Soweit wir wissen, sind westliche Medien ein Teil des geopolitischen Werkzeugs, das benutzt wird, um die Reputation aller nonkonformistischer Nationen auf dem Planeten zu zerstören.
Meine Übersetzung. Geklaut von hier.
Soweit wir wissen, sind westliche Medien ein Teil des geopolitischen Werkzeugs, das benutzt wird, um die Reputation aller nonkonformistischer Nationen auf dem Planeten zu zerstören.
Meine Übersetzung. Geklaut von hier.
Nehmen Sie sich Zeit für diesen Grundsatzartikel von Jean-Marc Ayrault und Frank-Walter Steinmeier. Die Außenminister von Frankreich und Deutschland lassen die Bombe platzen.
“Entschuldigung”.
Erdogan hat es getan. Er hat sich bei Putin entschuldigt. Ein weiterer Beweis dafür, dass hochrangige Politiker nicht dumm sind. Sie können sich verzocken, sie können bis zuletzt bluffen, kämpfen, sich an Strohhalmen festhalten… aber sie sind nicht dumm.
Fassen wir im Schnelldurchlauf zusammen, was mit der Türkei geschehen war und was nun mit ihr geschieht. Erdogan hat anderhalb Jahrzehnte geduldig auf ein Neoosmanisches Imperium hingearbeitet. Mit “Soft Power” hat die Türkei ihre Fühler großräumig ausgestreckt. Ein Imperium braucht eine vereinende Ideologie. Die türkische säkulare Regierungsform, die von Atatürk (“Vater der Türken”) nach dem Ersten Weltkrieg etabliert wurde, die neue lateinische Schriftform, die Atatürk eingeführt hatte, waren nicht geeignet, die Türkei zum zentralen und verbindenden Element der islamischen Welt des Nahen Ostens zu machen. Erdogan vollzog den Schwenk von Säkularität zum Islam. Koran-Schulen schossen unter seiner Regentschaft wie Pilze aus dem Boden. Die Lehre der arabischen Sprache und Schrift wurde massiv vorangetrieben. Die Türkei sollte islamisch werden, um von der islamischen Welt als Anführer angenommen zu werden.
Vor sechs Jahren überwarf sich die Türkei mit Israel. Israels Außenpolitik basiert darauf, keine Regionalmacht neben sich selbst im Nahen Osten zu dulden. Das gilt auch für die Türkei, deren Ambitionen schon damals nicht zu übersehen waren. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden auf Eis gelegt. Dann kam der “Arabische Frühling”. Die Interessen von USA und Türkei fielen zeitweilig zusammen. Beide waren daran interessiert, die Regionalmächte des Nahen Ostens zu schwächen. Libyen als Antreiber nordafrikanischer Integrationsprozesse wurde zerstört, Ägypten stark geschwächt, Syrien angegriffen. Syrien ist als säkularer Staat eine besonderere Hürde für neoosmanische Pläne. Diese Barriere nach Süden sollte weggeräumt werden. Der Sturz von Assad war der Türkei daher ein besonders wichtiges Anliegen. So wichtig, dass Erdogan unverhohlen auf die Terrororganisation Islamischer Staat und andere islamistische Terrorgruppen setzte und die Türkei nicht nur zum Islam, sondern zum radikalen Islamismus trieb. Den USA und auch der EU war das nur Recht, sie verfolgten hierbei eigene anti-eurasische Pläne.
Erdogan streckte seine Fühler auch auf den krisengeschüttelten Balkan aus und organisierte 2015 eine Flüchtlingswelle aus jungen Männern, die den Balkan überfluten und islamisieren sollten. Den USA war das Recht, um die ungehorsam gewordene EU zu schwächen. Der EU war das gar nicht Recht, aber auf den unerwarteten Angriff konnte sie vorerst nicht anders reagieren als mit dem deutschen Staubsauger, der die Flüchtlinge vom Balkan nach Deutschland zog, um den vorzeitigen EU-Zerfall zu verhindern. Die Beziehungen zwischen EU und Türkei waren dadurch vermiest, aber solange die EU gegen Erdogans Angriff wehrlos war, leckte sie beschwichtigend seine Stiefel, in der Hoffnung, damit Zeit zu gewinnen und die Situation abzumildern.
Erdogan hatte eine Alternative zum Neoosmanischen Reich. Das war die Mitgliedschaft im Seidenstraßenprojekt von China, gepaart mit einer strategischen Partnerschaft mit Russland. Nach der Kriegserklärung des Westens an Russland 2014 bot Putin der Türkei mit Türkisch Stream sogar die Möglichkeit an, wichtigstes Transitland für russisches Gas in die EU zu werden. Auch andere Warenströme im Rahmen der Neuen Seidenstraßen sollten durch die Türkei verlaufen und die großen Wirtschaftsräume Asien und EU verbinden. Ein Geschenk Allahs geradezu. Als Transitland müssen Sie nichts tun, außer abzukassieren und es sich dabei gut gehen zu lassen. Einfach nur, weil sie in einer günstigen geographischen Lage geboren wurden.
Erdogan war das zu wenig. Oder zu langweilig. Er entschied sich jedenfalls für sein neoosmanisches Projekt und versuchte Syrien zu zerdrücken. Syrien erwies sich aber als wehrfähig, natürlich auch dank der Unterstützung von Iran, Russland und China. Als Syrien Ende 2015 dem Zusammenbruch nahe schien und der Westen mit bereits beschlossenen Plänen zur Flugverbotszone zum Todesschlag ausholte, mischte sich Russland militärisch ein und kippte die Situation radikal. Der angeblich so mächtige IS, für dessen Zerschlagung die USA mindestens fünf bis zehn Jahre einplanten, ist neun Monate nach Beginn der russischen Intervention an allen Fronten auf dem Rückzug. Sein Ende ist beschlossene Sache und bereits absehbar.
