Wider den EU-Zerfall

Frankreichs Präsident Macron hat einen großen Appell an die EU-Bürger rausgehauen. Eine leicht zugängliche Pflichtlektüre, prall gefüllt mit Botschaften, Plänen und Propaganda. Feinster Stoff für politische Analysen.

Was sehen wir darin?

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17 Kommentare zu “Wider den EU-Zerfall
  1. Ich würde sagen, Herrn Macron geht der Arsch auf Grundeis.
    Unter den gegebenen Umständen sieht er schwarz für Europa und insbesondere für Europa’s Oberschicht.
    Nach dem Motto “Angriff ist die beste Verteidigung” versucht er mit einem Befreiungsschlag in die Offensive zu gehen.
    Nicht nur soll der derzeitige Status Quo gesichert werden, nein, Herr Macron kommt gleich mit der größenwahnsinnigen Vision einer eigenen Großmacht um die Ecke.
    So sammelt man Gleichgesinnte und bereitet gleichzeitig das Volk auf notwendige Maßnahmen vor.

    1) Eigene schlagkräftige Armee für die Emanzipation von den USA und zur Durchsetzung eigener geostrategischer Interessen, beispielsweise in Afrika
    2) Keine Spaltung, kein Brexit
    3) Schutz vor System Change mittels radikaler Maßnahmen, z.B. Internet-Zensur, Agentur zum Schutz des Systems, Sanktionierung und Regulierung unliebsamer Unternehmen, Verbot fremdländischer Parteienfinanzierung, etc.
    4) Schutz der Grenzen durch koordinierte Regulation der Migration
    5) Staatliche Subventionierung strategisch wichtiger Unternehmen und Banken
    6) Umwelt, Gesundheit und Konsum werden als wichtigste gemeinsame Werte verkauft

    Interessant ist auch, was nicht gesagt wird. Darüber, Wie die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen zu Russland, China und den USA aussehen könnte, verliert Macron kein einziges Wort.

    • Analitik sagt:

      “Interessant ist auch, was nicht gesagt wird. Darüber, Wie die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen zu Russland, China und den USA aussehen könnte, verliert Macron kein einziges Wort.”

      Dann müssen Sie aber noch mal lesen. 🙂
      Ansonsten haben Sie Ihre Punkte gut und klar herausgearbeitet.

  2. Der Weinstein-Effekt sagt:

    Sigmar Gabriels Kommentar zu Macrons Text
    http://www.euractiv.de/section/europakompakt/opinion/merkel-zwingt-macron-zum-alleingang/

    Was fällt bei Macron auf?
    Wenn das das beste ist, was die EU derzeit zu bieten hat, dann steht es wirklich schlecht. Selbst er einig nennenswerte EU-Politstar spricht offen von Neubeginn (und das nun zum 2. Mal – Der Vergleich mit der 2017er Variante ist sicher auch erhellend: de.ambafrance.org/Initiative-fur-Europa-Die-Rede-von-Staatsprasident-Macron-im-Wortlaut)

    Er schwenkt zwischen EU und Europa hin und her und sein Finale:”in diesem Europa wird Großbritannien, da bin ich sicher, einen vollwertigen Platz finden.” lassen erahnen, dass es ein wahrlich neues Gebilde ist, das ihm vorschwebt.

    Seine größte Schwäche ist, dass er keine wirklichen Vision anbietet. Bei “Freiheit, Schutz und Fortschritt.” fehlt das Wohlstandsversprechen, dass früher oft genannt wurde. Im Grunde hat er nur noch Hardpower und Wertemarketing anzubieten.
    Damit wird man gegen die BRI aus China keine Chance haben (www.wallstreet-online.de/nachricht/11290250-chinas-geopolitik-italien-chinesische-seidenstrasse).

    Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten taucht als beste Alternative auf: “…Wir werden uns nicht in allem einig sein, aber was ist besser: ein erstarrtes Europa oder ein Europa, das voranschreitet, zwar nicht immer im Gleichschritt, aber offen für alle?”

    Seine Freiheit sieht wie folgt aus:
    “Das europäische Modell beruht auf der Freiheit des Menschen, auf der Vielfalt der Meinungen und des Schaffens. ” und ” Wir müssen durch EU-weite Regelungen Hass- und Gewaltkommentare aus dem Internet verbannen”

    Er fordet eine Abkehr von “freien Markt”, in dem er Altmaiers Ansatz für Industriepolitik und selektiven Schutz übernimmt.Die Konkurrent ist die USA und China und der Euro ist das Ziel “Wie könnten wir ohne den Euro, der die gesamte EU stark macht, den Krisen des Finanzkapitalismus widerstehen?”.

