Propaganda hat es schon immer gegeben. Ohne die im deutschen Alltagsgebrauch gebräuchliche negative Konnotation ist Propaganda einfach nur eine systematische Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Das ist nicht automatisch etwas schlechtes und böses.
Die Regeln der Propaganda sind universell und seit Jahrzehnten und Jahrhunderten im Grunde unverändert. Vor etwa einem Jahrhundert wurden diese Regeln prägnant in Buchform veröffentlicht. Sie waren damals nicht neu und sie sind auch heute aktuell.
Aber etwas hat sich verändert. Bis vor etwa 20 Jahren fand Propaganda in geschlossenen gesellschaftlichen Räumen statt. Es gab die Bevölkerung, deren Meinung kontrolliert werden musste. Es gab die meinungsbildenden Medien des Landes. Es gab die Regierung mit den hinter ihr stehenden Eliten, die mit Hilfe der Medien die Bevölkerung des eigenen Landes beeinflussten. Das war im Westen so und im Osten und überall sonst. Die Situation stellte sich so dar, dass die Eliten ersten Ranges die Kontrolle über die Medien in einem geographischen Gebiet hatten und damit die Menschen im gleichen geographischen Gebiet beschallten und kontrollierten. Diese Systeme waren nicht völlig abgeschlossen und wasserdicht. Sänger, Künstler, Politiker, Wissenschaftler, Techniker, Militärs und viele andere sind um die Welt gereist und kamen mit fremder Propaganda in Kontakt. Auch gab es Versuche, die eigene Propaganda in fremdem Gebiet zu installieren. Der auf diese Weise entstandene Kontakt zu fremder Propaganda betraf aber nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung. Die große Masse der Menschen befand sich sicher unter der Propaganda-Glocke ihres Landes. Alles, was die Menschen über das eigene Land und über fremde Länder erfuhren, erfuhren sie über die Medien ihres Landes, die alle mehr oder weniger kunstvoll der staatlichen Zensur unterworfen waren.
Bis vor etwa 20 Jahren war Propaganda also etwas, das sich zwischen den Eliten des Landes und der Bevölkerung des Landes abspielte. Wir abstrahieren die Tatsache, dass bei Vasallenstaaten die Eliten des Vasallenstaates als Mittler zwischen fremden Eliten und eigener Bevölkerung fungieren. Das Entscheidende ist, dass die Eliten, die die wirtschaftlich-militärische Kontrolle über ein geographisches Gebiet hatten, auch die Medienkontrolle über das gleiche Gebiet hatten und damit die Propaganda ein Transfer zwischen diesen Eliten und der Bevölkerung des kontrollierten geographischen Gebiets war. Propaganda war etwas, das sich primär innerhalb des gleichen Lagers abspielte.
Die Globalisierung der Informationsmedien, massiv vorangetrieben durch das Internet, hat die oben beschriebene Struktur aufgebrochen. Das Internet ist für die Mehrheit der Bevölkerung verfügbar. Plötzlich haben nicht nur ein paar Wissenschaftler, Politiker, Artisten usw. Zugang zu fremder Propaganda, sondern praktisch die gesamte Bevölkerung. Der weitgehend geschlossene Propagandaraum wurde geöffnet. Das einzige, was jetzt noch ernsthafte Hürden darstellt, sind Sprachbarrieren. Die Sprachbarrieren werden aber nicht von Dauer sein. Die neuen Generationen lernen alle englisch und alle wichtigen Länder verbreiten ihre Propaganda nicht nur in der Landessprache, sondern auch auf englisch. Mit Grundkenntnissen in englisch können Sie heute die Propaganda der USA, der EU, Russlands und Chinas problemlos empfangen. In Schlüsselregionen wird die Propaganda fremder Mächte sogar in der regionalen Landessprache dargeboten. Damit haben alle Welteliten ersten Ranges Zugang zu allen Menschen dieser Welt. Propaganda spielt sich nicht mehr nur im eigenen Lager ab, sondern zeitgleich voll interaktiv über die Lagergrenzen hinweg.