Der russische Einsatz wandte sich nicht gegen die Türkei, kam Erdogans imperialen Plänen aber in die Quere. Der Erhalt des säkularen syrischen Staates lässt kein Neoosmanisches Reich zu. Erdogan setzte alles auf eine Karte und eskalierte die Situation mit dem planmäßigen Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs. Putin hat nicht übertrieben mit seiner Darstellung, der Angriff war tatsächlich hinterhältig. Die türkischen Kampfflugzeuge kreisten in Lauerstellung stundenlang hinter einer Bergkuppe, unsichtbar für russische Radare. Als das Werk vollbracht war, wandte sich Erdogan nicht an Russland, um sich zu beschweren oder eine Klärung des Vorfalls zu verlangen. Er lief direkt zur NATO. Das Klakül der Eskalation war klar. Die NATO sollte sich hinter die Türkei stellen und Russland aus Syrien rauspressen. Im November 2015 schien das Erdogan noch realistisch. Weil ihm irgendwer aus der NATO zugeflüstert hatte, dass es realistisch ist. Das US-Verteidigungsministerium hat sich im Syrien-Krieg immer wieder als Kriegstreiber offenbart und Obamas Bemühungen einer Deeskalation geradezu demonstrativ Steine in den Weg gelegt. Auch US-Vizepräsident Biden hat die Türkei zur Eskalation aufgemuntert.
Erdogan stolperte in diese Falle. Die NATO zeigte sich kühl und versagte die erhoffte Unterstützung. Selbst der verbale Zuspruch war nur mäßig. Eine anti-russische Kampagne wurde nicht gestartet. Und schon gar nicht kam es zu einem NATO-Militäreinsatz, der Russland aus Syrien zu verdrängen versucht hätte. Die USA hatten niemals vor, wegen Erdogan einen Krieg gegen Russland zu beginnen. Sie hatten vor, Türkei und Russland in einen gegenseitigen Krieg zu verwickeln. Aber Russland ließ sich nicht provozieren und die Türkei hatte im Alleingang nicht den Mut, Russland militärisch entgegen zu treten. Die diplomatische Eiszeit zwischen Türkei und Russland war dennoch ein Gewinn für die USA. Die eurasischen Integrationsbemühungen erlitten einen schweren Schlag. Die letzte unverseuchte Landbrücke zwischen Asien und EU wurde verseucht. Vom Baltikum bis zur Türkei wurde ein breiter Vorhang aus russlandfeindlichen Staaten aufgespannt.
Putin hat auf den Abschuss des russischen Kampfflugzeugs scharf, aber besonnen reagiert. Er sprach von Verrat, drohte Konsequenzen an, vermied aber heftige Reaktionen und ließ Erdogan von Beginn an die Tür für die Normalisierung der vergifteten Beziehungen offen. Die drei Bedingungen, die schnell formuliert und bis heute immer wieder öffentlich wiederholt wurden: Eine Entschuldigung von Erdogan, eine Entschädigung für die Angehörigen des toten Piloten und für das abgeschossene Flugzeug, eine strafrechtliche Verfolgung der für den Abschuss Verantwortlichen.
Nicht hinnehmbar für Erdogan. Nicht nur wegen seines Stolzes. Sondern auch, weil er um sich herum eine Mannschaft versammelt hat, deren gemeinsames Ziel das Neoosmanische Reich war. Davutoglu war der ideologische Architekt dieses Projektes. Eine Entschuldigung bedeutete das Eingeständnis der Niederlage und die Beendigung des Projektes. Und das bedeutete Unmut in Erdogans Mannschaft und bedrohte direkt seine politische Karriere. Erdogan gab sich entsprechend hart. Man habe sich für nichts zu entschuldigen. Wenn überhaupt, müsse sich Putin entschuldigen. Russland überlegte gründlich und ohne Hast und setzte der Türkei die Daumenschrauben an. Nahrungsmittelimporte aus der Türkei und Tourismusreisen in die Türkei wurden gestoppt. Russland stellte die meisten Touristen in die Türkei, die Zahl sank in diesem Jahr um 92 %. Gleichzeitig sanken auch die Touristenzahlen aus Europa um ein Drittel, weil die Situation in der Türkei unruhig ist und Meldungen über Terroranschläge in der Türkei fast wöchentlich durch die Medien gingen. Die türkische Wirtschaft wurde schmerzhaft getroffen. Parallel dazu verlor Erdogan den Kampf gegen die EU. Die Flüchtlingskrise konnte den Balkan nicht chaotisieren. Inzwischen ist der Flüchtlingsstrom weitgehend unter Kontrolle. Deutsche Kriegsschiffe patroullieren vor der türkischen Küste. Der Blitzkrieg gegen die EU ist gescheitert und für mehr hat Erdogan nicht die Kapazitäten. Jetzt geht die EU in die Gegenoffensive, Deutschland hat den Genozid an den Armeniern als solchen anerkannt. Ein klares Zeichen, dass das Stiefellecken vorbei ist. Die diplomatischen Beziehungen zwischen EU und Türkei sind auf einem Tiefpunkt angelangt.
Zwischenfazit. Erdogan standen zwei strategische Ausrichtungen offen. Zentraler Eurasischer Brückenkopf oder Neoosmanisches Imperium. Erdogan entschied sich für letzteres und verlor. Er wurde von den USA ausgenutzt und verraten, hat sich die EU, Russland, Israel und Iran zu Feinden gemacht. Erdogan hat damit alle angrenzenden Regional- und Weltmächte gegen sich aufgebracht. Im Austausch hat er bessere Beziehungen zur Ukraine und zu Saudi-Arabien bekommen und sich mit dem IS verbrüdert. In die Lehrbücher für Geopolitik wird das als “Epic Fail” eingehen. Zu allem Genannten kommt hinzu, dass die USA ihr längst angekündigtes Projekt vom unabhängigen Kurdistan ungeniert vorantreiben und damit offen die nationale Souveränität der Türkei angreifen. Erdogan hat sich und sein Land in eine furchtbare Sackgasse manövriert.