    Bei der Sicherheit geht es ihm nicht um die EU, sondern der öffnet GB gleich die Tür.

  3. Ped sagt:

    Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.

    Das meint er im Ernst. Und “sein” Europa ist es auch.
    Außerdem ist es hinfort, das transatlantische Bündnis. Das Wort Amerika taucht in der gesamten Rede nicht ein einziges Mal und das Wort USA gerade zweimal auf, davon einmal hier:

    Wir müssen unsere Wettbewerbspolitik reformieren, unsere Handelspolitik neu ausrichten: in Europa Unternehmen bestrafen oder verbieten, die unsere strategischen Interessen und unsere wesentlichen Werte untergraben, wie Umweltstandards, Datenschutz und eine Entrichtung von Steuern in angemessener Höhe; und in strategischen Branchen und bei öffentlichen Aufträgen zu einer bevorzugten Behandlung europäischer Unternehmen stehen, wie es unsere Konkurrenten in den USA und in China tun.

    Wenn sich ein Macron solche Muskelspiele leisten kann, dann sieht es aber für das Imperium wirklich schlecht aus. Nicht einmal zornige Gelbwesten können ihn noch zur Einsicht bringen.
    Zudem die USA und China gar als Konkurrenten in einer Reihe – auch nicht schlecht.

    Desweiteren soll das aufgeblasene Monster Klimawandel das europäische Bankensystem für eine neue Kreditschwemme empfänglich machen, um “Wachstumsimpulse zu setzen”.

    Das hier ist – gelinde gesagt – abstoßend:

    Ein weltoffenes Europa muss sich Afrika zuwenden, mit dem wir einen Pakt für die Zukunft schmieden müssen. Durch die Anerkennung eines gemeinsamen Schicksals, durch die Unterstützung seiner Entwicklung auf ambitionierte und nicht auf zurückhaltende Weise: Investitionen, Universitätspartnerschaften, Schulunterricht für Mädchen usw.

    Brunnen bauen, das hatte er vergessen.
    Nun ja, dass Frankreich ein besonderes Augenmerk auf “unsere Rohstoffe” auf dem schwarzen Kontinent legt, ist schon seit Jahrzehnten überlebensnotwendig für den französischen Imperialismus. In guter aller europäischer, kolonialer Tradition, wird dafür bei den “Partnern” geworben.

    In diesem Europa werden die Völker ihr Schicksal wieder wirklich in die Hand genommen haben; in diesem Europa wird Großbritannien, da bin ich sicher, einen vollwertigen Platz finden.

    Da bin ich mir auch sicher. Nur Macrons “Völker” sollten wir durch etwas Passendes ersetzen.

    Endlich, befreit von den transatlantischen Fesseln, kann man wieder selbst imperiale Politik betreiben.
    Interessant ist – gerade in Bezug auf Letzteres – aber auch das was gar nicht erwähnt wird: das Feindbild Russland. Für das neoliberal, imperial, koloniale Projekt Europa wäre das auch kontraproduktiv.

    Im Sinne von Macht ist also das was Macron da anbietet zwar auch neoliberaler Dreck, aber es ist – leider – durchaus realistisch.

    Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.

    Herzliche Grüße, Ped

  4. seppel sagt:

    Macrons Beitrag ist bisweilen recht vage formuliert. Bei so manchen Dingen fragt man sich, wie bzw. ob es überhaupt umsetzbar ist. Was Macron anreißt, ist ja nicht neu. Und wurde hier im Blog schon angesprochen.

    In Summe sehe ich ein Konglomerat, dass sich aus dem Gesellschaftsbild der extremistischen „Politischen Mitte“ speist. Also wirtschaftlicher Neoliberalismus (allerdings nach innen hin, mit festen Grenzen nach außen), der durch ein erwünschtes Maß an ‘grüner‘ Apartheidspolitik ergänzt wird:

    – Gemeinsamer Angriff und Sicherung des Zugriffs auf Ressourcen durch EU-Arme („Ein weltoffenes Europa muss sich Afrika zuwenden, mit dem wir einen Pakt für die Zukunft schmieden müssen.“) Der Pakt ist ja eindeutig: Rückt eure Bodenschätze raus, oder wir bomben euch endgültig in die Demokratie.

    – Die EU soll geeint und besser koordiniert auf Raubzug gehen können („Europäischer Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens zur Vorbereitung unserer gemeinsamen Entscheidungen.“) Das verwundert nicht, denn das ausplündern im Windschatten der USA ist künftig, nach Vollzug der transatlantischen Scheidung, sicherlich keine Option mehr.