Aus geschlossenen Propagandaräumen ist ein offenes globales Schlachtfeld entstanden. Früher wurden die Gehirne der Menschen freundlich bearbeitet. Das war ein einseitiger Prozess innerhalb eines verbündeten Lagers. Heute werden in den Gehirnen der Menschen blutige Schlachten zwischen feindlichen Lagern geführt. Heute müssen die Eliten um die Gunst der eigenen Bevölkerung kämpfen. Heute müssen die Eliten weltweit aktiv sein und auch um fremde Bevölkerungen kämpfen. Früher wurden die Eliten nicht nennenswert gestört bei der Beeinflussung ihrer Untergebenen. Heute stören sich die Eliten dabei gegenseitig. Früher wurde den Menschen relativ gemütlich ein Weltbild eingeimpft. Heute ist die Gemütlichkeit dahin, die Menschen sind zum Schlachtfeld geworden.
Die Globalisierung der Informationsströme, die mit dem Internet die Ebene der einfachen Menschen, die Ebene der Menschenmassen, erreicht hat, hat das Wesen der Propaganda qualitativ verändert. Die Eliten können ihre Untergebenen nicht mehr wirksam vor fremder Propaganda schützen. Die Eliten müssen im Propagandakrieg auf dem offenen Schlachtfeld um ihre eigenen Untergebenen kämpfen. Feindliche Ansichten abzuschotten geht nicht mehr. Man muss die eigene Bevölkerung von der eigenen Sichtweise überzeugen – gegen die Argumente der feindlichen Eliten. Die einfachen Menschen sind gezwungen, sich selbst zwischen konkurrierenden Weltbildern zu orientieren. Die Menschen können nicht davor flüchten. Sie können nicht einfach sagen, dass sie diese Schlacht in ihren Köpfen nicht wollen. Sie können nicht schutzsuchend zu ihrer Regierung laufen und nur deren Propaganda konsumieren. Denn die Mitmenschen, Freunde, Verwandte und Kollegen, haben heute die Wahl, sich nicht der einen staatlichen Propaganda zu bedienen, und wenn die Menschen die Wahl haben, werden sie von dieser Wahl Gebrauch machen. Das heißt, früher oder später werden alle Menschen damit konfrontiert, dass einige ihrer Freunde, Verwandten und Kollegen ihr Weltbild in ganz zentralen Punkten nicht teilen. So dass keine gemeinsame Basis mehr gefunden werden kann. Die Menschen können sich diesem Propagandakrieg nicht entziehen. Er wird sie früher oder später ereilen. Die Leser dieses Blogs gehören vermutlich mehrheitlich zu den Leuten, die schon ereilt worden sind.
Das ist eine Tragödie. So wie jeder Krieg eine Tragödie ist. So wie jeder Krieg, wird auch der heutige Propagandakrieg irgendwann enden. Es fragt sich nur, wie genau.
Der erste Gedanke ist natürlich der an Internet-Zensur, an das chinesische Modell. Aber das funktioniert in China schlecht und wird im Westen gar nicht funktionieren. In Zeiten, als es keinen interaktiven Propagandakrieg gab, hat der Westen nämlich aus PR-Zwecken die Meinungsfreiheit zu einer zentralen Säule des westlichen Weltbildes erklärt. Pech, dass sich die Zeiten geändert haben. Das Einführen unverhohlener Zensur zerstört das westliche Weltbild, das durch diese Zensur doch gestärkt werden sollte. Und verdeckte Zensur, so wie früher, funktioniert in Zeiten der globalisierten Informationsströme nicht mehr. Die Lügen von Politik und Medien werden von RT und anderen ausländischen Medien ganz einfach entblößt und die heimische Bevölkerung hat guten Zugang zu diesen Informationen. Und wir sind damit nur am Anfang des Prozesses, das wird sich in Zukunft weiter verstärken. Zensur ist keine Option. Taktisch mag es wie eine Option erscheinen, aber strategisch schaufelt man sich damit das eigene Grab.
Die Wahrheit zu sprechen ist eine weitere Option. Hier hat der Westen aber das gleiche Problem wie bei Zensur. Wahrheit zerstört das westliche Weltbild, welches auf Lügen aufgebaut ist.