Das alles ist Erdogan natürlich nicht entgangen. Er suchte schon sehr bald nach dem verhängnisvollen Abschuss der Su 24 die Annäherung an Russland, sendete Signale, belauerte Putin beim Klimagipfel in Paris vor einer Toilette, ließ seine Diplomaten beschwichtigende Worte sprechen. Es hat alles nichts genützt. Russland wiederholte gebetsmühlenartig die drei Bedingungen für die Wiederherstellung partnerschaftlicher Beziehungen. Erdogan nutzte die Zeit, um die Wende vorzubereiten. Davutoglu ist gegangen worden und wurde durch eine gefügige Marionette ersetzt. Davutoglu hat keine schmutzige Wäsche gewaschen und hat bei seinem Abgang Erdogan den Rücken gestärkt. Auch er war sich der Sackgasse bewusst und er war sich bewusst, dass mit ihm als ideologischem Vater des Neoosmanischen Reiches der zwingend notwendige Rückweg aus der Sackgasse nicht möglich ist.
Jetzt ist Erdogans Entschuldigung da. Daneben bietet er eine Entschädigung an und verspricht, dass gegen die Person, die mit dem Tod des russischen Piloten assoziiert ist, bereits ein Verfahren läuft. Auf alle drei Forderungen Russlands ist Erdogan damit eingegangen. Aber das ist nicht einfach die Unterwerfung eines Alpha-Männchens unter einen anderen, wie dieser launige Artikel suggeriert. Das ist die Absage an das Neoosmanische Reich. Die geopolitische Großwetterlage ändert sich damit mal wieder dramatisch, von einem Tag auf den anderen.
Wie dramatisch, zeigt sich an den Ereignissen, die um den Tag der Entschuldigung passieren. Das Timing ist kein Zufall.
Als er vom Osmanischen Reich phantasierte und dafür eine strategische Dummheit nach der anderen beging, war Erdogan “unser Hurensohn”. Man hat ihn gewähren lassen, hat über alle seine Schandtaten hinweggesehen, selbst wenn sie der Öffentlichkeit nicht mehr verborgen werden konnten. Die Absage an das Osmanische Reich kann in strategischer Hinsicht nur die Hinwendung zu den Seidenstraßen bedeuten. Das macht Erdogan zum Hurensohn, der auf der falschen Seite steht. Der Krieg gegen ihn ist eröffnet, kaum dass er die Wende verkündet. Den diplomatischen Kniefall vor Putin wird Erdogan noch häufiger machen müssen in seinem neuen politischen Überlebenskampf. Einen besseren Weg hat er nicht mehr. Zurück kann er nicht, da ist die Sackgasse. Es gilt zu retten, was noch zu retten ist. Es gilt, den türkischen Staatszerfall zu verhindern.
In strategischer Hinsicht zeichnet sich folgender Deal ab: Die Türkei legt ihre Expansionspläne zu den Akten und konzentriert sich auf das eigene Staatsgebiet. Sie hilft bei der Beseitigung des IS und anderer Terrorgruppen in Syrien. Im Gegenzug helfen Russland und Israel, einen kurdischen Staat zu verhindern. Genau solche Deals werden in diplomatischen Hinterzimmern ausgehandelt und genau dafür hat sich Putin in den letzten beiden Jahren so häufig mit zahlreichen Staatsführern aus dem Nahen Osten getroffen, darunter auch mehrmals mit Israels Premier Netanjahu. Die USA werden diesen Deal torpedieren. Der Türkei stehen heiße Zeiten bevor.
Es ist tatsächlich geschehen. Der Teil der britischen Eliten, der für Großbritaniens Abspaltung steht, hat sich als stärker und zielstrebiger erwiesen. Camerons schrille Warnungen und sogar das heilige Opfer konnten dagegen nicht bestehen.
Die Wahlentscheidung für den Brexit eröffnet jedenfalls viel spannendere Aussichten als es ein Verbleib Großbritanien tun würde. Im Falle des Verbleibs hätte die EU einen Schlag erlitten und wäre da, wo sie vorher war, nur zusätzlich geschwächt. Der Brexit aber hat sehr großes, fast unausweichliches Potential, um die Karten kräftig neu zu mischen und weitreichende Veränderungen sowohl für die EU, als auch in der weltweiten Geopolitik, einzuläuten.
Zunächst einmal ist das Referendum nicht bindend. Das Parlament muss der Empfehlung des Volkes nicht folgen und könnte auch beschließen, dass Großbritanien in der EU bleibt. Das wäre der Todesstoß für das Demokratie-Image und damit für den Westen. Zu sehr wurde dieses Referendum weltweit mit Bedeutung aufgeladen, um seine Entscheidung zu ignorieren. Auch wenn es juristisch keinerlei Brexit-Pflicht gibt, ist der Verbleib Großbritaniens in der EU nur eine theoretische Möglichkeit mit äußerst geringer praktischer Eintretenswahrscheinlichkeit. Cameron hat bereits seinen Rücktritt angekündigt, Merkel eine Zäsur der EU verkündigt und EU-Parlamentspräsident Schulz hat Großbritanien schon aufgefordert, schnell den Austrittsantrag einzureichen. So sehr sie vorher alle gegen den Brexit waren, so sehr erklären sie ihn jetzt möglichst zügig zur beschlossenen Sache. Kein Wunder, denn die Alternative wäre, wie gesagt, der Selbstmord der westlichen Ideologie, was nur mit der Absicht einhergehen kann, die westliche Hegemonie freiwillig aufzugeben. Das “Wunder” verbirgt sich vielleicht aber darin, dass der Brexit schon beschlossene Sache war und die allseitigen Bekundungen zum Verbleib Großbritaniens nur Theater waren. Dazu weiter unten mehr.
Gehen wir also vom Brexit als beschlossene Sache aus und schauen uns die Entwicklungsszenarien an, die sich daraus ergeben.
