Referendum in Niederlande erweitert politischen Spielraum der EU

Am 6. April haben die Niederländer über das Assozierungsabkommen der EU mit der Ukraine abgestimmt. Nach den offiziellen Ergebnissen haben 61 % mit “nein” gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei 32,28 %. Am Wahlabend haben die Tagesthemen noch genüsslich von 29 % berichtet, womit sie sich aus den Hochzählungen den untersten (worst case) Erwartungswert herausgepikt haben. Der erste Eindruck zählt. Aber das nur am Rande.

Entscheidend sind die 61 %. Diese magische Zahl erlaubt es der EU, sich einiger diplomatischer Fesseln zu entledigen. Als die EU mit voller Kraft den Putsch in der Ukraine unterstützte, glaubte sie ein gleichberechtigter Partner in diesem schmutzigen Spiel zu sein. Stattdessen wurde die EU von den transatlantischen Freunden auf die Knie gestellt und in die bück-dich-Position gebracht. Das Problem der EU ist, dass sie aus dieser unangenehmen Position nicht herauskommt, weil sie den Putsch und die Assoziierung mit der Ukraine so laut und öffentlich beförderte. Man kann sich in der Politik nicht einfach so von dem lossagen, was man so sehr gewollt, gefordert und dann bekommen hat. Man braucht eine Begründung. Je lauter und fester die vertretene Position war, desto besser muss die Begründung sein.

Die EU hat sich die Begründung geschaffen. Unser Volk will ja gar nicht, dass wir so eng mit der Ukraine zusammenarbeiten! Ein gültiges Referendum, eine deutliche Mehrheit. Angenehmerweise ist das Referendum nicht bindend. Genau richtig, um neue Deals auszuhandeln und die Situation zu verändern:

Über die Auswirkungen des Votums müsse nun “Schritt für Schritt” in Abstimmung mit der Regierung und Brüssel entschieden werden, sagte Rutte.

Schritt für Schritt, ganz ohne Eile. Damit wir nicht in eine neue Falle reinlaufen. Die Entscheidung wird bis nach dem Brexit-Referendum der Briten vertagt, sagte Niederlandes Ministerpräsident Rutte. Aber:

“That doesn’t mean that nothing can happen behind closed doors,” he said

Die EU will die Ukraine am liebsten los werden. Sollen die Russen doch das dort angerichtete Chaos übernehmen. Eine solche Kehrtwende zu vermitteln ist schwer. Der erste Schritt ist aber getan. Die EU hat die Stimme des Volkes als Trumpf aufgetrieben.

Wie erreicht man ein Wunschergebnis bei einem Referendum? Insbesondere wenn es ein “nein” gegen die neue Ukraine sein soll, wo man doch selbst die neue Ukraine abgefeiert hat in den höchsten Tönen?

Die Niederlande hat EU-kritische politische Kräfte. Die lässt man arbeiten. Und gießt Öl ins Feuer. Zum Beispiel so:

Beim ersten Zuschauen können Sie einfach genießen. Beim zweiten Zuschauen achten Sie darauf, wie professionell das Video gemacht ist. Und dann gucken wir noch nach, welche Videos der Nutzer sonst noch hochgeladen hat… Oh! Nur dieses eine. Und der Nutzername, fast identisch mit dem Videotitel, teilt uns unmissverständlich mit, wofür dieser Benutzer angelegt wurde. Ich kann nicht sagen, ob das die direkte Arbeit von Geheimdienstlern ist oder ob es die Arbeit einer PR-Agentur im Auftrag des Geheimdienstes oder der Politik ist. Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist das eine professionelle, von oben bestellte Beeinflussung der öffentlichen Meinung über soziale Medien. Ziemlich stümperhaft in diesem Beispiel (organisatorisch, nicht inhaltlich), denn man bemüht sich nicht mal, den politischen Auftrag irgendwie zu decken. Bemerkenswert auch, dass publikumswirksame, aber völlig harmlose Aspekte der Ukraine zu ihrer Diskreditierung verwendet werden.

Die EU hat sich Spielraum zum politischen Manövrieren rund um die Ukraine verschafft. Die EU-Politik hat jetzt eine Begründung für eine Ukraine-kritische Haltung.

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In der Kürze liegt die Würze (1) – Geldwäsche im Kasino

Schema: Als Drogenhändler, Waffenhändler oder sonstiger Krimineller mit sehr großen Umsätzen, spaziert man mit einer Million schmutziger Dollar in bar in ein Kasino rein, vergnügt sich eine Nacht in der VIP-Zone, verliert natürlich alles. Einen Monat später bekommt man 600 Tausend saubere Dollar auf sein Konto. Vom Kasino. Für eine Dienstleistung. So wird aus einem Waffenhändler ein angesehener Wirtschaftsberater.

Geklaut von hier.

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Zu den Palamentswahlen in Syrien

Am 13. April haben in Syrien Parlamentswahlen stattgefunden. Der Westen war entsetzt und hat schon im Vorfeld erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen. Die USA bringen sogar ihren “Plan B” lauthals ins Gespräch und drohen, die Terroristen mit wirksamer Luftabwehr zu versorgen, die auch Russlands Flugzeugen und Hubschraubern gefährlich wird. Viel Aufregung. Warum?