Das Weltbild zu ändern ist ebenfalls eine Option. Das ist allerdings eine sehr dramatische Lösung mit sehr weitreichenden Folgen. Viele alte Eliten werden weichen müssen, wenn dieser Weg eingeschlagen wird. Reparationszahlungen können fällig werden. Große gesellschaftliche Turbulenzen sind nicht nur möglich, sondern äußerst wahrscheinlich. Feindlich gesonnene Länder können den Übergangsprozess nutzen, um die Macht (zumindest teilweise) an sich zu reißen. Wenn man das neue Weltbild ebenfalls auf Lügen baut, hat man strategisch nichts gewonnen. Allerdings kann man nach der chaotischen Übergangsphase einen stabilen Zustand erreichen, wenn man sich entscheidet, das neue Weltbild nach der Wahrheit auszurichten.
Diskussionen des Weltbildes zu tabuisieren ist eine Option. Im Rahmen dieser “Lösung” hören die Menschen praktisch auf, sich über brisante Politik auszutauschen, um den Hausfrieden zu erhalten. Wer doch darüber reden will, wird ignoriert oder von den anderen ausgegrenzt. Das mag passieren, wenn die Gesellschaft sich weigert, eine tragfähige Lösung zu erarbeiten. Aber das Problem wird dadurch nicht gelöst, sondern aufgeschoben. Während man sich mit einer Scheinlösung verkrampft, sucht und findet die Konkurrenz echte Lösungen. Man wird abgehängt. Und in das gepflegte Weltbild-Vakuum wird irgendwann die Konkurrenz eindringen.
Die totale Verblödung der Bevölkerung ist eine Option, die auch aus der Kategorie Scheinoption ist. Wenn man die gesamte Weltbevölkerung verblöden könnte, wäre das ein Mittel. Aber wenn man nur die eigene Bevölkerung verblödet und die feindlichen Eliten kluge und denkfähige Bevölkerung erhalten können, ist der langfristige Ausgang vorhersehbar. Es ist dem Westen nicht gelungen, die gesamte Weltbevölkerung zu verblöden und das Zeitfenster für diese Versuche ist vorerst geschlossen. Die Verblödungsstrategie sollte daher rasch aufgegeben werden, sonst steht der Westen in Zukunft mit lauter Idioten gegen kluge Feinde auf dem Schlachtfeld. Die Verfeinerung dieser Strategie, nämlich die Verblödung der Massen bei gleichzeitiger bester Förderung des Eliten-Nachwuchses, funktioniert langfristig auch nicht. Damit beschränkt man sich darauf, kluge Köpfe nur aus einem geringen Prozentsatz der Bevölkerung zu erziehen, während der größte Teil des Potentials schlicht vergeudet wird. Nach nur wenigen Generationen tut sich bei dieser Strategie der Abgrund auf. Vorausgesetzt, dass die feindlichen Eliten ihre Bevölkerung in der Masse bilden und nicht verblöden.
Am Ende läuft es natürlich darauf hinaus, dass die Menschheit ein Weltbild findet, welches weltweit geteilt werden kann. Es muss nicht überall identisch sein, aber es darf sich in Kernpunkten nicht widersprechen. Der Westen wollte das westliche Weltbild zum universellen Weltbild machen. Das ist misslungen und die mediale Hysterie der letzten Jahre ist Ausdruck dieses Scheiterns. Der tiefere Grund dafür ist natürlich das Scheitern des Westens bei der Etablierung der westlichen Hegemonie. Im wesentlichen ist es nicht gelungen, russische und chinesische Eliten in die Hierarchie des Westens einzugliedern. Der Kampf der Eliten wird fortgeführt und der Propagandakrieg ist eine Begleiterscheinung dieses Elitenkampfes.
Nach einer kurzen Phase der US-Hegemonie, die mit der aufdringlichen Dominanz des westlichen Weltbildes verbunden war, erleben wir jetzt den Übergang zur multipolaren Weltordnung. Die Bedeutung des westlichen Weltbildes wird sich auf die zukünftige Bedeutung des Westens in der multipolaren Welt reduzieren. Die anderen Mächte werden an Bedeutung gewinnen und damit auch deren Weltbilder. Für die Menschen im Westen wird der Übergang also am unangenehmsten. Nun, so ist das bei einem Abstieg. Interessant wird sein, welches Weltbild sich als Basis der multipolaren Weltordnung herauskristallisiert.
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