Szenario 1: EU und GB gehen friedlich auseinander. Beispiel für so ein Szenario ist der Zerfall der Sowjetunion. In diesem Fall heißt es “Rette sich wer kann” und sobald der erste schadlos austreten kann, stehen die Nachahmer Schlange. Der EU droht in diesem Szenario der totale Zerfall, und zwar umso mehr, je unbeschadeter sich GB aus der Affäre zieht.
Szenario 2: Die EU bestraft GB. Beispiel für dieses Szenario ist die Ukraine, die separatistische Tendenzen im Donbass mit äußerster Härte bestraft, um potentielle Nachahmer abzuschrecken und den totalen Zerfall abzuwenden. GB droht in diesem Szenario großes Leid, damit die EU erhalten bleibt. Parallel dazu wird die EU die innere Integration vorantreiben müssen, also die Delegation von weiteren nationalen Entscheidungsfreiheiten an die EU-Zentrale beschließen.
Irgendwo zwischen diesen beiden Extrempolen kann sich die EU bewegen. Wie man unschwer erkennen kann, sind die Interessen von EU und GB stark entgegengesetzt. Vor allen Dingen ist ein Kompromiss nicht möglich. GB und EU kommen nur jeweils glimpflich davon, wenn der jeweils andere schweren Schaden nimmt.
Es ist dennoch Platz für ein drittes Szenario in der Mitte. Seine Vorbedingung ist, dass die EU sich gar nicht erhalten will. Die Kollegen von der chartblubberei vertreten mit viel Elan die Theorie, dass höchste Entscheidungsträger der EU, Merkel und Draghi eingeschlossen, konsequent und zielgerichtet auf eine planmäßige Auflösung bzw. radikale Verschlankung der EU zuarbeiten. In diesem Szenario ist der Brexit ein planmäßig herbeigeführtes Schlüsselereignis, das die Transformationsprozesse anstößt und legitimiert. Das ist eine Variante von Szenario 1. Beide Seiten gehen friedlich auseinander, weitere EU-Staaten spalten sich ab. Der große Unterschied ist, dass der Zerfall der EU von innen heraus gewollt ist und Pläne und Absprachen vorliegen, was in Europa als Alternative aufgebaut wird. Das heißt auch, dass zwischen EU und GB das Konfliktpotential vergleichsweise gering ist, weil beide Seiten strategisch unter einer Decke stecken. Die unvermeidbaren Reibungen auf praktischer Umsetzungsebene wären lösbar.
Szenarien 1 und 2 dagegen beinhalten unlösbares strategisches Konfliktpotential. Jede Seite kann nur auf Kosten der anderen Seite gewinnen. Wer hat welche Trümpfe in der Hand?
Die Trümpfe der EU:
Die Trümpfe von GB:
Interessant ist noch der TTIP/CETA-Aspekt. Möglicherweise ist eine Entscheidung gefallen und GB flüchtet wohlweislich im letzten Moment aus der Falle. Vielleicht aber will sich die gesamte EU auflösen und transformieren, bevor TTIP oder CETA tödlich zuschlagen.
Die Aussichten der EU lassen sich am Ende so zusammenfassen: Interner Krieg ohne Kompromissmöglichkeit oder einvernehmliche Selbstauflösung.
PS: Die originellsten Lösungsvorschläge kommen aus der Ukraine. Poroschenko vertraut darauf, dass Großbritanien ungeachtet des Referendums in der EU bleibt. Das richtige Verständnis für Demokratie hat ihn bereits durchdrungen, nur die Bedeutung von PR ist ihm noch nicht ganz klar. Richtig kreativ ist die Vorsitzende des Rada-Kommitees für Auswärtige Angelegenheiten Anna Gopko. Sie schrieb auf Facebook: “Britanien geht raus – Ukraine geht rein? Europa als Kontinent retten”. Nein, das ist keine Satire. Anna Gopko ist wirklich eine ukrainische Abgeordnete und die von den USA in die Ämter gehievten ukrainischen Neupolitiker sind wirklich so drauf. Gopko schlägt tatsächlich vor, Großbritanien durch die Ukraine zu ersetzen und damit Europa zu retten. Weiter im Text wendet sie sich explizit an Berlin, mit der Aufforderung der Aufnahme der Ukraine in die EU. Wo die Entscheider sitzen, hat sie schon richtig erkannt, aber den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechend hätte sie sich in der Öffentlichkeit doch an Brüssel wenden sollen. Wenn Sie sehen wollen, wie tief man eine große Industrienation in weniger als dreißig Jahren fallen lassen kann, schauen Sie hin und wieder auf die Ukraine. Uns kann genau das gleiche bevorstehen. Unsere Medien sind in der Ukrainisierung schon sehr weit fortgeschritten und die Politik… In der Ukraine begann alles mit dem Zerfall der Sowjetunion. Bei uns beginnt gerade der Zerfall der EU.
Merkel sagte am 3. Juni:
Ich bin dafür, dass Russland Schritt für Schritt auch enger an den europäischen Wirtschaftsraum heranrückt, dass wir am Schluss eine gemeinsame Wirtschaftszone von Wladiwostok bis Lissabon haben.
Das war meine Interpretation des Zitats:
Lesen Sie aufmerksam mit. Da sollen nicht etwa der europäische und der russische Wirtschaftsraum näher zusammenrücken. Nein, Russland soll an Europa heranrücken. Die Beziehung soll nicht gegenseitig sein. Europa bleibt unverändert, nur Russland soll sich bewegen – auf Europa zu. Aus dem diplomatischen übersetzt heißt das: Wenn Russland sich unter Europa unterordnet, gliedern wir Russland in den europäischen Wirtschaftsraum ein. Es gibt das deutsche Herrenvolk und das russische Dienervolk.
