Für die Russland-Koalition läuft es in Syrien im Großen und Ganzen nach Plan. Die erste Phase des Eingreifens bestand darin, die “gemäßigte Opposition” in den Griff zu bekommen. Die ist eine Mischung aus echten Islamisten und syrischen Opportunisten, die sich den Islamisten angeschlossen haben, weil ihnen aus dem Westen versprochen wurde, dass unter den Mitgliedern dieses Bündnisses die Macht in Syrien verteilt wird, sobald man Assad gestürzt hat. Die Aufgabe der russischen Koalition bestand in der ersten Phase darin, allen Beteiligten deutlich klar zu machen, dass Assad nicht gestürzt, sondern allenfalls demokratisch abgewählt wird. Die gemäßigte Opposition sollte gespalten werden in die Hardcore-Islamisten und die Opportunisten, wobei den Opportunisten Begnadigung und Teilhabe am zukünftigen politischen Geschehen in Syrien versprochen wurde.
Die intensiven und hocheffektiven russischen Luftschläge haben der “gemäßigten Opposition” unmissverständlich gezeigt, dass die Ansagen Russlands ernst gemeint sind und durchgezogen werden. So kam es zur erwarteten Spaltung, bei der die Opportunisten die Zeichen der Zeit erkannten und sich im neuen Wind gedreht haben. Sie haben sich zu Gesprächen bereit erklärt, haben sich auf Assads Seite gestellt und ihre Vertreter sitzen jetzt an den offiziellen und inoffiziellen Verhandlungstischen.
Die russischen Luftschläge sind das eine. In der Westpresse konsequent ignoriert ist der andere Aspekt des Vorgehens. Assad hat ein Versöhnungsprogramm in Gang gesetzt. Die Rückkehrer bekommen Amnestie. Es wird intensiv daran gearbeitet, dass die Menschen, die vor kurzem noch Krieg gegeneinander geführt haben, morgen wieder friedlich nebeneinander leben können. Da ist wirklich eine Koalition am Werk, in der jeder seinen Teil beisteuert und wo die Arbeit aller aufeinander abgestimmt ist.
Die “gemäßigte Opposition” ist also gespalten, die Spreu vom Weizen getrennt. Der Weizen sitzt an den Verhandlungstischen, die Spreu wird weiter fleißig bombardiert – mit Zustimmung des Westens! Ein Verdienst russischer Diplomaten mit Außenminister Lawrow an der Spitze. Sie haben es geschafft, die Bedingungen der Friedensverhandlungen derart zu gestalten, dass anerkannte Terroristen ausdrücklich weiter bekämpft werden sollen, während die Waffenruhe gilt und die Verhandlungen laufen. Traurig, dass die Bekämpfung von Terroristen diplomatisch hart erkämpft werden musste.
Während die Opportunisten an den Verhandlungstischen der UN sitzen, sind sie militärisch aus dem Spiel genommen. Wer in dieser Situation wieder Kampfhandlungen aufnimmt, entlarvt sich selbst als radikal und nicht friedensgewillt, bekommt unmittelbar russische Bomben auf den Kopf und kann nicht darauf hoffen, vom Westen gerettet zu werden, weil die eigene Schuld zu offensichtlich ist. Dieser Umstand ist ganz wichtig, denn bisher hat die syrische Armee ihre Kräfte aufteilen müssen auf sehr viele Fronten. Die syrische Armee musste immer einen Schlag in den Rücken von den Opportunisten erwarten, wenn sie sich dem IS und anderen Terroristen zuwendete. Ein Teil der Fronten entfällt jetzt. Die Opportunisten entfallen als Angreifer und werden eingesetzt, um im Hinterland die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die ehemals an diesen Fronten gebundenen Kräfte der syrischen Armee werden dadurch frei für andere Aufgaben.
Russland besiegelte diesen Zustand durch den Teilabzug seiner Militärkräfte, den Putin völlig überraschend für (fast) alle einleitete. Das ist eine sehr mächtige diplomatische “Geste des guten Willens”, die es der Opposition, die gerade an den Verhandlungstischen sitzt, endgültig unmöglich macht, gesichtswahrend zum Krieg gegen die syrische Armee zurück zu kehren.
Die russische militärische Unterstützung in Syrien entfällt dadurch keineswegs. Sie hat nicht einmal Schaden genommen. Erstens beginnt in Syrien im März traditionell die Sandsturm-Saison, die den Einsatz sensibler Technik erschwert oder ganz unmöglich macht. Feiner Sand schwirrt durch die Luft und dringt in die kleinsten Ritzen ein. Die Gefahr von Systemausfällen und Unfällen steigt dramatisch, der Aufwand für die Wartung ebenso. Die Natur verordnet bestimmter Technik in Syrien eine Pause. Russland hat diesen Zwang diplomatisch ausgenutzt. Zweitens hat die russische Luftwaffe die Infrastruktur des IS und der “moderaten Opposition” bereits zerstört. Für die laufende Unterstützung der syrischen Armee ist die bisherige Anzahl an russischen Kampfflugzeugen nicht mehr nötig.