    – Immer wieder fällt der Begriff „Schutz“. Sich durch die EU „schützen“ zu lassen, bedeutet notwendigerweise auch, sich ihr zu unterwerfen. Hier wird noch einmal der Machtanspruch deutlich, der dem vom Macron beschworenen „Friedensprojekt“ widerspricht.
    Mitgefangen, mitgehangen: Wer die EU nicht unterstützt (oder ihre Migranten bei sich aufnimmt), hat von ihr nichts zu erwarten. Auch Macrons vielbeschworene „neue EU“ ist kein fairer Verein auf Gegenseitigkeit und zum Vorteil aller, sondern eine reine Machtclique.

    – Gemeinsame Verteidigung durch EU-Grenzschutzbehörde („Eine Grenze bedeutet Freiheit in Sicherheit“)

    – EU-Asylbehörde zur Regulierung des Menschenandrangs. Dabei will man nur die Fähigsten herein lassen, den Rest sofort und unbürokratisch abschieben. („strenge Grenzkontrollen“ und „gemeinsame Asylpolitik mit einheitlichen Regeln für Anerkennung und Ablehnung“)

    – Gründung einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie. Also eine Art EU-Wahrheitsministerium bzw. EU-Inlandsgeheimdienst mit Kahane-STASI für die rebellischen Bevölkerungsteile und/oder politisch lästige Opposition.

    – EU-weite Internet-Zensur, um der mittlerweile überbordenden Kritik am Herrschaftsanspruch der Elite in den Griff zu bekommen („durch EU-weite Regelungen Hass- und Gewaltkommentare aus dem Internet verbannen“)

    – Unerwünschte Herrschaftskritik, Meinungen und Standpunkte sollen EU-weit einheitlich verfolgt und geahndet werden. Die Bildung EU-kritischer Organisationen, NGOs und Parteien soll unterbunden werden. Das alles unter dem wohlbekannten ominösen Deckmantel der „ausländischen Mächte“. („die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Mächte verbieten“)

    – Die zunehmend kritischen Bevölkerungen in der EU müssen schleunigst wieder sediert und in Apathie getrieben werden, damit ihr Veränderungswille keine politische Gestaltungskraft annimmt (was in erster Linie auf nationaler Ebene zu nationalistischen Organisationen führen würde).

    Idealerweise, indem man ihnen über die „Qualitätsmedien“ die Köpfe mit Scheiße vollpumpt und möglichst laut „NAZI!“ schreit. Egal wie, der Herrschaftsstatus der Eliten darf vom gewöhnlichen Pack nicht weiter infrage gestellt werden. Zahlt einfach eure Steuern, aber haltet endlich die Fresse. Mehr verlangen wir gar nicht von euch! („Jene, die mittels falscher Behauptungen die Wut der Menschen ausnutzen, versprechen alles Mögliche und sein Gegenteil. Gegen diese Manipulationen müssen wir uns zur Wehr setzen.“)

    – Die EU kämpft auf dem neu entstandenen, multipolaren Schlachtfeld, um sich ihren Platz in der Hackordnung zu sichern. Gegen sich selbst, aber auch gegen alle anderen. Es braucht neue, noch direktere Lenkungsinstrumente, mit denen man alle Länder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ausnivellieren kann, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen – oder zu erzwingen. Sowie Strukturen, um den Querulanten den Mund zu verbieten oder sie ignorieren und kaltstellen kann. („Dieser Kampf muss tagtäglich geführt werden, denn weder Frieden noch Europa sind Selbstverständlichkeiten. Ich führe ihn im Namen Frankreichs ohne Unterlass, um Europa voranzubringen und sein Modell zu verteidigen.“)
    Also ein Ende der Einstimmigkeit aller Mitgliedsländer, wie sie in den EU-Prozedere bei Entscheidungen immer mal wieder verlangt wird.

    – In diesem Kampf sieht sich die EU gegenwärtig noch auf der Seite der Verlierer. („Aber es muss mehr getan werden und schneller.“) Sprich: Die Bevölkerungen müssen darauf gefasst sein, den Gürtel enger zu schnallen, um die für den Kampf nötigen Opfer zu erbringen.

    – Langsame Abschmelzung des angelsächsischen „freien Marktes“, hin zu einer westlichen Version des chinesischen Modells des „Staatskapitalismus“. Aber in einer neoliberalen, neofeudalen EU-Variation: Die strategisch wichtigen Konzerne und Banken subventionieren, die Verluste sozialisieren.
    Und zwar so, dass man von außen nicht mehr direkten Zugriff hat bzw. den internationalen Wettbewerb aus den USA und China unterbieten kann.