Von Merkel gibt es nur solche vagen Äußerungen, die man schon aufmerksam studieren muss, um die Stoßrichtung zu erkennen. Aber Merkel ist nur die Spitze, unter ihr stehen Diplomaten des nächsten Ranges, Leute wie Steinmeier, und unter ihnen stehen weitere Diplomaten und unter ihnen noch weitere. Auf russischer Seite ist das genauso. Putin und Lawrow wuppen die Außenpolitik nicht alleine. Hinter ihnen stehen sehr viele weitere Diplomaten, die von der breiten Öffentlichkeit genauso wenig wahrgenommen werden wie ihre ausländischen Kollegen.
Auf allen Ebenen tauschen sich die Diplomaten aus, teilweise öffentlich, teilweise hinter verschlossenen Türen. Dem Austausch dienen unter anderem verschiedene Organisationen, Think Tanks, Summits usw. In Deutschland ist das beispielsweise und unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zu ihren Zielen gehört:
Unter Beteiligung von hochrangigen Entscheidern aus Politik und Wirtschaft organisiert und moderiert die DGAP in zahlreichen Fachkonferenzen, Gesprächskreisen sowie Studien- und Projektgruppen die Diskussion in der außenpolitischen Community.
In Russland gibt es den “Russian International Affairs Council” (RIAC), das Pendant zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Ziele sind im Prinzip gleich.
Schauen wir uns einen konkreten Austausch der deutschen und russischen “außenpolitischen Community” beispielhaft an. Auf deutscher Seite spricht Stefan Meister von der DGAP. Ein “Russland-Experte”, und als “Programmleiter Osteuropa, Russland und Zentralasien, Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien” hat er einiges an Verantwortung, was die Beziehungen zu Russland angeht. Er hat im RIAC eine Analyse zu den Beziehungen von EU und Russland vorgelegt, mit dem Titel “Russland und EU in der Geiselhaft fehlenden Vertrauens”.
Meister kommuniziert dort den deutsch-europäischen Standpunkt zu den Beziehungen zwischen Russland und EU. Die Lektüre hat schon ganz anderes Niveau als der tägliche Medienscheiß, in dem alles auf die Assoziation “Russland = böse” zuläuft. Im direkten Austausch mit den russischen Kollegen lässt sich Meister nicht so weit herab. Bei ihm hat Russland Interessen, die EU auch. Russland hat ein anderes politisches System als die EU. Russland versteht die EU nicht, die EU versteht Russland nicht. Er arbeitet heraus, was Russland von der EU will und was die EU von Russland will. Und die EU will folgendes von Russland:
Der Dialog über Meinungsverschiedenheiten führt nicht nur zu Enttäuschung; ihm fehlt ein allgemeiner Konsens, der notwendig ist, um eine gemeinsame Position zu Fakten, Prinzipien, Regeln und Grenzen des Erlaubten aufzustellen. Ein solcher Dialog birgt in sich die Gefahr der Legitimierung des in Russland so populären Diskurses über den eigenen Weg, russische Werte, der Nichtanwendbarkeit einheitlicher Schablonen zu den innerrussischen Prozessen, russische Spezifika. Genau das muss vermieden werden.
Über alles, was Russlands russische Identität angeht, sollten wir also gar nicht reden. Gut, das kann man unterschiedlich deuten. Wir müssen nicht darüber reden, um die empfindlichen EU-Gemüter nicht zu reizen. Vielleicht aber müssen wir nicht darüber reden, weil das alles nicht in Frage kommt. Beides trifft zu. Ein Diskurs über den russischen Weg darf gar nicht erst legitimiert werden, weil es den russischen Weg nicht geben soll. Meister schreibt mehrmals von der notwendigen Transformation der russischen Gesellschaft.
Die Illusionen darüber, dass eine enge Zusammenarbeit mit der russischen Elite zu einer politischen und sozialen Transformation Russlands führen könnte, wurden nach der Rückkehr von Wladimir Putin in das Amt des Präsidenten im Jahr 2012 zerstreut. So lange alle Teilnehmer des Prozesses nach dem Paradigma “Russland ist Putin” handeln, so lange die russische Regierung die Führungsrolle im Aufbau der Kontakte auf gesellschaftlicher Ebene zugesprochen wird, so wie es bis vor kurzem im Rahmen des Petersburger Dialogs der Fall war, so lange wird die EU-Politik kein Vertrauen in der russischen Gesellschaft genießen. Man muss die russische Gesellschaft nicht weniger ernst nehmen als die russische Elite.
In jedem Absatz der Diplomaten-Botschaft steckt sehr viel Information drin. In diesem Abschnitt lesen wir zunächst heraus, dass die EU eine politische und soziale Transformation Russlands erwartet hat. Mittels der Einflussnahme auf die russische Elite. Sehen Sie, hier gibt es kein Geschwafel von demokratischen Werten, Volkswille usw. Hier gibt es klare Worte. Die EU wollte Russland verändern, mittels der russischen Elite und ungeachtet des russischen Volkes. Weiter lesen wir, dass die EU, die jetzt die Hoffnung in die russischen Eliten verloren hat (die Illusionen sind zerstreut), nun die Führungsrolle der russischen Regierung in der russischen Gesellschaft bemängelt. Sie lesen ganz richtig. Wenn die russische Regierung die Führungsrolle in Russland übernimmt, findet die EU das doof. Die EU muss einfach sehr neidisch sein, denn wofür sonst ist eine Regierung denn da? Richtig, sie ist da, um zu führen. Aber im EU-Verständnis ist eine gute russische Regierung eine, die keine Führungsrolle in Russland hat. Nach der Desillusionierung kündigt Meister an, dass die EU die russische Gesellschaft ernst nehmen werde. Er meint damit keinen Respekt. Er meint damit, dass die EU ihre Strategie ändern wird. Statt des Versuches, die russische Gesellschaft über gekaufte russische Eliten zu transformieren, wird die EU sich nun unmittelbar mit der russischen Gesellschaft befassen. NGOs, Menschenrechtler, Naturschützer – das übliche Programm.
