EU-Armee gegen die USA

Macron fordert eine echte EU-Armee, die in der Lage ist, die EU gegen China, Russland und auch gegen die USA zu verteidigen.

Das transatlantische Bündnis erlebt offensichtlich nicht seine besten Tage, wenn nun schon offen davon die Rede ist, dass die EU sich militärisch gegen die USA verteidigen können muss.

Interessant ist, den Gedanken rein fachlich aufzunehmen. Damit sich die EU gegen Russland oder die USA verteidigen kann, braucht die EU ein vergleichbares Arsenal an Atombomben sowie an Beförderungssystemen, welche die Atombomben gegen den Widerstand der russischen/amerikanischen Raketenabwehrsysteme zum Ziel befördern können. Das ist eine verdammt hohe Zielplanke, sowohl politisch als auch technisch. Technisch muss das erst einmal entwickelt und produziert werden. Die europäische Forschung und Industrie sind gut genug für Spielzeuge wie Autos mit “smarten” Katalysatoren, aber für Atomwaffen und Trägerraketen ist Gehirnschmalz von ganz anderer Qualität, sowie eine ganz andere Koordination von Gehirnschmalz notwendig. Das ist dem Bürger nicht bewusst (der “Bildung” sei Dankt…), ist aber in der Realität wie es ist. Wenn man sieht, welche Probleme die EU-Rüstungsindustrie mit einem Transportflugzeug, einem Kampfflugzeug oder einer eigens entwickelten Drohe hat, bekommt man vielleicht eine Ahnung von der Begrenztheit der Möglichkeiten. Das ist alles noch zweite Liga und selbst hier weiss die EU nicht zu überzeugen. Sollte die EU ein großes Atomwaffen-Entwicklungsprojekt starten, ist das Ergebnis absolut vorhersehbar: Industrie und Forschung werden selbstbewusst darlegen, wie geil sie die Aufgabe meistern werden. Sie werden die Milliarden, die Ihnen dafür gegeben werden, freudevoll annehmen, den versprochenen Kostenrahmen und die Deadlines exponentiell ausdehnen und in den kommenden fünfzig Jahren doch nicht bis zur tauglichen Serienfertigung gelangen. Die Gründe dafür sind tief verwurzelt und nicht schnell zu ändern. Wer seine Bevölkerung systematisch verdummt, braucht sich nicht zu wundern, dass das System nicht genug wirklich hochklassige Spezialisten hervorbringt. Und wer die Wirtschaft so weit liberalisiert, dass niemand mehr da ist, der große Projekte mit jahrzehntelanger Laufzeit streng kontrolliert und koordiniert, kann eben keine Projekte umsetzen, die aufgrund ihrer Komplexität jahrzehntelange geduldige Investitionen und Kontrolle erfordern. Die in Quartalen denkende freie Wirtschaft ist dazu nicht in der Lage, was man sehr deutlich am kläglichen Abschneiden sämtlicher westlicher Atomreaktor-Baukonzerne sehen kann. Während Russland mit der Serienfertigung von Atomkraftwerken der Generation 3+ begonnen hat, haben Frankreich, die USA und Japan immer noch keinen einzigen eigenen Reaktor der Generation 3+ zum Laufen gebracht. Im Gegensatz zu seinen westlichen Partnern hat Russland die Staatskontrolle über die hochkomplexen Industriezweige nicht aus der Hand gegeben. Staatskapitalismus gewinnt gegen den völligen Rückzug des Staates aus strategischen Industriezweigen.

Neben der rein technischen Herausforderung, die eine Verwandlung in eine atomare Weltmacht mit sich bringt, bleibt für die EU noch die politische Herausforderung. Entscheidet man sich für einen völligen Neubeginn oder nimmt man die vorhandenen französischen und/oder britischen Atomwaffen als Ausgangsbasis? Das Vorhandene aufzugreifen erscheint aus technischer und finanzieller Hinsicht äußerst sinnvoll. Aber wenn beispielsweise die französischen Atomwaffen zur gigantischen Atommacht ausgebaut werden, wer bekommt dann die Kontrolle darüber? Frankreich? Dann wird Deutschland nicht einverstanden sein. Die EU? Dann wird Frankreich nicht einverstanden sein, denn es würde die vorhandenen eigenen Atomwaffen aus der eigenen Hand geben. Vielleicht alles von Beginn an entwickeln? Das wird viel teurer, aber gut. Doch bleibt die Frage, wer das neu entwickelte Arsenal kontrollieren wird. Irgendein EU-Gremium, gewiss, aber welche Stimmanteile haben dort die einzelnen EU-Mitglieder? Das Problem der EU ist ein systemisches, sie ist nicht zentralisiert. In einem nicht zentralisierten System scheitern die Dinge daran, dass jeder seine eigenen Interessen verfolgt und sich nicht in den Dienst eines gemeinsamen Zieles stellt, wenn dieses mit dem eigenen Kontrollverlust bezahlt werden muss. *

So bleibt Macron vorerst nur der Verdienst, die USA öffentlich als potentiellen militärischen Feind markiert zu haben. Wladimir Putin schmunzelt zufrieden im Kreml. Die EU erklärt die USA jetzt schon zum Feind, während die geforderte militärische Abwehrfähigkeit gegen die USA keine rosigen Aussichten hat. Welch Glück, dass Russland eine eurasische Sicherheitsarchitektur im Angebot hat. Das Overton-Fenster wird in diese Richtung geschoben.

* Ein interessanter Lösungsansatz wäre übrigens, wenn Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Stimmenmehrheit in der EU bei der Anwendung von absoluter Mehrheit bekämen. Das ist ein immer noch schwieriges, aber immerhin realistisches realpolitisches Ziel, um eine hinreichende Zentralisierung der EU zu erreichen.

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