Das Parlament in Syrien wird alle vier Jahre gewählt und die letzte Wahl war 2012. Die jetzige Wahl war also eine reguläre, keine außerplanmäßige. Eine Wahl im Krieg ist ungünstig, daran besteht kein Zweifel. Das betont man im Westen. Was man im Westen nicht betont, aber zum Ziel hat: Ohne die Wahl hätte das syrische Parlament seine Legitimierung verloren und Syrien stünde ohne Parlament da. Die ohnehin geschwächte Staatlichkeit hätte einen weiteren schweren Schlag erlitten. Der Westen, der jetzt die Unmöglichkeit der Wahlen im Krieg moniert, würde im Fall von Nichtwahlen frohlockend monieren, dass Syrien nicht mal ein legitimes Parlament hat. Bereits im ersten Beitrag zu Syrien habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass es für beide Seiten des Konfliktes (West-Koalition, Russland-Koalition) nicht um Assad geht, sondern um Syriens Staatlichkeit. Der Westen wollte das Libyen-Szenario wiederholen und Syrien in totales Chaos schicken. Die Russland-Koalition will Syriens Staatlichkeit erhalten und das totale Chaos verhindern. Vor diesem Hintergrund ist das internationale Gerangel um die syrischen Parlamentswahlen zu verstehen.

Der Vorschlag des Westens lautet, statt der Parlamentswahl eine Übergangsregierung zu installieren. Das ist der direkte Weg ins Chaos.

Russlands Konter: Die Parlamentswahlen sorgen für Stabilität und es bestehe ganz klar die Möglichkeit vorzeitiger Neuwahlen des Parlaments, sofern und sobald die Teilnehmer des Friedensprozesses das beschließen oder spätestens nach dem Beschluss der neuen Verfassung. Der Zweck der jetzigen Wahl wird also klar darauf beschränkt, das Macht-Vakuum und die Unklarheit nicht zuzulassen, die sich im Falle des Nichtabhaltens der Wahl ergeben hätten.

Ein beruhigendes Argument für den Westen. Für die im Hintergrund laufenden diplomatischen Verhandlungen zwischen den beiden Koalitionen ist das sehr wichtig. Das radikale Lager in den USA würde “Plan B” nur allzu gern Wirklichkeit werden lassen. Das demonstrierte Entgegenkommen der russischen Koalition gibt dem moderaten US-Lager (angeführt von Obama) ein Gegengift in die Hand.

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Ukraine verlängert ihren “technischen Default” auf unbestimmte Zeit

Im letzten Sommer hat die Ukraine ein Gesetz beschlossen, das ihr für die Dauer eines Jahres erlaubte, Staatsschulden nicht zurück zu zahlen. Um nicht offen zu sagen, dass die Ukraine damit ihre Staatspleite verkündete, nannte man das “technischer Default”. Kurz darauf, im September 2015, hat die Ukraine Gebrauch von diesem Gesetz gemacht und die Rückzahlung privater Kredite gestoppt, um die Gläubiger zu einer Restrukturierung zu zwingen.

Naja, ist ja nur vorübergehend, bis sich die Wogen wieder glätten. Alles wird wieder gut.

Gestern hat die Rada eine Änderung des Gesetzes beschlossen und es unbefristet wirksam gemacht. “Unbefristeter technischer Default” muss es jetzt wohl heißen. Oder in Normalsprache: Staatspleite ohne Aussicht auf Besserung.

Die Währungsreserven der Ukraine betragen, Stand 1. April 2016, 12,7 Milliarden Dollar. Das ist die Brutto-Reserve. 12 Milliarden davon darf die Ukraine aber nicht benutzen. Das IWF-Memorandum verbietet es. Diese 12 Milliarden sind reserviert für die Rückzahlungen von IWF-Krediten. Die Netto-Reserven, über die die Ukraine tatsächlich verfügen kann, betragen zum 1. April nach vorläufiger Berechnung 570 Millionen Dollar. Davon soll die Ukraine ihren Währungshandel bestreiten und die Staatsschulden zurückzahlen (außer die an den IWF) und all die anderen Dinge tun, die eine Zentralbank tun muss.

Allein um einen funktionierenden Währungshandel in der Ukraine zu ermöglichen, benötigt die Ukraine mindestens 15 Milliarden Dollar Netto-Reserven. Der IWF empfiehlt der Ukraine sogar 20-22 Milliarden Dollar.

Zum 1. Januar 2014, als noch der korrupte Tyrann herrschte, hatte die Ukraine 15,4 Milliarden Dollar Netto-Reserven.

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Fundstück: Hillary Clinton über die Verbreitung des radikalen Islamismus

Hillary Clinton (Video):

In unserer Geschichte haben wir mal mit Pakistan kooperiert und es dann wieder sein lassen. Lassen Sie uns in Erinnerung rufen: Die Leute, die wir heute bekämpfen, haben wir vor 20 Jahren finanziert. Wir taten das, weil wir in den Kampf gegen die Sowjetunion involviert waren; sie besetzten Afghanistan und wir wollten nicht, dass sie Zentralasien kontrollieren, also gingen wir an die Arbeit. Es war Präsident Reagan in Zusammenarbeit mit dem Kongress, angeführt von Demokraten, die sagten: wir haben eine gute Idee, lasst uns mit dem ISI (pakistanischer Geheimdienst) und dem pakistanischen Militär kooperieren. Lasst uns diese Mudschaheddin rekrutieren, holen wir sie uns aus Saudi Arabien, aus anderen Ländern. Bringen wir ihren Wahabi-Islamismus nach Afghanistan. Um die Sowjetunion zu schlagen. Sie [Reagan und Kongress] gaben nach, zahlten Milliarden Dollar und es führte zum Kollaps der Sowjetunion. Das ist ein sehr starkes Argument, das war keine schlechte Investition. Aber seien wir vorsichtig mit dem, was wir säen, denn wir werden es ernten.

Terroristen, Wahabisten, Faschisten – alles ist recht, wenn es nur gegen Russland geht. Westliche Werte.