    Neoliberalismus nach innen, um den Druck auf die arbeitende Bevölkerung aufrecht erhalten zu können. Protektionismus nach außen, damit man nicht mehr aus dem Ausland aufgekauft und übernommen wird („Welche Macht der Welt nimmt es hin, weiter Handel mit denjenigen zu treiben, die keine ihrer Regeln einhalten? Wir können nicht alles hinnehmen, ohne zu reagieren. Wir müssen unsere Wettbewerbspolitik reformieren, unsere Handelspolitik neu ausrichten.“)

    – Eine aktive Industriepolitik der Verdrängung von ausländischen Wettbewerbern raus aus den EU-Schlüsselmärkten („und in strategischen Branchen und bei öffentlichen Aufträgen zu einer bevorzugten Behandlung europäischer Unternehmen stehen, wie es unsere Konkurrenten in den USA und in China tun.“)

    – Abschaffung der Tarifautonomie auf europäischer Ebene durch EU-Mindestlöhne, flankiert durch ein EU-Rumpfsystem für „Sozialversicherungssysteme“ auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner („eine soziale Grundsicherung eingeführt werden, die ihnen gleiche Bezahlung am gleichen Arbeitsplatz und einen an jedes Land angepassten und jedes Jahr gemeinsam neu verhandelten europaweiten Mindestlohn gewährleistet“)

    Also die Einführung eines zentral gesteuerten EU-Sanktionsregimes, um die Leute in die zu schaffenden Niedriglohnsegmente abschieben zu können. So kann man den Bürgern die Zerschlagung und Abschaffung der nationalen Sozialversicherungssysteme besser verkaufen. Und noch viel wichtiger: Es senkt die Kosten für die Eigentümer und Fabrikanten.

    – Der Klimaschutz als zentrales Element für die dafür notwendige, rein emotionale Rechtfertigungsrhetorik und Angst-Propaganda. Es verbietet sich schlicht leichter, wenn man es im Namen der Umwelt und der unschuldigen Kinder tut. („Werden wir unseren Kindern in die Augen blicken können, wenn wir nicht auch unsere Klimaschuld begleichen?“)

    – Kontrolle und Führung durch Angst („Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.“)
    Das gute alte Patentrezept der staatstragenden Panikmache. Wenn es an das eigene Portemonnaie geht, ist unterhalb von Maximalbedrohungen gar nichts artikulierbar. Und selbstverständlich werden „EU“ und „Europa“ stets gleichgesetzt. Auch die „neue EU“ hat dem Bürger keine idealistische Utopie der Kooperation zu bieten, sondern basiert einzig auf Konsum und Wettbewerb.

    – Aufbau einer europäischen Kompetenz bei Software- und Internettechnologien. Zum Beispiel eigene soziale Medien, die die EU selbst kontrollieren und zensieren kann, ohne im Silicon Valley „BITTE BITTE!“ betteln zu müssen. Verdrängen der US-Internetkonzerne und ihres erdrückenden Einflusses auf die EU („… nicht nur Internet-Giganten durch die Schaffung einer europäischen Überwachung der großen Plattformen regulieren, sondern auch die Innovation finanzieren“)

    – Aufteilung der EU in kleinere aber eigenständige Interessengruppen bzw. Machtblöcke. („Wir werden uns nicht in allem einig sein, aber was ist besser: ein erstarrtes Europa oder ein Europa, das voranschreitet, zwar nicht immer im Gleichschritt, aber offen für alle?“)
    Hier wäre das „Wie?“ besonders spannend gewesen. Man darf sich aber sicher sein, dass die Konzepte dazu längst fertig in den Schubladen Brüssler Hinterzimmer liegen.

    – Der Ruf der EU als undemokratische, bürokratische Monstranz in den Augen der Bevölkerungen ist vom bloßen Imageproblem zu einem realpolitischen Problem geworden. („… eine Europakonferenz ins Leben rufen, um alle für unser politisches Projekt erforderlichen Änderungen vorzuschlagen“)

    – Um diesem lästigen Umstand zusätzlich zu begegnen, soll künftig mehr Volksnähe simuliert und der demokratische Verfahrensanschein wieder aufpoliert werden. Am bestem, indem man sorgsam vorausgewählte Protagonisten die üblichen Phrasen von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit in die Mikrofone heucheln lässt: Das Prinzip Polit-Talk wie im ÖR Staatsfunk („Zu dieser Konferenz sollten Bürgerpanels hinzugezogen und Akademiker, Sozialpartner und Vertreter der Religionen gehört werden.“)

    – „Freiheit, Schutz und Fortschritt.“
    Freiheit für das global vagabundierende Anlage- und Spekulationskapital, Schutz der gegebenen Eigentumsrechte und -verteilung, Fortschritt auf dem Weg zum europäischen Superstaat. Und die unangenehmen Seiten dieses System kaschiert man mit den Bürgerpanels. Die dürfen gerne, reichlich und laut kritisieren, aber verändern werden sie an den wesentlichen Machtstrukturen gar nichts.

