so wichtig in diesem Beitrag.

Ein weiteres Beispiel sind die Militärallianzen, die die USA unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen haben. 1949 die NATO: Eindämmung des Herzlandes vom Westen her. 1951 die Japan Security Treaty: Eindämmung des Herzlandes vom Osten her. 1954 die Southeast Asia Treaty Organisation: Eindämmung des Herzlandes vom Südosten her. 1955 die Middle East Treaty Organization: Eindämmung des Herzlandes vom Südwesten her.

Ein anderes Beispiel: die NATO-Osterweiterung.

NATO-Erweiterung.

Haben Sie das “strategische Herzland” von Mackinder noch im Kopf? Das Tor zur russischen Festung ist von der NATO lückenlos besetzt worden. Estland, Lettland, Litauien, Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien wurden 1999 und 2004 aufgenommen und spannen die NATO in direkter Linie zwischen Ostsee und Schwarzem Meer auf. George Friedman von Stratfor hat mal geschrieben, dass diese neuen NATO-Mitglieder es aus strategischen Gründen wert sind, in einer eigenen Struktur, unter Umgehung der alten NATO-Mitglieder, integriert zu werden. Sie sind der neue eiserne Vorhang und sollen nicht nur Russland eindämmen, sondern auch eine strategische deutsch-russische Partnerschaft unterbinden. Vor einer solchen Partnerschaft hatte schon Mackinder gewarnt. Auch nach einem Jahrhundert hat sich nichts geändert: Die Seemächte unterbinden eine deutsch-russische Partnerschaft. Divide and Conquer, teile und herrsche. Wenn die Deutschen mal wieder mit Schaum vor dem Mund über Russland und Putin herziehen… wissen Sie vielleicht, wem Sie es zu verdanken haben und wer davon profitiert.

Obama handelt übrigens auch ganz im Geist von Mackinder und Spykman. Der Kern seiner nicht-militärischen Außenpolitik sind zwei Abkommen: TTIP und TTP.

Das Trans-Pacific Partnership (TPP) soll die USA, Japan, Vietnam, Australien, Malaysia, Philippinen und einige andere in einer Freihandelszone vereinen. Unter Ausschluss Chinas.

Das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) soll eine Freihandelszone zwischen USA und Europa schaffen. Unter Ausschluss Russlands.

Es ist der Versuch, das Herzland wirtschaftlich zu isolieren, indem die relevante Peripherie des Herzlandes mit Freihandelsverträgen an die USA gekettet wird.

Und auf der Gegenseite? Auf der Gegenseite haben sich Russland und China verbündet, übrigens stark unterstützt von der aggressiven US-Politik, um das zu tun, wovor Mackinder solche Angst hatte: die Infrastruktur Eurasiens so stark ausbauen, dass der Binnenhandel in Eurasien floriert und man von Seehandelswegen unabhängig wird. Wenn Sie noch nichts von Chinas “New Silk Road” Projekt gehört haben (“Neue Seidenstraße”), sollten Sie das unbedingt nachholen.

Mackinder hatte sich verschätzt mit der Zeit, die das Herzland für den Aufbau der großen Infrastruktur benötigen würde. Davon abgesehen hat er den Nerv der Geopolitik aber sehr gut getroffen. Es tobt genau der Kampf, den er vorhergesagt hat. Und die Teilnehmer tun ziemlich genau das, was er vorhergesagt hat. Und sie tun das nicht zufällig. Sie haben Mackinder studiert und seine Theorie bewusst weiterentwickelt. Wie stark sie sich bis heute an die aufgestellte geopolitische Strategie halten, können Sie selbst beobachten.

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Die Fifa-Intrige

Die Fifa-Intrige weitet sich aus. Die Forderung: Blatter soll zurücktreten. Das fordern nun die vier großen US-Sponsoren. Das große Drama kurz zusammengefasst:

