Angriff auf Saudi-Arabien – tiefer graben

Über den Angriff auf Saudi-Arabien haben wir uns schon einige Gedanken gemacht. In den Kommentaren wurden weitere Versionen geäußert, so zum Beispiel der Hinweis auf die zeitliche Übereinstimmung mit der Wahl in Israel, wo Netanjahu große Schwierigkeiten mit seiner Partei hat und einen Grund für noch mehr Hetze gegen den Iran sicher gebrauchen kann.

Graben wir tiefer, indem wir uns ein paar markante Ereignisse rund um den Zeitpunkt des Angriffs anschauen, auf die der Angriff einen Einfluss hat.

Halten wir zunächst kurz fest, dass die Patriot Luftabwehrsysteme versagt haben. Erinnern wir uns daran, dass Europa keinen besseren Schutz hat als die Patriots – also völlig schutzlos ist, wie am Beispiel Saudi-Arabiens demonstriert wurde. Wenn man den Anschuldigungen der Presse folgen mag und entweder die Huthi-Rebellen oder den Iran für den Angreifer hält, ist es aus Sicht der europäischen Sicherheit umso schlimmer. Wenn der europäische Schutzschild schon gegen Huthis wirkungslos ist, was ist dann gegen einen ernsthaften Gegner wie Russland zu erwarten? Ohje…

Wie MilitaryTimes zu berichten weiss, sind die USA diesen Sommer wieder auf die Prinz-Sultan-Luftwaffenbasis südlich von Riad zurückgekehrt – und haben unter anderem Patriots mitgebracht. Von der Luftwaffenbasis bis zum angegriffenen Ölfeld in Khurais sind es etwa 130 Kilometer, wie jeder Interessierte beim Online-Kartendienst seines Vertrauens nachmessen kann. Und 130 Kilometer sind in Reichweite der Patriots. Die Amis hätten also zumindest etwas Konkretes mitbekommen müssen. Wir müssen uns keinen weiteren Spekulationen darüber hingeben, ob die Amis es mitbekommen wollten und wenn ja, ob sie überhaupt Interesse am Eingreifen gehabt haben usw. Das wäre sinnlose Spekulation und auch gar nicht von Belang. Wir halten einfach die Tatsache fest, dass frische US-Truppen mit frischen Patriots in Reichweite waren. Was folgt daraus? Alles mögliche und nichts. Die Amis könnten den Angriff ausgeführt oder inszeniert haben. Die Amis könnten dort sein, um ihre neuesten Patrios gegenüber den Huthis zu testen. Der Angriff könnte eine Demonstration für die Amis gewesen sein. Wir wissen es nicht. Wir notieren uns einfach den Zufall, dass die Amis mit frischen Truppen und Patriots vor Ort waren.

Ein anderer zeitlich übereinstimmender Aspekt sind die russisch-französischen Entwicklungen. Macron hat schon mehrfach öffentlich eine neue eurasische Sicherheitsarchitektur mit Einbezug Russlands gefordert. Am 27. August, wenige Tage nach einem Schlüsseltreffen mit Putin, hielt Macron eine epische Rede vor französischen Diplomaten. Die Rede wurde in der Qualitätspresse fleißig ignoriert und ich wäre dankbar für den Hinweis auf ein deutsches Transkript oder zumindest auf ausgiebige Zitate in der Presse. Jedenfalls hat Frankreich konkrete Verhandlungen mit Russland im Bereich der Sicherheitsarchitektur aufgenommen, im Format Außenministerium + Verteidigungsministerium. Für den 9. September wurde das erste Treffen anberaumt. Und am 14. September wird aller Welt demonstriert, was von der aktuellen Sicherheitsarchitektur Europas zu halten ist. Welchen Einfluss das auf die Verhandlungsposition der Europäer bedeutet, bedarf keiner Erläuterung. Die zeitliche Nähe bedeutet keine Kausalität, aber das eine Ereignis wirkt sich stark auf das andere Ereignis aus, und wenn es nur ein (un)glücklicher Zufall sein sollte, notieren wir ihn uns einfach, denn wir lieben Zufälle.

Die Angriffe auf saudisches Ölgut haben übrigens eine sehr viel größere Bedeutung im Kontext der neuen Sicherheitsarchitektur als im Kontext der globalen Ölpreise. Alle schauen auf die Ölpreise und versuchen um diesen Angelpunkt herum die Hypothesen über Täter und Nutzen aufzubauen. Das ist aber wirklich ein Klacks im Vergleich zu den tektonischen Veränderungen in militärischen Kraftverhältnissen und Sicherheitsarchitekturen, die sich derzeit anbahnen und vollziehen. Wer hier den Angelpunkt sucht, vermag sich Gedanken über ein Spiel auf viel höherer Ebene zu machen. Es geht dabei nicht darum, das Spiel auf der einen Ebene abzustreiten, weil man das Spiel auf einer anderen Ebene zu erkennen vermag. Gespielt wird auf allen Ebenen und die Spiele und Spieler sind dabei auch noch ebenenübergreifend verbunden und vernetzt. Bei dem gegebenen Umstand, dass die Presse zahlreiche wichtige Ebenen gezielt aus der Wahrnehmung der Menschen raushält, während sie andere, zumeist belanglose Ebenen penetrant in den Vordergrund rückt, ist es gar nicht verkehrt, wenn man den Blick eigenständig schweifen lassen kann.

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Nachtrag, 20.09.2019: Ausgiebige Zitate aus Macrons Rede vom 27. August gibt es hier (hier das Gleiche im PDF-Format). Besten dank an die Leser für die Links! Eine Übersetzung der Rede ins russische gibt es hier: 1, 2, 3, 4.

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