Solche Botschaften sendet Deutschland an Russland über offizielle diplomatische Kanäle. Ja, die EU mildert den Ton und versucht die Beziehungen zu Russland wieder herzustellen. Aber die EU strebt keine gleichrangige partnerschaftliche Beziehung an. Sie kommuniziert unzweideutig, dass sie Russland immer noch und weiterhin als Junior Partner behandeln will. Die Forderung ist, dass Russland keinen eigenen Weg geht. Russland soll sich in das westliche System eingliedern, soll sich “transformieren” (übersetzt: verbiegen und prostituieren), um als kleiner Vasall im westlichen System aufgenommen zu werden.
Wie viel Deutschland steckt in Stefan Meister? Er war im European Council on Foreign Relations tätig. Dahin schaffen es nur gute Freunde der USA. Dieser Artikel über das ECFR ist sehr empfehlenswert. Was Meisters Botschaft an Russland angeht, fällt auf, dass sie pessimistisch ausfällt. Sowohl was das Erreichte angeht, als auch was die zukünftigen Aussichten betrifft. Die von Meister formulierten, von mir oben übersetzten Forderungen, sind radikal und nicht hinnehmbar. Meister treibt damit einen Keil zwischen Deutschland und Russland.
Das Show-Geschäft in den USA hat eine lange Geschichte und ist heute das wichtigste Erziehungsinstrument für die graue Masse der US-Bevölkerung. Die passenden Filme trichtern den Minderwertigkeitskomplex ein – alle erfolgreichen Helden sind keine Menschen, sondern Mutanten oder sonstwie Nicht-Menschen. Gebildet wird folgende Denkweise: “Du kannst nichts, außer ein Hahn beißt dich und du wirst ein Hahn-Mensch, und dann… aber bis dahin sei still und warte; der Superheld wird kommen und dich retten”.
Gleichzeitig und parallel wird folgende Denkweise gebildet: “Wir sind immer die Nummer 1, verdammt noch mal, wir sind keine Loser, wir versohlen jedem den Arsch und retten immer den eigenen”. Damit der einfache US-Bürger fröhlich mit dem US-Fähnchen winkt, sich keine Sorgen macht und sich des “erfolgreichen” Lebens im “erfolgreichen” Land erfreut.
Geklaut von hier (fast wörtlich zitiert). Streitbar. Aber interessant.
Letztes Jahr hat Cameron selbst den Brexit zum großen Thema gemacht, um die EU zu erpressen. Soweit ich mich erinnere, ist ihm das auch gelungen. Großbritanien hat Zugeständnisse bekommen. Damit kam die Zeit, das Thema Brexit wieder einzustampfen, was Cameron dann auch tat.
Aber das Thema nimmt dennoch Fahrt auf. Zuletzt hat Cameron schon davor gewarnt, dass der Brexit Grßbritanien arm machen würde. In der Folge müsste man die Renten kürzen, das Gesundheitssystem beschneiden und allerlei andere furchtbare Dinge machen, um das “schwarze Loch” in den Kassen Großbritaniens zu stopfen. Jeder Laie weiss, dass Schwarze Löcher unersättlich sind. Man kann so viele Rentner und Kinder reinwerfen, wie man will, es wird sich dadurch nicht schließen. Nur die EU hat so viel Kohle, dass sie sogar das britische Schwarze Loch bisher so erfolgreich gestopft hat, dass seine Existenz der Öffentlichkeit verborgen blieb.
Jedenfalls fährt Cameron zunehmend schweres Geschütz auf. Die Prognosen sehen die Brexit-Befürwörter bereits vorne. Die Preisfrage ist: Sehen wir noch das übliche politische Spiel, bei dem die Emotionen angeblich hochkochen, die Situation aber in Wirklichkeit unter Kontrolle ist? Oder hat sich das Thema verselbständigt? Hat Cameron nur den vierten von fünf Gängen eingeschaltet, was einfach laut daherkommt, oder bricht ihm die Karre gerade bei voller Fahrt auseinander?
An welchen Markern können wir das erkennen?
Naja, und der Kampf wird von Russland offenbar auch auf diesem Schlachtfeld aufgenommen
Dieser Kommentar ist noch keine zwei Wochen alt.
Eine Woche, bevor das IOC über die Sperre Russlands bei den Olympischen Spielen entscheidet, kam der neue Russland-Doping-Enthüllungsfilm von Hajo Seppelt raus. Feines Timing. In Russland nimmt man die Machart genüsslich auseinander. Seppelt leistet tatkräftige Unterstützung. Zum einen, indem er seine Dokus so produziert, wie er es tut (Bilder von russischen Athleten unterlegt er mit der Titelmelodie einer Knast-Serie…), zum anderen, indem er sich bei einem Interview mit einer russischen Journalistin zu inadäquatem Verhalten und zu ehrlichen Aussagen hat hinreißen lassen.
Hier kann man Seppelt in Aktion bewundern:
Der Job von Journalisten in einem Interview ist es, den Gesprächspartner zu Offenbarungen zu provozieren. Der Job von Politikern in einem Interview ist es, sich nicht zu offenbaren und gegen die Spitzfindigkeiten der Journalisten immun zu sein und immer nur die vorbereiteten Slogans von sich geben, egal wie die Fragen gestellt sind.
Die “Rossija”-Journalistin Olga hat ihren Job gemacht. Seppelt ist aber kein Politiker und ungeübt darin, im Dialog Ruhe zu bewahren und einstudierte Phrasen abzusondern. Von harmlosen Fragen lässt sich Seppelt derart in Rage bringen, dass er auf einer emotionalen Welle die politische Korrektheit vergisst und offen seine Meinung geigt. Der Wortwechsel:
Olga: Könnten Sie uns wenigstens einmal das [Beweis-]Material zeigen, von dem im Film die Rede ist?
Hajo: Nein, ich habe es nicht hier. [Das Interview fand in einem Hotel statt, wo Seppelt ein Zimmer für die Interviews angemietet bekam.] Verzeihung, was Sie hier sagen, verwundert mich ein wenig.
Olga: Wurden Sie jemals bezahlt für das Material in Ihren Filmen?