    – Handreichungen an Großbritannien („in diesem Europa wird Großbritannien, da bin ich sicher, einen vollwertigen Platz finden“), dessen „Brexit“ ein ungeplanter und ungewollter Unfall gewesen ist.
    Ein Kollateralschaden, der von den Eliten beider Seiten nicht gewollt gewesen ist. Und über dessen gesichtswahrende „Rückabwicklung“ offensichtlich noch Uneinigkeit herrscht. Nicht über das „ob“, nur über das „wie“. Und wie man die Briten im Zusammenhang damit öffentlichkeitswirksam bestrafen kann, damit es künftig keine Nachahmer mehr gibt.

    Übrigens: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat bereits in einer Stellungnahme auf Macrons Appell reagiert. Und ist aus offensichtlichen Gründen anderer Meinung.

    Antwort auf Emanuel Macron: Orbán weist Reformideen für die EU zurück
    http://www.spiegel.de/politik/ausland/viktor-orban-weist-ideen-von-emmanuel-macron-zurueck-a-1256420.html

    Leider enthält der Artikel nur den üblichen „Qualitätsmedien“-Neusprech bzw. ist laut Quellenangabe ein von Reuters/AP vorsortierter Pressetext. Inklusive der üblichen Narrative. Also ohne jedes relevante Detail. Ich habe bisher keine deutschsprachige Primärquelle zu Orbáns Einlassungen finden können.

    • zeitzeuge sagt:

      Ich finde Ihre Ausarbeitung der jeweiligen Punkte gut und entnehme Ihren Anmerkungen eine gewisse emotionale Unzufriedenheit, in diesen Prozess nicht einbezogen worden zu sein. Was glauben Sie, wäre Punkt für Punkt das Ergebnis in einer echten demokratischen Entscheidungsfindung und was davon die globalen politischen Konsequenzen? Wie verhalten sich die Konkurrenten US und China? Was ist bisher passiert? Die multipolare Welt ist noch ein zartes Pflänzchen. Es ist gut, dass Macron rechtzeitig erwachsen wird.

      • seppel sagt:

        „Ich finde Ihre Ausarbeitung der jeweiligen Punkte gut und entnehme Ihren Anmerkungen eine gewisse emotionale Unzufriedenheit, in diesen Prozess nicht einbezogen worden zu sein.“

        Das stimmt. Ich sehe meine europäischen Brüder und Schwestern als wohlgesonnene Nachbarn, nicht als Konkurrenten. Und ich mag es nicht, dass einem in der „neuen EU“ erneut ein System des neoliberalen Wettbewerbs übergestülpt werden soll. Man will uns gegeneinander ausspielen, damit wir beherrschbar bleiben. Neu ist daran aber nur, dass es jetzt so offen ausgesprochen wird.

        „Was glauben Sie, wäre Punkt für Punkt das Ergebnis in einer echten demokratischen Entscheidungsfindung und was davon die globalen politischen Konsequenzen? Wie verhalten sich die Konkurrenten US und China? Was ist bisher passiert?“

        Die Beantwortung dieser Frage bzw. auch nur der Teilaspekte davon, würde jeden Rahmen sprengen. Und damit in die Spekulation abdriften. Die dahinter stehende Komplexität und all ihre Zusammenhänge sind für mich überhaupt nicht zu erfassen.

        Ich würde es begrüßen, wenn man zuerst den vollkommen degenerierten Schweinestall UNO einmal ausmisten und vom Kopf auf die Füße stellen würde. Echte Demokratie gibt es für kein Volk dieser Erde. Noch nicht mal für einzelne Staaten. Dafür sorgen schon die UN-Vetomächte. Als kleiner Randstaat hat man doch in der UN keine Chance auf Gerechtigkeit.

        Eine UN, die unabhängig und unbestechlich gegen jedes Land vorgehen könnte, das die Regeln bricht, wäre schon mal ein riesiger Fortschritt. Von da aus müsste man dann sehen, wie es weiter geht.

        Eine allgemeine Anmerkung:
        Bereits Anfang Februar hat Bundeswirtschaftsminister Altmaier die „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgestellt:
        https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Industrie/nationale-industriestrategie-2030.html
        (Mit PDF-Dokument zum Download)

        Da kann man einmal quer lesen und findet, bezogen auf Wirtschaft und Industrie, exakt dieselben Punkte, wie Macron sie artikuliert hat. Man darf also erwarten, dass sich Deutschland und Frankreich in diesem sehr wesentlichen Punkt einig sind.