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Ukrainische Gasleitungen

Ukrainische Gasleitungen:

Die roten Adern sind die Gasleitungen. Die roten Pfeile zeigen an, wo russisches Gas eingespeist wird. Blaue Pfeile zeigen an, wo russisches Gas das Transitland Ukraine wieder verlässt.

Die blauen Pfeile unten und rechts zeigen zwei Pipelines in die Türkei an. Die Ost-Route sollte zu Türkisch Stream ausgebaut werden.

Alle russischen Gaslieferungen über die Ukraine in die EU passieren einen dünnen geographischen Flaschenhals in der Westukraine. Wer diese kleine Region kontrolliert, kontrolliert den Gastransit Russland – Ukraine – EU.

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Was ist der Hintergrund der Panama Papers Affäre?

Der lustige Teil der Panama Papers Affäre ist hier abgehandelt. Kommen wir zum ernsten Teil. Die spannende Frage ist, welcher Machtkampf sich hinter dem Leak der Dokumente verbirgt. Das Konsortium investigativer Journalisten, das die Bombe platzen lässt, wird von einer Reihe von Fonds bezahlt, darunter Open Society von Soros. Der große Kooperationspartner OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) wird unter anderem von Open Society und von USAID bezahlt (auf der Seite ganz nach unten scrollen). Engstens mit US-Geheimdiensten verwobene Fonds sind unter den Großspendern. So viel zur Unabhängigkeit der Enthüller. Solche Enthüllungs-Organisationen sind ein wunderbares Werkzeug, um Geheimdiensten das lancieren von Leaks und deren koordinierte Verbreitung zu erleichtern. Und wir haben es mit einem Geheimdienst-Leak zu tun. Von den Panama Papers werden genau die Richtigen im genau richtigen Maß belastet. Eine zarte Andeutung an Großbritanien (Name von Camerons Vater taucht auf), eine deutliche Warnung an Deutschland (allerdings anonym – betroffen sind laut bisherigen Veröffentlichungen viele Banken, aber keine großen Namen), volles Rohr gegen Poroschenko (der seit mindestens einem halben Jahr ganz und gar nicht artig ist), Russland, Armenien und Aserbaidschan (brennen soll die Region!). Die FIFA gerät auch passenderweise unter die Räder. Interessanterweise werden die anderen richtigen Länder, z.B. die USA, nicht belastet. Das Bild, das uns präsentiert wird, ist viel zu schön, um zufällig zu sein. Das Material wurde gründlich gefiltert. Inzwischen hat die betroffene Kanzlei Mossack Fonseca mitgeteilt, dass es kein interner Leak war, sondern ein Hack von außen.

Viele Anwaltskanzleien vermitteln Offshore-Zuflucht. Es gibt viele Offshore-Finanzplätze von vielen Staaten. Alle bedeutenden Offshores gehören natürlich der zivilisierten westlichen Wertegemeinschaft an, Großbritanien ist seit jeher Spitzenreiter. Es gibt einen Konkurrenzkampf der Offshores untereinander. Und selbstverständlich agieren alle Offshores mit staatlicher Billigung und unter strenger geheimdienstlicher Überwachung. Kontrolle von Geldmitteln und Geldflüssen ist ein sehr mächtiges Mittel. Das will man haben und das überlässt man nicht dem Zufall.

Welche Offshores vermittelte die Firma Mossack Fonseca überwiegend? Wer wurde also angegriffen? Ein Angriff ist es. Die Steueroptimierer sind in Panik, eine sicher geglaubte Zuflucht hat sich als nicht sicher herausgestellt. Wohin fliehen? Wo ist es noch sicher? Das sind die wichtigen Fragen hinter dem Medienzirkus. Da versucht jemand, große Mengen Offshore-Geld von einer oder mehreren Enklaven zu einer oder mehreren anderen zu lotsen.

Welch Zufall, gerade erst im Januar kam bei Bloomberg ein detailreicher Artikel darüber, wie die USA sich zur Offshore-Weltzentrale entwickeln und die Konkurrenz aus dem Weg räumen. Wir erfahren übrigens nur deshalb darüber, weil die verdrängte Konkurrenz wütend ist und derartige Leaks entweder Teil der Rache oder noch Teil des laufenden Finanzkrieges sind. Die Panama Papers fallen unter die zweite Kategorie und sind genau deshalb der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Das Problem der USA ist, dass die FED extrem viele, aber nicht beliebig viele Dollar drucken kann, weil das die US-Sozialsysteme ruiniert. Die FED hat extrem viel gedruckt, die US-Sozialsysteme stehen vor dem Kollaps, das Limit ist erreicht, viel mehr als noch ein QE-Zyklus (Quantitative Easing, Geldprinter aktivieren) halten die USA nicht folgenlos aus. Das auf exponentielles Wachstum ausgelegte Finanzsystem lechzt aber nach Geld, um nicht zu kollabieren. Woher das Geld in das US-Finanzsystem reinkommt, ist egal. In den Offshores liegen gewaltige Mengen von Dollars und sie sollen jetzt nach Hause. Der große Panama Papers Skandal, der die US-Konkurrenten trifft, kommt gerade recht und genau zur richtigen Zeit.

Darum geht es bei den Panama Papers in erster Linie. Die USA sollen zum Offshore nr. 1 werden, Konkurrenten werden verdrängt, das Geld soll in die taumelnde USA fließen, um das Taumeln noch eine Zeitlang zu verlängern und gute Ausgangsbedingungen für eine Neuordnung des Finanzsystems zu schaffen. Der Prozess läuft schon, die Panama Papers sollen ihm einen zusätzlichen Schub verleihen und sind nur eines von sehr vielen in den letzten Jahren verwendeten Mitteln in diesem Prozess.