  • Die Fifa ist ein korrupter Sauhaufen. Das weiss man übrigens nicht erst seit gestern, sondern schon seit vielen vielen Jahren. Niemanden hat es ernsthaft interessiert.
  • Seit neuestem interessiert sich die US-Justiz für die Fifa-Korruption, mit besonderem Augenmerk auf Blatter. Sie fragen sich vielleicht: hä? In den USA wissen doch die wenigsten davon, dass es eine Sportart Fußball überhaupt gibt. Stimmt. Zu den wenigen gehören aber die Geheimdienste und eine deren zentraler Aufgaben besteht darin, für alle wichtigen Personen und Institutionen komprommitierendes Material in möglichst großer Menge zu sammeln, damit man diese Personen / Institutionen fest an den Eiern hält und, mangelnde Unterwerfungsbereitschaft vorausgesetzt, einen sturzwüdrigen Skandal entfachen kann.
  • Die USA haben ihre Ermittlungen, die niemanden in den USA interessieren, in die Weltpresse gepresst. Sie haben so viel Druck aufgebaut, dass die Schweiz nun auch Ermittlungen aufgenommen hat. Als ob die Schweiz vorher nicht gewusst hat, dass die Fifa Korruptions-Weltmeister ist…
  • Blatters Daumenschrauben werden weiter angezogen: Coca Cola, McDonald’s, Visa und Anheuser-Busch, allesamt Konzern-Giganten aus der USA, fordern den sofortigen Rücktritt Blatters. Damit sind die US-Unternehmen allein, wenn man dem zitierten FAZ-Artikel glauben darf. Deutschlands Adidas will Reformen, aber explizit nicht Blatters Rücktritt, Südkoreas Hyundai hat vorerst nichts zu meckern und Russlands Gasprom… nun, hier darf in einem westlichen Medium ein Seitenhieb nicht fehlen. Neutral formuliert hat Gasprom bisher auch nicht gemeckert.

Kommen wir zum interessanten Teil. “Warum sich ausgerechnet die vier in den vereinigten Staaten ansässigen Fifa-Partner offenbar zeitlich koordiniert nun von Blatter abwenden, ist unklar”, schreibt die FAZ.

Ist das wirklich so unklar? Sie sind Zeuge einer politischen Intrige. Die USA wollen verhindern, dass die Fußball-WM 2018 in Russland stattfindet. Und wenn sie doch in Russland stattfindet, soll sie in möglichst schlechtem Licht erscheinen. Die olympischen Winterspiele 2014 gaben Russland die Gelegenheit, sich der Welt positiv zu präsentieren (wenn Sie von der ARD und ZDF einen negativen Eindruck in Erinnerung haben, so vergessen Sie nicht, dass 1) man Ihnen damit in den Kopf geschissen hat und 2) Sie in der Welt eine Minderheit sind, die selbsternannte “internationale Gemeinschaft”. Im Rest der Welt gibt es würdigere Medien, die die Olympischen Spiele in Sotschi angemessen beleuchtet haben.) Eine Fußball-WM ist eine noch größere Gelegenheit. Eine Gelegenheit für Russland ist eine Katastrophe für den Westen. Wir sind mitten in einem medialen Weltkrieg. Ihr Gehirn ist das Schlachtfeld. Russland ist der größte Feind. Die Puppenspieler wollen, dass jede Erwähnung von Russland ausschließlich negativ konnotiert ist. Eine Fußball-WM derart hinzubiegen ist bei aller medialer Macht schwer bis unmöglich. Und was den größeren Teil der Welt angeht, der nicht Teil der “internationalen Gemeinschaft” ist, sieht es für die westlichen Propaganda-Meister noch sehr viel übler aus.

Aus Sicht der USA ist es viel besser, die WM Russlands Händen zu entreißen. Mit Blatter an der Spitze der Fifa ist es unmöglich. Blatter muss deshalb weg. Der Nachfolger wird sich als Aufräumer bewähren müssen und darf gleich damit loslegen, echte oder erfundene Ungereimtheiten bei der WM-Vergabe an Russland aufzudecken. Eine mediale Hetzkampagne (ich schreibe bewusst nicht “beispiellos”, weil es schon so viele Beispiele gibt…) wird die ohnehin wackelnde Fifa dazu zwingen, die WM-Vergabe neu zu regeln.

Die Zeit ist knapp. Wenn der Skandal erst 2017 ins Rollen kommt, könnte es schon zu spät sein für das große Ziel. Üblicherweise nimmt die Vorbereitung auf eine Fußball-WM viele Jahre in Anspruch. Weniger als ein Jahr ist auch für einen Sonderfall sehr wenig. Spätestens 2016 sollte die Hütte schon lichterloh brennen.

Egal, wie es ausgeht – viel Vergnügen beim Schauspiel.

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