        • Analitik sagt:

          “Eine UN, die unabhängig und unbestechlich gegen jedes Land vorgehen könnte, das die Regeln bricht, wäre schon mal ein riesiger Fortschritt.”

          Wie stellen sich vor, das in der Praxis zu erreichen?

          Wissen Sie, warum die UN funktioniert, so weit sie funktioniert? Weil sie eine realistische Machtstruktur hat. Es gibt fünf Platzhirsche, die das Sagen haben. Zufällig gehören alle fünf zu den ersten Besitzern atomarer Waffen. In der UN gilt das Recht des Stärkeren. Das ist archaisch, aber genau so funktionieren menschliche Gesellschaften in der Realität. Wenn die Platzhirsche ihr Recht des stärkeren plötzlich aufgeben würden, würde es bedeuten, dass sich alle Platzhirsche zusammen einem Hirsch unterwerfen, der keine eigene Heimat und nicht einmal Hörner hat. Von solchen Geschichten fantasieren nur Hirsche ohne Hörner, die mit Hörnern wissen, dass die Welt so nicht funktioniert. Es kann tatsächlich passieren, dass die Platzhirsche in irgeneinem ihrer Clubs beschließen, dass der unbehörnte von ihnen angestellte Sekretär ihr Herr und Richter werden soll. In der Realität führt das ohne Ausnahme dazu, das so ein Club ein rein formales Dasein führt und die Entscheidungen des formellen Herrn und Richters von den Platzhirschen ignoriert werden.

          • Tja, ANALITIK: ‘Wenn die Platzhirsche ihr Recht des stärkeren plötzlich aufgeben würden, würde es bedeuten, dass sich alle Platzhirsche zusammen einem Hirsch unterwerfen, der keine eigene Heimat und nicht einmal Hörner hat.’; wie wahr, wie wahr, sprich statt UN, Baphomet osä. vs. “Die Protokolle der Weisen von Zion”, “Denn Macht hat nur der, den man nicht kritisieren darf” und leicht nachvollziehbar bleibt meine 4 + 1 “Theorie der Paradigmen” konsistent! Noch Fragen?
            RRD

          • BG sagt:

            Geweih, nicht Horn 😀

            Kuh und Schaf haben Hörner
            Hirsch und Reh Geweihe

            (nicht freischalten)

            LG, Bernd

          • seppel sagt:

            Das alles ist selbstverständlich eine rein rhetorische Debatte. Genauso, wie es keine „demokratische“ UN geben kann, wird es auch nie echte „basisdemokratische“ Gesellschaften geben können. Ganz einfach weil es, wie zurecht angemerkt, nicht in der Natur der Sache liegt und den menschlichen Gesellschaftsordnungen widerspricht. Die Mächtigen schwimmen automatisch immer oben, ganz einfach, weil sie ihre Macht dazu systematisch ausnutzen.

            Aber zumindest halte ich Veränderungen, wie immer diese auch aussehen mögen, auf UN-Ebene als zumindest entfernt denkbar. Auch wenn das nur wie Zweckoptimismus erscheint.

            Bislang sind die UN-Urteile, egal von wem, ein reines Placebo. Sie beschreiben ja nicht den „Was-wäre wenn-Fall“ nach einer Reform, sondern das ist ja heute schon Realität: Egal was oder von wem etwas beschlossen wird, wer die Macht innehat, ignoriert es einfach.

            Es müsste einen Mechanismus geben, mit dem sich zumindest die Platzhirsche tatsächlich untereinander effektiv das Leben gegenseitig schwer machen könnten. Nur so kann ja eine Machtbalance gewahrt werden. Die sehe ich aktuell noch nicht und es ist zurecht extrem fragwürdig, ob die Platzhirsche sich selbst solche Beschränkungen in der UNO auferlegen würden. Womöglich sind die aktuell vorhandenen fünf Vetomächte ja sogar wunschlos glücklich mit dem gegenwärtigen Zustand im UN-Sicherheitsrat.

            Angenommen: Das Vetoland X marschiert irgendwo ein. Das ist zwar nicht legitim, aber aufgrund der realen Machtstrukturen effektiv nicht abwendbar. Noch nicht einmal sanktionierbar. Die Vetomächte auf der Seite des Landes X werden eine Verurteilung einfach mit ihrem Veto abblocken. Es braucht ja nur ein einziges Veto dazu, schon ist jede Verurteilung zunichte.

            Wenn sich jetzt etwas in der UN ändern würde, was zu mehr Gleichgewicht der Vetomächte führen würde (also z.B. eine Abschaffung des einstimmigen Vetos). Oder die Aufnahme einer sechsten Vetomacht aus den Reihen der BRICS. Immerhin reden wir von der multipolaren Welt. Und damit zwangsläufig auch vom Ende der Nachkriegsordnung des 2. Weltkriegs. Jenes 2. Weltkrieges, auf dessen Siegerstrukturen ja die UNO bis heute basiert.