Heute sind wir bereits in Phase zwei. Man hat die Bedingungen geschaffen, konsequent gegen den IS, gegen Al Nusra und gegen andere große Terrorgruppen in Syrien vorzugehen. Sie wurden schon in Phase eins massiv von der russischen Luftwaffe bearbeitet, Zerstörung der wirtschaftlichen Basis des IS inklusive, aber für endgültige militärische Siege braucht es Bodentruppen und die waren bisher zu sehr von der “moderaten Opposition” gebunden. Jetzt nicht mehr. Die syrische Armee konnte viele Einheiten verlegen und genug Kräfte für eine massive Offensive bei Palmyra konzentrieren.
Die Befreiung von Palmyra ist wichtig, um die Versorgung der Terroristen aus Saudi-Arabien zu unterbinden. Saudi-Arabien hat keine eigene Grenze mit Syrien, aber Jordanien, das zwischen Syrien und Saudi-Arabien liegt, präsentiert sich offen als Vasall der Saudis:
KING ABDULLAH II: Well, we are in coordination with the Saudis. We took a firm position against what the Iranians did. We fully support our Saudi friends. We took the position that we took. We brought in the Iranian ambassador and expressed our displeasure. This was done in coordination with our Saudi allies. We have an amazingly strong relationship with our Saudi Brethren. My relationship with his majesty the king, the crown prince, is extremely strong, and this was the position that we had worked out between ourselves and again don’t forget we are part of the Vienna talks when it comes to Syria, so it was felt having us in a bit more flexible position at the talks is probably more prudent at this stage.
Das sagt Jordaniens König höchstpersönlich. Hervorhebungen von mir.
Der Weg von Jordanien zu den syrischen Hauptstätten des IS führt über Palmyra. Auf diesem Weg bekommen der IS und andere Terror-Gruppierungen von Saudi-Arabien und Katar Nachschub an Militärgerät, Munition und Kämpfern. Diese südliche Lebensader des IS ist jetzt durchgeschnitten.

Die militärische Lage in Syrien Mitte-Ende März. Im Südwesten ist eine lange Grenze zu Jordanien, ein Teil der Grenze ist nicht von der syrischen Armee kontrolliert. Rot eingekreist ist Palmyra. Die Pfeile zeichnen die Stoßrichtungen für kommende militärische Operationen ein.
Der zweite wichtige Aspekt der Befreiung von Palmyra ist propagandistischer Natur. Der Westen hat Palmyra viel mediale Aufmerksamkeit gewidmet, als es vom IS eingenommen wurde und als dort einige antike Stätten zerstört wurden. Dem Westen ging es damals darum, die Bösartigkeit des IS zu demonstrieren. Die Befreiung von Palmyra kann von unserer Presse nicht ignoriert werden. Und das ist sehr schmerzhaft für die Presse, denn die Sachlage zerreißt die Lügengebäude des Westens. Angeblich ist die syrische Armee so schwach, dass sie zu keiner Offensive mehr taugt. Jetzt sieht aber alle Welt, dass das gelogen ist. Angeblich unterstützt Assad den IS. Jetzt sieht alle Welt, wie Assad den IS erfolgreich bekämpft. Unsere verärgerte Presse gratuliert zähneknirschend und mit Giftpfeilen angereichert. Manche Presseorgane nutzen die Gelegenheit, um dem eigenen Ansehen einen weiteren Schlag zu verpassen. Anders lassen sich viele Veröffentlichungen nicht deuten.
Auch die westliche Politik hält sich möglichst bedeckt, was Palmyras Befreiung angeht. Ein Glanzpunkt ist die Blockade eines UN Sicherheitsrats-Statements zur Befreiung von Palmyra. Der Schmerz im Westen sitzt tief.
Die antiken Stätten von Palmyra wurden vom IS miniert. Russische Minenräumer haben – in Abstimmung mit der UNESCO und mit der syrischen Regierung – bereits den Auftrag erhalten, die antike Stadt zu entschärfen. Eine gute Entscheidung, denn russische Minenräumer gehören zu den besten der Welt. Bei der Gelegenheit werden sie syrische Minenräumer trainieren, denn die Syrer werden noch sehr viele Minen entschäfen müssen in den kommenden Jahren.
Einer Großoffensive gegen den IS steht noch die von Al Nusra gehaltene Provinz Idlib im Nordwesten Syriens im Weg (auf der Karte oben grün eingezeichnet). Die direkte Verbindung zum IS ist zwar unterbrochen worden, aber über die türkische Grenze erhalten die Terroristen volle Unterstützung. Hier ist noch viel Arbeit für die syrische Armee zu verrichten und hier werden noch viele Kräfte für lange Zeit gebunden sein.