Hajo: Niemals. Nie im Leben. Ich bin kein Agent, ich bin ein Journalist. Ich rufe einfach die Leute auf, selbst über das Doping in Russland zu recherchieren. Ich hoffe, das hilft, etwas zu finden, was Herrn Mutko [russischer Sportminister] nicht gefällt.
(…)
Olga: Sie verweisen immer darauf, dass Sie irgendwelches Beweismaterial haben, es aber nicht zeigen werden …
Hajo: Nein, das habe ich nicht gesagt.
Olga: Warten Sie, in Ihrem Film wird doch gesagt, …
Hajo: Olga, Olga, lassen Sie uns noch mal …
Olga: Eine Sekunde, nur damit wir es verstehen, es ist sehr wichtig für uns, das müssen Sie verstehen, wir fahren vielleicht nicht zu den Olympischen Spielen.
Hajo: Nicht Sie. Sie haben nichts zu tun mit den Sportlern. Sind Sie etwa ein Freund der Sportler?
Olga: Ich versuche ein Freund meines Landes zu sein.
Hajo: Warum? Sie sollen kein Freund Ihres Landes sein.
Olga: Warum?
Hajo: Weil Sie ein Journalist sind. Sie müssen unabhängig sein. Sie verstehen Ihre Aufgabe als Journalist nicht. Ihr Land soll Sie überhaupt nicht interessieren.
(…)
Hajo: Olga, das macht keinen Sinn. Sie verstehen nicht, dass Sie nicht stolz auf Ihr Land sein sollten. Das Interview ist beendet.
[Seppelt schmeißt das Team raus, verlangt die Löschung des Interviews.]
Olga: Warum sind Sie so aggressiv?
Hajo: Weil Sie dumm sind!
Olga: Wir sind dumm?
Hajo: Ja, ihr seid dumm. Ihr seid russische Journalisten, die stolz auf ihr Land sind. Seid ihr dumm? Ihr sollt nicht stolz sein, ihr sollt konsequent sein. Verschwindet. Ich diskutiere keine dummen Fragen. Ihr seid in Korruption versunken, das ist das Problem.
Olga: Können Sie uns einfach Ihre Aufzeichnungen zeigen, damit wir das verstehen?
Hajo: Ich habe sie nicht hier, sind Sie dumm?
(…)
Hajo: Wenn Sie die Rolle eines Journalisten nicht verstehen, schauen Sie in den Spiegel, was Sie für einen Blödsinn erzählen. Sie sind stolz auf Russland. Unsere Athleten. Das sind nicht eure Athleten.
Im Treppenhaus wird Seppelt handgreiflich, schreit herum. Dann verfolgt er das russische Team noch eine halbe Stunde durch die Stadt und versucht die Polizei zu holen. Er hat sich das Mikrofon des Teams geschnappt (bzw. dessen Lärmschutzhülle) und gibt es auf mehrfache Nachfragen nicht her.
Was für Geschenke! Schade nur, dass die Polizei nicht ähnlich blöd war und sich nicht hat bitten lassen.
Fassen wir das Wesentliche zusammen. Seppelt ist verwundert, dass russische Journalisten die angeblich vorhandenen Belege für die wilden Anschuldigungen gegen den russischen Sport sehen wollen. Unfassbar, nicht wahr? Diese unprofessionellen, “dummen” Russen wollen doch tatsächlich die Belege sehen, statt blind an deren Existenz zu glauben. Ich nehme an, diesen fiesen Trick aus der untersten Schublade der schmutzigen journalistischen Methoden hat die ARD kommen sehen und Seppelt deshalb in ein Hotel zum Interview geschickt, wo er den russischen Hinterhalt mit der kreativsten aller denkbaren Möglichkeiten kontert: Das Material ist nicht im Hotel! Haben Sie “Hot Shots” gesehen, die Action-Parodie? Da gibt es eine Szene, wo der Held einen Gefangenen aus dem Gefängnis befreien will. Der Gefangene sagt sinngemäß: “Das geht nicht. Sie haben mir die Schnürsenkel zusammengebunden.” Auf diesem Niveau bewegt sich Seppelt mit seiner Verteidigung.
Was man im Westen stattdessen von russischen Journalisten erwartet:
Sie sollen kein Freund Ihres Landes sein. Ihr Land soll Sie überhaupt nicht interessieren. Sie verstehen nicht, dass Sie nicht stolz auf Ihr Land sein sollten.
Das ist genau der Geist, mit dem westliche Journalismus-Schulen nach dem Zerfall der Sowjetunion russische Journalisten ausgebildet haben. Das ist der Geist, in dem tausende westliche NGOs alle Russen gelehrt haben, nicht nur im Journalismus, sondern in allen Lebensbereichen. Seit 25 Jahren wird den Russen von ihren “Freunden” aus dem Westen systematisch Selbsthass beigebracht. Sich nicht für das eigene Land zu interessieren, nur Schlechtes darin sehen und suchen – so sieht der westliche Herr gern den Russen. Und natürlich dürden die Russen niemals den Westen hinterfragen. Unterwürfig sollen sie sein, kritisch nur gegen das eigene Land.
Seppelt offenbart viel mehr als Seppelts Gedanken. Er offenbart exemplarisch die koloniale Denkweise des Westens. In dieser Denkweise gibt es Völker, die mehr wert sind als andere Völker. Es gibt Völker, die bestimmen und Völker, die stumm gehorchen.
Deutschland sieht sich in der Hierarchie der Völker über Russland. Diese Grundhaltung wird aus Gründen der politischen Korrektheit nicht offen ausgesprochen, aber sie ist ungesprochen da. Man erkennt sie, wenn man zwischen den Zeilen liest. Für Seppelt, den einfachen Journalisten, ist das weiter oben im Text geschehen. Die gleiche Denkweise zieht sich durch die deutsche Gesellschaft bis ganz nach oben. Merkel sagte neulich:
Ich bin dafür, dass Russland Schritt für Schritt auch enger an den europäischen Wirtschaftsraum heranrückt, dass wir am Schluss eine gemeinsame Wirtschaftszone von Wladiwostok bis Lissabon haben.