Nebenbei werden Propaganda-Zwecke erfüllt und unliebsame Politiker ins Fadenkreuz genommen. Versuchen Sie mal über den inzwischen zurückgetretenen Premierminister Islands etwas herauszufinden. Er war unliebsam.

Und damit der Pöbel nicht kapiert, worum es geht, gibt es eine Show mit vielen inhaltsleeren Worten, bunten Grafiken, aufwendig gepimpten Webseiten, verblödenden Talkshows, Nachrichtenbeiträgen, Sondersendungen und Dokumentationen. Sie sollen so viel zum Thema konsumieren, dass Sie keine Zeit bekommen, darüber nachzudenken und auf Gedanken zu kommen.

Während dieser Beitrag entstand und reifte, sind die gleichen Gedanken bereits in deutschsprachigen Onlinemedien zu lesen: hier, hier, hier. Das ist sehr erfreulich.

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Putin, warum nur tauchst du in den Panama Papers nicht auf?!

Die Panama Papers sind im Zentrum der Weltöffentlichkeit. Lustig, wie man versucht, Wladimir Putin, der in Terrabyte von Dokumenten nicht einmal auftaucht, irgendwie reinzuquetschen in den Skandal, mit einer riesengroßen Menge “wäre”, “soll”, “scheint”, “wohl”, “angeblich”, “offenbar”, “vermutlich”, “womöglich”, “augenscheinlich”, “dem Anschein nach”, “wird spekuliert”, “spricht vieles dafür”, “stattgefunden haben soll”, “Putin-kritische Journalisten und Analysten glauben” (Hammer!!), “behauptete der umstrittene Politikwissenschaftler”, “wenn man seinen westlichen Biographen glauben darf”, “sagt Russland-Expertin”, “gilt unter US-Experten”, “in den Augen der US-Regierung”, “Vermutungen ähneln sich”, nicht näher genannten “früheren KGB-Kollegen” und “nahestehenden Oligarchen”. Kein Scherz, das sind alles Originalzitate aus dem Artikel. Allein “soll”/”sollen” tauchen 26 mal im Text auf.

Und dann das:

Berichte über sein angebliches Vermögen tut Putin regelmäßig als Geschwätz ab.

Unglaublich – diese Perle des Investigativjournalismus als Geschwätz abzutun! Das sehe ich genauso wie die Süddeutsche. Wie Putin den Haufen Gülle, der aus den Mündern und Federn der “Investigativjournalisten” herausquillt, als Geschwätz schönredet, ist inakzeptabel.

Noch eine Kostprobe gefällig?

Roldugin erzählte in einem 2000 veröffentlichten Interviewbuch über Putin, sein ein Jahr jüngerer Freund sei wie ein Bruder für ihn gewesen.

(…) [Es werden Rodugins Erzählungen über gemeinsame Erlebnisse aus den 70ern und 80ern zitiert]

Die Freundschaft der beiden Männer scheint bis heute gehalten zu haben.

Die ältesten Geschäfte von Roldugins Firmen, die die Süddeutsche in den Dokumenten auftreiben kann, sind von 2009.

Noch mehr? Im Text gibt es diese Inforgrafik über eine Kooperative, an deren Gründung Mitte der 90er Putin beteiligt war. Die Spannung steigt. Sie warten sicher darauf, dass deren Namen in den Panama Paper auftauchen?

Haha, verarscht! Nicht von mir. In den Panama Papers taucht nämlich nicht einer der genannten Personen aus der Kooperative auf.

Erstklassiger investigativer Journalismus Armselige Propaganda-Gülle. Die Leser werden für voll verblödet verkauft. Lustige Leser-Antworten gibt es hier, falls Sie das Vergnügen verlängern wollen.

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Syrien Update

Für die Russland-Koalition läuft es in Syrien im Großen und Ganzen nach Plan. Die erste Phase des Eingreifens bestand darin, die “gemäßigte Opposition” in den Griff zu bekommen. Die ist eine Mischung aus echten Islamisten und syrischen Opportunisten, die sich den Islamisten angeschlossen haben, weil ihnen aus dem Westen versprochen wurde, dass unter den Mitgliedern dieses Bündnisses die Macht in Syrien verteilt wird, sobald man Assad gestürzt hat. Die Aufgabe der russischen Koalition bestand in der ersten Phase darin, allen Beteiligten deutlich klar zu machen, dass Assad nicht gestürzt, sondern allenfalls demokratisch abgewählt wird. Die gemäßigte Opposition sollte gespalten werden in die Hardcore-Islamisten und die Opportunisten, wobei den Opportunisten Begnadigung und Teilhabe am zukünftigen politischen Geschehen in Syrien versprochen wurde.

Die intensiven und hocheffektiven russischen Luftschläge haben der “gemäßigten Opposition” unmissverständlich gezeigt, dass die Ansagen Russlands ernst gemeint sind und durchgezogen werden. So kam es zur erwarteten Spaltung, bei der die Opportunisten die Zeichen der Zeit erkannten und sich im neuen Wind gedreht haben. Sie haben sich zu Gesprächen bereit erklärt, haben sich auf Assads Seite gestellt und ihre Vertreter sitzen jetzt an den offiziellen und inoffiziellen Verhandlungstischen.

Die russischen Luftschläge sind das eine. In der Westpresse konsequent ignoriert ist der andere Aspekt des Vorgehens. Assad hat ein Versöhnungsprogramm in Gang gesetzt. Die Rückkehrer bekommen Amnestie. Es wird intensiv daran gearbeitet, dass die Menschen, die vor kurzem noch Krieg gegeneinander geführt haben, morgen wieder friedlich nebeneinander leben können. Da ist wirklich eine Koalition am Werk, in der jeder seinen Teil beisteuert und wo die Arbeit aller aufeinander abgestimmt ist.