            Aber lassen wir das, diese Debatte ist reines Wunschdenken und damit unfruchtbar 🙂

            • Analitik sagt:

              “Aber zumindest halte ich Veränderungen, wie immer diese auch aussehen mögen, auf UN-Ebene als zumindest entfernt denkbar. Auch wenn das nur wie Zweckoptimismus erscheint.”

              Veränderungen in der UN sind in vollem Gange. Die Presse schweigt sich darüber aus, aber hier im Blog haben wir die Erwartung an diese Veränderungen vor langer Zeit geäußert und seitdem mehrmals auf Anzeichen ihres Eintretens hingewiesen.

              “Bislang sind die UN-Urteile, egal von wem, ein reines Placebo.”

              Nicht ganz. Wenn sich die Platzhirsche einig über einen Bösewicht sind, wird der Bösewicht einer Bestrafung unterworfen, die er ganz und gar nicht als Placebo wahrnimmt. Nur die Platzhirsche selbst oder ihre Schützlinge (sofern sich ein Platzhirsch dafür einsetzt) können UN-Beschlüsse ignorieren. Und wehe dem, dessen Schutzhirsch sein mächtiges Geweih (!) verliert, denn dann werden UN-Beschlüsse aus den 70-ern Jahren des letzten, von vielen schon vergessenen Jahrhunderts rausgekramt… Genau das passiert gerade jetzt. Aber die Presse hat wichtigeres zu berichten.

  5. Martsky sagt:

    Ich habe Schwierigkeiten in der Menge der Worte einen glaubwürdigen Inhalt zu erkennen. Ich lese z.B. die Worte:

    Ich schlage die Gründung einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie vor, die in jeden Mitgliedstaat europäische Experten entsenden wird, um seine Wahlen vor Hackerangriffen und Manipulationen zu schützen.

    Für mich schlägt Macron also sowas wie ein Europäisches CIA vor, das “seine Wahlen” vor “Hackerangriffen und Manipulationen” schützen soll. Für mich würde das bedeuten, die Mitgliedsstaaten sollen vor Manipulationen von Aussen geschützt werden. Von von jedem Aussen. Meine Erfahrung lehrt mich aber, das mit so einer Agentur nur “transatlantische” oder “Konzern”interessen, also US-Amerikanische, geschützt werden. Mit anderen Worten: US Einmischung wird weiter Taten und Straflos hingenommen werden.

    Wenn ich soweit bin, lese ich normalerweise (diesmal schon) nicht mehr weiter. Ich glaube es einfach nicht, was er verspricht.
    Er führt keinen Kampf für Europa, er führt einen Kampf für seine Kleptokratenklasse. Für die Freiheit, mit jedem Schwein Geschäfte machen zu können. Für einen Markt, der mir gnadenlos die Existengrundlage entzieht, wenn irgendeine Kleptokratenorganisation das beschließt.

    Ich merke im Grundtenor allerdings eine gewisse Beunruhigung. Ich vermute deshalb, das in seinen Kreisen eine gewisse Unruhe bezüglich des weiterbestehens der EU besteht. Oder anders gesagt: Die Konzerne haben Angst, daß sich das Konzernprojekt EU auflöst. Und deshalb versprechen sie ihren “Schafen” alles mögliche, das nachher eh nicht umgesetzt wird. Weil das Geld fehlt, der Markt oder die US das nicht zulassen.

    VG Martsky

    • Analitik sagt:

      Es gab viele Kommentare dieser und ähnlicher Art, die alle in den Papierkorb gewandert sind. Dieser Kommentar ist beispielhaft freigeschaltet, um auf einen Sachverhalt hinzuweisen.

      “Wenn ich soweit bin, lese ich normalerweise (diesmal schon) nicht mehr weiter. Ich glaube es einfach nicht, was er verspricht.”

      Emotional geworden, in Abwehrhaltung gegangen und damit den Nährboden für Schimpftiraden und sonstige Abwehrreaktionen gelegt. Das ist alles menschlich und verständlich. Genau dazu werden Sie erzogen: emotionale pawlowsche Reaktionen. Sobald Sie verstehen und spüren, dass Sie dadurch versklavt werden, dass Sie dadurch Ihrer größten Freiheit beraubt werden, werden Sie beginnen, sich dagegen zu wehren.

      Wenn wir einen Propaganda-Text analysieren (der sogar als solcher angekündigt wurde), geht es nicht darum, der gelesenen Propaganda zu glauben. Es geht darum, sie zu verstehen. Dazu muss man seine Emotionen loslassen und frei nachdenken. Das ist eine schwierige Übung, aber einige Leser haben gezeigt, dass es möglich ist.