Lesen Sie aufmerksam mit. Da sollen nicht etwa der europäische und der russische Wirtschaftsraum näher zusammenrücken. Nein, Russland soll an Europa heranrücken. Die Beziehung soll nicht gegenseitig sein. Europa bleibt unverändert, nur Russland soll sich bewegen – auf Europa zu. Aus dem diplomatischen übersetzt heißt das: Wenn Russland sich unter Europa unterordnet, gliedern wir Russland in den europäischen Wirtschaftsraum ein. Es gibt das deutsche Herrenvolk und das russische Dienervolk.
“Nach oben buckeln, nach unten treten” – das ist ein Wesensmerkmal deutscher Kultur und auch der deutschen Außenpolitik. Tief im Arsch der USA herumkriechen und sich gleichzeitig toll aufplustern gegen andere Länder. Ein Miteinander auf Augenhöhe scheint im kulturellen Verständnis Deutschlands zu nachgeordnet zu sein, um sich gesamtgesellschaftlich bemerkbar zu machen.
Deutschland wird mit dieser Denkweise voll auf die Schnauze fallen. Nein, nach oben buckeln ist schon in Ordnung, das bringt Streicheleinheiten ein. Aber das Treten nach unten ist gefährlich. Grundsätzlich. Und ganz besonders, wenn man gegen Russland tritt. Das zeugt nicht nur von einer generell fragwürdigen Ideologie, sondern auch von großer Dummheit.
Wenn die Notenbanken Geld drucken und es in Umlauf bringen und gleichzeitig die Wirtschaft nicht wächst, dann kommt es zur Inflation. Das gehört zu den einfachen Gesetzmäßigkeiten der Volkswirtschaft, die man auch als Laie nachvollziehen kann.
In den letzten Jahren geschehen allerdings sonderbare Dinge. Seit 2008 haben die USA inzwischen Billionen Dollar frisches Geld gedruckt (eine Billion sind 1000 Milliarden), aber haben Sie etwas von einer Inflation in den USA mitbekommen?
Die EU hat im März 2015 den Gelddrucker eingeschaltet und wirft monatlich 60 Milliarden Euro raus. 14 Monate geht das schon so, das sind bereits 840 Milliarden Euro! Bis September werden es knapp über eine Billion Euro werden. Unvorstellbar große Geldsummen, aber wo bleibt die Inflation? Wir haben keine, die den üblichen Rahmen sprengt.
Wie kommt das? Warum wirkt ein grundlegendes Gesetz der Wirtschaft nicht mehr? In dem oben verlinkten Papier wird Inflation genau einmal erwähnt, als es heißt, dass man die Wirkung der hemmungslosen Gelddruckerei auf die Inflation schwer abschätzen kann. Das war es schon? So viele Buchstaben und bunte Grafiken in dem Papier, aber eine absolut naheliegende und wichtige Fragestellung wird gar nicht angefasst?
Frage an alle: Warum haben wir keine Inflation, obwohl Geld wie verrückt geschaffen wird?
Eigene Gedanken dazu:
Das Geld geht nicht direkt in die Wirtschaft oder an die Verbraucher, sondern an die Banken. Die ausbleibende Inflation muss etwas mit der Vermittlerrolle der Banken zu tun haben.
Meinungen? Andere Erklärungen?
Im russischen Internet gibt es in den letzten Monaten viele hochinteressante Artikel und ganze Artikelserien über die zivile Nutzung von Atomenergie. Hochspannend! Zu einigen Themen habe ich die Wikipedia konsultiert. Was ein “Fast-neutron reactor” ist, weiss die deutsche Wikipedia gar nicht. Der Brutreaktor ist aber gelistet. Russland arbeitet erfolgreich an Brutreaktoren, die gleichzeitig auch schnelle Neutronen-Reaktoren sind.
Es gibt ein “Generation IV International Forum“, einen Forschungsverbund, der Kernkraftwerke der vierten Generation entwickeln will. Der deutsche Wiki-Artikel ist echt spannend. Da heißt es, dass es sechs Reaktortypen gibt, denen das Forum Erfolgsaussichten bescheinigt. Die Kurzbeschreibung der sechs Reaktortypen enthält jeweils Angaben über die Entwicklerteams. Insgesamt tauchen auf (in alphabetischer Reihenfolge): China, Euratom, Frankreich, Japan, Kanada, Korea, Schweiz, Südafrika, USA.
Wo bleiben denn die Russen? Von den im Artikel erwähnten schnellen natriumgekühlten Reaktoren, betreibt Russland bereits zwei Stück kommerziell. Die Autoren des Artikels haben das auch gewusst:
Einige SFR sind schon weltweit kommerziell in Einsatz gewesen (bsp. Phénix 1973–2010, BN-Reaktor 1980-heute), sodass bei dieser Baureihe am meisten Erfahrung gesammelt wurde. Die zwei wichtigsten SFR Projekte der Generation-IV sind der französische Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration (ASTRID)[8] und der Power Reactor Innovative Small Module PRISM[9] von Hitachi und General Electric.
“BN-Reaktor 1980-heute” – damit sind die beiden russischen BN-600 und BN-800 gemeint. Nachdem die Franzosen den Betrieb ihres Phenix-Reaktors eingestellt haben, ist Russland das einzige Land weltweit, das schnelle natriumgekühlte Reaktoren kommerziell betreibt. Und natürlich weiterentwickelt. Der BN-800 ist erst vor ein paar Monaten ans Netz gegangen. Der BN-1200 kommt in den nächsten Jahren mit zahlreichen Verbesserungen dazu. Wikipedia will die russischen Weiterentwicklungen aber nicht zu den wichtigsten Projekten auf diesem Gebiet dazuzählen, obwohl sie objektiv am weitesten fortgeschritten sind. Die freie deutsche Enzyklopädie hat sicher gute Gründe dafür.
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