Die “gemäßigte Opposition” ist also gespalten, die Spreu vom Weizen getrennt. Der Weizen sitzt an den Verhandlungstischen, die Spreu wird weiter fleißig bombardiert – mit Zustimmung des Westens! Ein Verdienst russischer Diplomaten mit Außenminister Lawrow an der Spitze. Sie haben es geschafft, die Bedingungen der Friedensverhandlungen derart zu gestalten, dass anerkannte Terroristen ausdrücklich weiter bekämpft werden sollen, während die Waffenruhe gilt und die Verhandlungen laufen. Traurig, dass die Bekämpfung von Terroristen diplomatisch hart erkämpft werden musste.

Während die Opportunisten an den Verhandlungstischen der UN sitzen, sind sie militärisch aus dem Spiel genommen. Wer in dieser Situation wieder Kampfhandlungen aufnimmt, entlarvt sich selbst als radikal und nicht friedensgewillt, bekommt unmittelbar russische Bomben auf den Kopf und kann nicht darauf hoffen, vom Westen gerettet zu werden, weil die eigene Schuld zu offensichtlich ist. Dieser Umstand ist ganz wichtig, denn bisher hat die syrische Armee ihre Kräfte aufteilen müssen auf sehr viele Fronten. Die syrische Armee musste immer einen Schlag in den Rücken von den Opportunisten erwarten, wenn sie sich dem IS und anderen Terroristen zuwendete. Ein Teil der Fronten entfällt jetzt. Die Opportunisten entfallen als Angreifer und werden eingesetzt, um im Hinterland die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die ehemals an diesen Fronten gebundenen Kräfte der syrischen Armee werden dadurch frei für andere Aufgaben.

Russland besiegelte diesen Zustand durch den Teilabzug seiner Militärkräfte, den Putin völlig überraschend für (fast) alle einleitete. Das ist eine sehr mächtige diplomatische “Geste des guten Willens”, die es der Opposition, die gerade an den Verhandlungstischen sitzt, endgültig unmöglich macht, gesichtswahrend zum Krieg gegen die syrische Armee zurück zu kehren.

Die russische militärische Unterstützung in Syrien entfällt dadurch keineswegs. Sie hat nicht einmal Schaden genommen. Erstens beginnt in Syrien im März traditionell die Sandsturm-Saison, die den Einsatz sensibler Technik erschwert oder ganz unmöglich macht. Feiner Sand schwirrt durch die Luft und dringt in die kleinsten Ritzen ein. Die Gefahr von Systemausfällen und Unfällen steigt dramatisch, der Aufwand für die Wartung ebenso. Die Natur verordnet bestimmter Technik in Syrien eine Pause. Russland hat diesen Zwang diplomatisch ausgenutzt. Zweitens hat die russische Luftwaffe die Infrastruktur des IS und der “moderaten Opposition” bereits zerstört. Für die laufende Unterstützung der syrischen Armee ist die bisherige Anzahl an russischen Kampfflugzeugen nicht mehr nötig.

Heute sind wir bereits in Phase zwei. Man hat die Bedingungen geschaffen, konsequent gegen den IS, gegen Al Nusra und gegen andere große Terrorgruppen in Syrien vorzugehen. Sie wurden schon in Phase eins massiv von der russischen Luftwaffe bearbeitet, Zerstörung der wirtschaftlichen Basis des IS inklusive, aber für endgültige militärische Siege braucht es Bodentruppen und die waren bisher zu sehr von der “moderaten Opposition” gebunden. Jetzt nicht mehr. Die syrische Armee konnte viele Einheiten verlegen und genug Kräfte für eine massive Offensive bei Palmyra konzentrieren.

Die Befreiung von Palmyra ist wichtig, um die Versorgung der Terroristen aus Saudi-Arabien zu unterbinden. Saudi-Arabien hat keine eigene Grenze mit Syrien, aber Jordanien, das zwischen Syrien und Saudi-Arabien liegt, präsentiert sich offen als Vasall der Saudis:

KING ABDULLAH II: Well, we are in coordination with the Saudis. We took a firm position against what the Iranians did. We fully support our Saudi friends. We took the position that we took. We brought in the Iranian ambassador and expressed our displeasure. This was done in coordination with our Saudi allies. We have an amazingly strong relationship with our Saudi Brethren. My relationship with his majesty the king, the crown prince, is extremely strong, and this was the position that we had worked out between ourselves and again don’t forget we are part of the Vienna talks when it comes to Syria, so it was felt having us in a bit more flexible position at the talks is probably more prudent at this stage.

Das sagt Jordaniens König höchstpersönlich. Hervorhebungen von mir.

Der Weg von Jordanien zu den syrischen Hauptstätten des IS führt über Palmyra. Auf diesem Weg bekommen der IS und andere Terror-Gruppierungen von Saudi-Arabien und Katar Nachschub an Militärgerät, Munition und Kämpfern. Diese südliche Lebensader des IS ist jetzt durchgeschnitten.

Die militärische Lage in Syrien Mitte-Ende März. Im Südwesten ist eine lange Grenze zu Jordanien, ein Teil der Grenze ist nicht von der syrischen Armee kontrolliert. Rot eingekreist ist Palmyra. Die Pfeile zeichnen die Stoßrichtungen für kommende militärische Operationen ein.