  6. Grimmelshausen sagt:

    Freiheit, Schutz, Fortschritt. Auf diesen Säulen muss unser Neubeginn in Europa ruhen

    Die Parole Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (französisch Liberté, Égalité, Fraternité) ist der Wahlspruch der heutigen Französischen Republik und der Republik Haiti. Er fußt auf den Losungen der Französischen Revolution 1789.

    Es ist sicher kein Zufall, daß Macron diese Parole auf “Freiheit, Schutz, Fortschritt” ändert. Er stellt damit indirekt einen Bezug zur französischen Revolution her.

    Europa ist keine Macht zweiten Ranges. Europa als Ganzes spielt eine Vorreiterrolle, denn es hat von jeher die Maßstäbe für Fortschritt gesetzt.

    Europa soll auf Augenhöhe zu den USA, China und Russland stehen. Klare Anmeldung von Vormachtsansprüchen. Interessanterweise wird Russland im gesamten Text nicht erwähnt.

    Wir müssen unsere Wettbewerbspolitik reformieren, unsere Handelspolitik neu ausrichten: in Europa Unternehmen bestrafen oder verbieten, die unsere strategischen Interessen und unsere wesentlichen Werte untergraben, wie Umweltstandards, Datenschutz und eine Entrichtung von Steuern in angemessener Höhe; und in strategischen Branchen und bei öffentlichen Aufträgen zu einer bevorzugten Behandlung europäischer Unternehmen stehen, wie es unsere Konkurrenten in den USA und in China tun.

    Die USA und China werden als direkte Konkurrenz angesehen, die eingedämmt gehört.

  7. Tobias sagt:

    Hallo Analitik,

    von einigen meiner Vorredner wurden ja schon wesentliche Aspekte herausgearbeitet, so dass ich mir hier auf die Frage nach den mehr oder weniger offen ausgesprochenen geopolitischen Feinbildern in der Ansprache von Macron fokussieren möchte.

    Dabei soll es vor allem um die Frage gehen, was Otto-Normal-Matrixbewohner gemeinhin auf die gewählten Begriffe hin assoziert, wobei mein Fokus auf der Auswahl USA, China und Russland liegt.

    Nun zu den Feindbildern:

    – “Nationalisten”: Das geht natürlich stark Richtung Großbritannien, Italien etc. aber auch Trump wird immer wieder in diesen Kontext gerückt, so dass hier von meiner Auswahl die USA (praktisch als Beifang) zu nennen sind

    – “agressive Strategien der Großmächte”: Otto-Normal wird hier vermutlich zuerst an die USA und dann an China denken und zuletzt an Russland, da die Matrix zwar alles versucht, um Russland “aggressive Strategie” zu unterstellen aber im gleichen Atemzug bemüht ist Russland als Machtfaktor zu marginalisieren.

    – “Internet Giganten”: Das geht ganz klar an die Adresse der USA

    – “Fremde Mächte” im Kontext von “Hackerangriffen und Manipulationen” von Wahlen: Hier wird tatsächlich einmal das Feinbild Russland bemüht, um die Aufrüstung der EU in Sachen Digitalisierung und Cyber-Kriegsführung zu rechtfertigen

    – “Denjenigen, die keine ihrer Regeln einhalten” im Kontext Wettbewerb und Handel: Hier wird ganz klar das Feinbild USA bemüht vor dem Hintergrund der ganzen Berichterstattung, wie Trump den freien Welthandel bedroht

    – “Unternehmen […], die unsere strategischen Interessen und unsere wesentlichen Werte untergraben, wie […] eine Entrichtung von Steuern”: Ganz klar gegen die USA, in diesem Fall vertreten durch Google, Facebook, Starbucks etc.

    – “Konkurrenten in den USA und China”: Wurden vorher implizite, stark assoziativ aufgeadene Begriffe benutzt, kommt nun zum Ende hin die explizite Nennung

    – “Budget […], das mit dem in den USA vergleichbar ist, um sich an die Spitze der neuen Technologien wie der künstlichen Intelligenz zu stellen”: Auch hier wieder Platz eins für die USA durch explizite Nennung und Platz 2 für China, das mehr und mehr bekannt wird für seine technologischen Ambitionen auf dem Feld der künstlichen Intelligenz

    Zusammenfassend: Die USA als Feinbild führen deutlich vor China und weit abgeschlagen folgt Russland.

    Das zeigt mir, dass die EU verstanden, dass sie Russland braucht, wenn sie sich gegen die USA und China als eigenständiger Machtfaktor etablieren will.