Wenn Phase zwei, die Zerstörung des IS, sich dem Ende neigen wird, wird laut Plan in der dritten Phase die neue politische Landkarte Syriens gezeichnet. Die Vorbereitungen dafür laufen im Hintergrund auf Hochtouren, aber die endgültigen Verhandlungen sind heute noch Zukunftsmusik.
Lassen Sie sich von den laufenden Verhandlungen nicht irritieren. Der Westen hat es geschafft, dort Saudi-Arabien (!) zum Leiter der syrischen Opposition zu machen. Deren Marionette torpediert die Verhandlungen auch fleißig mit immer neuen Forderungen, die den UN-Resolutionen widersprechen, auf denen die Friedensgespräche aufbauen. Für die Russland-Koalition ist das kein Nachteil. Für konstruktive Verhandlungen ist die Zeit ohnehin noch nicht reif, weil die militärischen Machtverhältnisse in Syrien noch nicht endgültig geklärt sind. Aber man kann schon mal ein wenig üben. Und wie oben bereits dargestellt wurde, halten die Verhandlungen die syrischen Opportunisten ruhig. Das erfolglose Gewusel der Verhandlungen, die jedes mal verlegt werden, kaum dass sie begonnen sind, ist Teil des Plans. Die USA sind vermutlich involviert.
Die USA, was haben sie mit ihrer Koalition vorzuweisen? Sie lassen die Kurden gen Monsul marschieren. Das bindet die Kräfte des IS und verhindert die Verstärkung der gerade zusammenbrechenden Westfront. Das Problem mit den Kurden ist, dass sie keine echte Armee haben, sondern mehr so etwas wie Partisanenverbände. Der Unterschied zwischen einer Armee und Partisanen ist, dass Partisanen ihr Fleckchen Heimat bravourös verteidigen, aber wenig Bereitschaft haben, jenseits davon zu kämpfen, geschweige denn das eigene Leben auf fremden Gebiet für die Heimat fremder Menschen zu opfern. Bei einer Armee ist das ganz anders. Deren Soldaten kämpfen überall mit der gleichen Opferbereitschaft, sind disziplinierter, halten die Befehlshierarchien ein. Ein konzentrierter und koordinierter Angriff wie mit der syrischen Armee ist mit Kurden nicht zu machen, selbst wenn die USA echte große Erfolge gegen den IS haben wollen.
Aber vergessen wir nicht die Möglichkeit der USA, die Früchte fremder Arbeit zu stehlen. Vor fast vier Monaten habe ich darauf hingewiesen, dass die USA das systematisch machen werden:
Mit einem kleinen Kontingent von Kampfflugzeugen hat Russland in zwei Monaten eine Wende in Syrien herbeigeführt, nachdem die große von der USA angeführte Koalition über ein Jahr lang keinen Schaden am IS verursachen konnte und nachdem US-Generäle verkündet haben, dass der Kampf gegen den IS noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern würde. Die USA hätten die Wende am liebsten verhindert, aber da es sich nicht verhindern ließ, müssen sie das beste daraus machen. In bester US-Tradition bedeutet es erstens, sich möglichst viel Einfluss in der neuen Situation zu sichern und zweitens, die Welt glauben zu machen, dass es die USA waren, die die Wende organisiert und herbeigeführt haben.
Hier ein aktuelles Beispiel dafür:
What’s important for people to understand is, we are making real progress in Iraq and Syria. And I mean real progress. In 2014 when they began to sweep across Iraq, that is when President Obama ordered the initial bombing that stopped them from moving towards Baghdad. And since then, we have recouped about 40 percent of the territory in Syria which they had captured.
Sagt US-Außenminister Kerry. Hervorhebungen von mir. Die USA sind seiner Aussage nach diejenigen, die große Fortschritte in Irak und Syrien machen. Und die USA sind es laut Kerry, die 40% des “von ihnen” besetzten Territoriums in Syrien befreit haben. Klingt so, als ob ganz Syrien gemeint ist. Kerry hat sich diplomatisch abgesichert, indem er nicht spezifiziert, wer “die” sind. Fragt ohnehin keiner nach, welche Mini-Bande er meint. Im Gedächtnis werden “40% der besetzten Territorien befreit” bleiben.
Und dann noch das: Die USA haben Al-Qaduli getötet, die Nr. 2 des IS! Sie haben ihn damit schon zum dritten Mal getötet. Das erste Mal im September 2014, das zweite Mal im April 2015 und das dritte mal jetzt. Wenn man wiederholt einen Wiederkehrer töten muss, um der Welt einen Erfolg in Syrien zu präsentieren, sagt das alles über die echten Erfolge der USA in Syrien aus.
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