Der zweite wichtige Aspekt der Befreiung von Palmyra ist propagandistischer Natur. Der Westen hat Palmyra viel mediale Aufmerksamkeit gewidmet, als es vom IS eingenommen wurde und als dort einige antike Stätten zerstört wurden. Dem Westen ging es damals darum, die Bösartigkeit des IS zu demonstrieren. Die Befreiung von Palmyra kann von unserer Presse nicht ignoriert werden. Und das ist sehr schmerzhaft für die Presse, denn die Sachlage zerreißt die Lügengebäude des Westens. Angeblich ist die syrische Armee so schwach, dass sie zu keiner Offensive mehr taugt. Jetzt sieht aber alle Welt, dass das gelogen ist. Angeblich unterstützt Assad den IS. Jetzt sieht alle Welt, wie Assad den IS erfolgreich bekämpft. Unsere verärgerte Presse gratuliert zähneknirschend und mit Giftpfeilen angereichert. Manche Presseorgane nutzen die Gelegenheit, um dem eigenen Ansehen einen weiteren Schlag zu verpassen. Anders lassen sich viele Veröffentlichungen nicht deuten.

Auch die westliche Politik hält sich möglichst bedeckt, was Palmyras Befreiung angeht. Ein Glanzpunkt ist die Blockade eines UN Sicherheitsrats-Statements zur Befreiung von Palmyra. Der Schmerz im Westen sitzt tief.

Die antiken Stätten von Palmyra wurden vom IS miniert. Russische Minenräumer haben – in Abstimmung mit der UNESCO und mit der syrischen Regierung – bereits den Auftrag erhalten, die antike Stadt zu entschärfen. Eine gute Entscheidung, denn russische Minenräumer gehören zu den besten der Welt. Bei der Gelegenheit werden sie syrische Minenräumer trainieren, denn die Syrer werden noch sehr viele Minen entschäfen müssen in den kommenden Jahren.

Einer Großoffensive gegen den IS steht noch die von Al Nusra gehaltene Provinz Idlib im Nordwesten Syriens im Weg (auf der Karte oben grün eingezeichnet). Die direkte Verbindung zum IS ist zwar unterbrochen worden, aber über die türkische Grenze erhalten die Terroristen volle Unterstützung. Hier ist noch viel Arbeit für die syrische Armee zu verrichten und hier werden noch viele Kräfte für lange Zeit gebunden sein.

Wenn Phase zwei, die Zerstörung des IS, sich dem Ende neigen wird, wird laut Plan in der dritten Phase die neue politische Landkarte Syriens gezeichnet. Die Vorbereitungen dafür laufen im Hintergrund auf Hochtouren, aber die endgültigen Verhandlungen sind heute noch Zukunftsmusik.

Lassen Sie sich von den laufenden Verhandlungen nicht irritieren. Der Westen hat es geschafft, dort Saudi-Arabien (!) zum Leiter der syrischen Opposition zu machen. Deren Marionette torpediert die Verhandlungen auch fleißig mit immer neuen Forderungen, die den UN-Resolutionen widersprechen, auf denen die Friedensgespräche aufbauen. Für die Russland-Koalition ist das kein Nachteil. Für konstruktive Verhandlungen ist die Zeit ohnehin noch nicht reif, weil die militärischen Machtverhältnisse in Syrien noch nicht endgültig geklärt sind. Aber man kann schon mal ein wenig üben. Und wie oben bereits dargestellt wurde, halten die Verhandlungen die syrischen Opportunisten ruhig. Das erfolglose Gewusel der Verhandlungen, die jedes mal verlegt werden, kaum dass sie begonnen sind, ist Teil des Plans. Die USA sind vermutlich involviert.

Die USA, was haben sie mit ihrer Koalition vorzuweisen? Sie lassen die Kurden gen Monsul marschieren. Das bindet die Kräfte des IS und verhindert die Verstärkung der gerade zusammenbrechenden Westfront. Das Problem mit den Kurden ist, dass sie keine echte Armee haben, sondern mehr so etwas wie Partisanenverbände. Der Unterschied zwischen einer Armee und Partisanen ist, dass Partisanen ihr Fleckchen Heimat bravourös verteidigen, aber wenig Bereitschaft haben, jenseits davon zu kämpfen, geschweige denn das eigene Leben auf fremden Gebiet für die Heimat fremder Menschen zu opfern. Bei einer Armee ist das ganz anders. Deren Soldaten kämpfen überall mit der gleichen Opferbereitschaft, sind disziplinierter, halten die Befehlshierarchien ein. Ein konzentrierter und koordinierter Angriff wie mit der syrischen Armee ist mit Kurden nicht zu machen, selbst wenn die USA echte große Erfolge gegen den IS haben wollen.

Aber vergessen wir nicht die Möglichkeit der USA, die Früchte fremder Arbeit zu stehlen. Vor fast vier Monaten habe ich darauf hingewiesen, dass die USA das systematisch machen werden:

Mit einem kleinen Kontingent von Kampfflugzeugen hat Russland in zwei Monaten eine Wende in Syrien herbeigeführt, nachdem die große von der USA angeführte Koalition über ein Jahr lang keinen Schaden am IS verursachen konnte und nachdem US-Generäle verkündet haben, dass der Kampf gegen den IS noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern würde. Die USA hätten die Wende am liebsten verhindert, aber da es sich nicht verhindern ließ, müssen sie das beste daraus machen. In bester US-Tradition bedeutet es erstens, sich möglichst viel Einfluss in der neuen Situation zu sichern und zweitens, die Welt glauben zu machen, dass es die USA waren, die die Wende organisiert und herbeigeführt haben.

Hier ein aktuelles Beispiel dafür:

What’s important for people to understand is, we are making real progress in Iraq and Syria. And I mean real progress. In 2014 when they began to sweep across Iraq, that is when President Obama ordered the initial bombing that stopped them from moving towards Baghdad. And since then, we have recouped about 40 percent of the territory in Syria which they had captured.

Sagt US-Außenminister Kerry. Hervorhebungen von mir. Die USA sind seiner Aussage nach diejenigen, die große Fortschritte in Irak und Syrien machen. Und die USA sind es laut Kerry, die 40% des “von ihnen” besetzten Territoriums in Syrien befreit haben. Klingt so, als ob ganz Syrien gemeint ist. Kerry hat sich diplomatisch abgesichert, indem er nicht spezifiziert, wer “die” sind. Fragt ohnehin keiner nach, welche Mini-Bande er meint. Im Gedächtnis werden “40% der besetzten Territorien befreit” bleiben.

Und dann noch das: Die USA haben Al-Qaduli getötet, die Nr. 2 des IS! Sie haben ihn damit schon zum dritten Mal getötet. Das erste Mal im September 2014, das zweite Mal im April 2015 und das dritte mal jetzt. Wenn man wiederholt einen Wiederkehrer töten muss, um der Welt einen Erfolg in Syrien zu präsentieren, sagt das alles über die echten Erfolge der USA in Syrien aus.

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Obama peitscht Erdogan öffentlich aus

Obama hat Erdogan öffentlich ausgepeitscht. Diplomatisch.

In Washington findet diese Woche der Nuclear Security Summit statt. Erdogan wird auch dabei sein, ist aber ein paar Tage vorher angereist, um bei der Eröffnung einer Moschee in Maryland dabei zu sein. Erdogan hat Obama zu diesem Ereignis eingeladen, aber Obama hat abgelehnt.

Ein Treffen Obamas mit Erdogan sei auch während des Nuclear Security Summit nicht geplant. Man habe sich doch schon im November auf dem G20 Summit getroffen und im Februar dann telefoniert. Botschaft von Obama: Mit dir habe ich nichts zu bereden.

Ein Sprecher des Weißen Hauses gab außerdem zu Protokoll:

When it comes to the [Nuclear Security Summit], there is not a robust [bilateral] schedule, so it’s not as if Erdogan is being excluded.

Für das Nuclear Security Summit gibt es keinen speziellen Terminplan für bilaterale Treffen. Erdogan sei nicht etwa ausgeschlossen. Übersetzt aus dem diplomatischen: “Los, bettel öffentlich um ein Treffen, du Hund, dann bekommst du eins.”

Was Putin vor ein paar Tagen mit Kerry gemacht hat, war Trolling. Unangenehm für Kerry, aber voll im Rahmen des Erträglichen. Was Obama mit Erdogan macht, ist öffentliches Auspeitschen. Absolut humorlos. Absolut erniedrigend. Mehrere Eskalationsstufen über dem, was Putin angewendet hat. Obama hat Erdogans Einladung ausgeschlagen. Obama lässt über seine Sprecher mitteilen, dass es mit Erdogan nichts zu beredet gibt. Obama lässt über seine Sprecher mitteilen, dass Erdogan während des Nuclear Security Summit nicht per se ausgeschlossen ist. Er muss aber schon um ein Treffen bitten. Also ankriechen. Also nicht nur erniedrigt werden, sondern sich auch selbst erniedrigen.

Die USA zeigen der Türkei, wo ihr Platz ist. In den Medien wird argumentiert, dass Erdogans Kampf gegen die Kurden der aktuelle Grund für die diplomatische Verstimmung ist. Das ist ein Grund, ja. Die USA planen mittelfrustig mit einem Kurdenstaat, auch auf dem Gebiet der Türkei. Kurzfristig brauchen sie die Kurden, um sich medial ein paar Erfolge im Kampf gegen den IS zuzuschreiben.

Aber ist das genug, um den strategisch wichtigen NATO-Partner Türkei so zu erniedrigen? Erdogans Krieg gegen die Kurden steht der Gründung eines Kurdistans – auch auf türkischem Gebiet – nicht im Weg. Und Erfolge im Kampf gegen den IS kann sich die Lügenmaschinerie der Westpresse auch so zurechtzimmern. Ob Erdogan den Kurden an der Grenze in den Rücken schießt oder nicht, spielt nicht die entscheidende Rolle.

Das ist nicht genug. Die Türkei kontrolliert die Meerenge zwischen dem Schwarzen und dem Mittelmeer. Militärstrategisch äußerst bedeutsam gegen Russland. Die Türkei ist eine massiv ausgebaute NATO-Speerspitze in den Bauch von Russland. Das alles ist viel zu bedeutend, um für ein paar tausend Kurden aufs Spiel gesetzt zu werden. Die Türkei verhält sich vor allem aber auch aktuell sehr West-freundlich. Erdogan hat Türkisch Stream blockiert, spuckt Russland und China in die Suppe und verlangsamt die Integration der Türkei in das Projekt der Neuen Seidenstraßen.

Die USA treiben Erdogan gerade in die Enge. Ist das strategisch klug? Was, wenn Erdogan sich wieder Russland zuwendet?

Was könnte außer den Kurden noch von Bedeutung sein, was die USA dazu verleitet, hart gegen Erdogan vorzugehen?

Erdogan führt seit einigen Jahren radikale politische Säuberungen durch. Tausende Beamte in Justiz, Militär und Geheimdiensten werden entlassen und ausgetauscht, mit Verweis darauf, dass sie für Gülen arbeiten. Gülen ist ein in den USA lebender Exil-Türke, der an Erdogans Stuhl sägt. Ein Werkzeug für die USA, um Erdogan lenkbar zu machen. Sei brav oder wir lassen Gülen von der Leine und bescheren dir eine Farbige Revolution. Gülens Leute in der Türkei durchsetzen tatsächlich die Ämter bis in höchste Ebenen. Selbst Erdogans Partei ist massiv infiltriert. Und Erdogans Säuberungen treffen wohl tatsächlich (auch) die Gülen-Leute. Das wäre ein guter Grund für die USA, nervös zu werden und zu handeln. Wenn sie in der Türkei ihre Hebel gegen Erdogan verlieren, wäre das schwerwiegend. Dann könnte Erdogan echt unabhängige Politik machen. Von den USA unabhängige Politik ist verboten.

Ein anderer möglicher Grund ist Erdogans West-freundliche Politik. Inzwischen muss man genau hinschauen, der Westen als einheitlich agierender Block zerfällt. Die Absage von Türkisch Stream nützt Deutschland. Aber wie sehen das die USA? Das dadurch befeuerte Nord Stream 2 ist noch schlimmer aus US-Sicht. Viel schlimmer. Nord Stream 2 stärkt Deutschland massiv – das ist gegen die aktuellen US-Interessen. Nord Stream 2 kettet Deutschland und Russland direkt wirtschaftlich aneinander, und zwar nachhaltig. Das ist furchtbar. Dagegen wäre Türkisch Stream ein Traum gewesen. Von der Türkei bis Deutschland hätten Gasleitungen über eine Reihe von weiteren Drittstaaten verlegt werden müssen. Entweder über die absolut US-hörigen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien – das hätten die USA herrlich sabotieren und mindestens in die Länge ziehen können. Oder über den Balkan. Was die USA mit dem Balkan machen können, beweist uns George Soros gerade. Der Gas-Transit von Russland nach Deutschland über eine ganze Reihe US-kontrollierter gescheiterter Balkanstaaten – das wäre ein Traum gewesen. Genauso gut wie die Ukraine. Strategisch wäre Türkisch Stream für die USA viel günstiger als Nord Stream 2.

Und dann sind da noch die häufigen aktuellen Verhandlungen zwischen EU und Türkei. Formell geht es um Flüchtlinge. Wenn da eine echte Lösung gefunden wäre, wäre das schon schlimm genug für die USA. Die Flüchtlingskrise brauchen sie, um die EU zu schwächen. Da soll überhaupt nichts gelöst werden. Und darüber hinaus wissen die USA vielleicht etwas, was wir nicht wissen. Unter dem Deckmantel der Flüchtlingskrise könnten die häufigen Treffen von EU und Türkei genutzt werden, um im Geheimen irgendwas auszuhecken, was den USA nicht gefällt. Vielleicht gibt es noch bessere Gründe als die Flüchtlinge, warum wir Erdogans Stiefel so fleißig lecken. Wir sind in einer geopolitischen Umbruchphase, es wird gerade überall in der Welt über eine neue Weltordnung verhandelt. Die Öffentlichkeit bekommt nur einen Bruchteil davon mit, aber die Verhandlungen sind da.

Ein weiterer, recht einfacher Grund, könnte sein, Erdogan einfach mal wieder zurecht zu stutzen und ihm zu zeigen, wer Herr im Haus ist. Erdogan maßt sich vieles an in letzter Zeit. Er drängte 2013 Obama über dessen “rote Linie”, und zwar sehr unsanft. Erdogan verlässt die Schiene eines säkularen Staates und arbeitet auf ein arabisches Imperium hin. Eine zentrale große Macht im Nahen Osten ist ganz und gar nicht im Sinne der US-Strategie, die nach dem Prinzip “teile und herrsche” vorgeht und dafür viele kleine, etwa gleichstarke Entitäten im Einflussgebiet benötigt. Und neulich erst hat Erdogan die USA öffentlich aufgefordert, sich zu entscheiden, ob man mit der Türkei oder mit den Terroristen (den Kurden) sei. Das Weiße Haus hat auf diesen Ausfall Erdogans nicht öffentlich reagiert. Vielleicht sehen wir jetzt die Reaktion.

Wenn man sucht, findet man also viele gute Gründe, warum die USA Erdogan öffentlich erniedrigen könnten. Dennoch ist das ein gefährliches Spiel. Eine öffentliche Erniedrigung ist kein Mittel der ersten Wahl. Es ist auch ein Zeichen der Schwäche der USA, wenn sie dazu greifen müssen. Das bedeutet, sie konnten auf andere Weise nicht genug bewirken. Eine öffentliche Erniedrigung hat auch den Nachteil, dass sie zwar weh tut, aber faktisch zu nichts zwingt. Der Erniedrigte hat die Wahl, sich zu unterwerfen oder sich beleidigt abzuwenden, sich womöglich sogar zu verteidigen.

Vielleicht will man Erdogan zu einer Dummheit provozieren. Wie kontrolliert man aber, dass er die richtige Dummheit begeht? Nicht, dass er zu Russland überläuft und seine Drohung vom Verlassen der NATO und dem Anschluss an die SCO wahr macht.

Vielleicht ist der offene Kampf der USA gegen Erdogan eröffnet. Sein Sturz muss ganz und gar nicht den Verlust der der türkischen Fügsamkeit in strategische US-Interessen bedeuten. Wenn die USA Gülen oder eine andere Marionette an die Macht hieven, könnte es für sie viel angenehmer als mit Erdogan werden. Sie müssten natürlich ein Gegengewicht zu Gülen finden (Erdogan das Exil anbieten oder so…), aber damit haben die USA reichlich Erfahrung.

In jedem Fall kann der aktuelle diplomatische Vorfall in den USA nicht folgenlos bleiben. Erdogan muss das Knie beugen oder in den Krieg ziehen. Jetzt kann er sich sogar entscheiden, ob er das Knie vor Russland oder den USA beugt. Oder gegen beide in den Krieg zieht. Die politisch ohnehin schon sehr ereignisreiche Phase, die wir gerade durchleben, wird um ein weiteres Ereignis reicher. Decken Sie sich mit Popcorn ein. Und vergessen Sie nicht, jeden Abend für den Weltfrieden zu beten.

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