Am 9. Mai hat Russland das Ende des Großen Vaterländischen Krieges gefeiert und der Toten gedacht. Es gab 26 Militärparaden im Land, die größte und prächtigste davon in Moskau. Der Saker hat über die symbolträchtigen Gesten der Moskauer Parade bereits geschrieben:
- Verteidigungsminister Schoigu, ein Buddhist, bekreuzigte sich vor der Parade.
- Die chinesische Volksbefreiungsarmee marschierte erstmals bei der Parade mit.
- Armenische und aserbaidschanische Truppen marschierten gemeinsam bei einer Parade – bei der Feindschaft, die die beiden Länder derzeit durchleben müssen, ist so ein Ereignis wohl nur in Moskau möglich.
Was ich persönlich hervorheben möchte, was mich noch mehr beeindruckt hat als die Militärparaden, war die Aktion “Unsterbliches Regiment” (“Бессмертный полк“). Wie ein TV-Kommentator treffend bemerkt hat, ist das, was da passiert ist, mit “Aktion” nicht mehr treffend beschrieben. Es ist eine Bewegung.
Als Aktion begann es 2012 in Tomsk. Die Menschen wurden aufgerufen, Fotos ihrer im Großen Vaterländischen Krieg verstorbenen Angehörigen auszudrucken und gemeinsam einen Gedenkmarsch ihnen zu Ehren abzuhalten. Der erste Marsch versammelte sechs Tausend Menschen.
2015 waren es allein in Moskau 300 bis 500 Tausend Menschen. In Sankt Petersburg über 100 Tausend. In vielen weiteren Städten Russlands nahmen Menschen in fünfstelliger Zahl an der Bewegung teil. Selbst in Kleinstädten und Dörfern gingen die Menschen auf die Straßen. Das ist eine echte nationale Bewegung. Das ist auch eine internationale Bewegung. Neben zahlreichen Ländern der ehemaligen Sowjetunion beteiligten sich beispielsweise auch Menschen aus Deutschland.
Eine gigantische, identitätsstiftende Bewegung. Sie hebt sich nicht nur quantitativ heraus. Sie setzt auch qualitativ ein Zeichen. Es ist eine Sache, hunderttausende Menschen auf die Straße zu bringen. Und es ist eine ganz andere Sache, hunderttausende Menschen auf die Straße zu bringen, die sich aktiv darauf vorbereitet haben.
Eine andere Kleinigkeit hat mich tief berührt am 9. Mai. Eine Gedenkminute im russischen Fernsehen. Dabei wurden Ausschnitte aus dem Gedicht “Requiem” (“Реквием“) von Robert Roghdestwenskij vorgelesen. Ich habe den Text (nicht den vollständigen, sondern nur das, was im Film gesprochen wird) übersetzt. Es ist nicht einfach, von der Kultur eines Landes aufgeladene Gedichte in eine andere Sprache zu übersetzen. Ich habe mich um eine enge Übersetzung bemüht. Reime und Duktus sind dabei flöten gegangen. Ich hoffe, dass der Sinn so weit erhalten geblieben ist, dass er dem deutschen Publikum zugänglich wird.
Erinnern wir uns an alle namentlich,
Erinnern wir uns mit unserem Leid…
Nicht für die Toten ist es wichtig!
Es ist wichtig für die Lebenden!
Werden denn Kinder für den Tod geboren, Heimat?
Wolltest du etwa unseren Tod, Heimat?
Die Flammen schlugen in den Himmel!
Erinnerst du dich, Heimat?
Du hast leise gesagt:
“Steht auf und helft…”, Heimat.
Niemand hat dich um Ruhm gebeten, Heimat.
Es hatte einfach jeder die Wahl: ich oder Heimat.
Warum gehst du, rote Sonne, ohne dich zu verabschieden?
Warum, mein Sohn, kehrst du nicht vom freudlosen Krieg zurück?
Ich rette dich aus deiner Not, fliege herbei als schneller Adler…
Melde dich, mein Blut! Mein Kleiner. Einziger.
Irgendwann werden wir euch aus dem Schlaf wecken.
Tragen unsere Stimmen durch die Stille, über die Felder.
Wir haben vergessen, wie die Blumen riechen.
Wir haben vergessen, wie die Pappeln rauschen.
Selbst die Erde haben wir vergessen. Wie ist sie geworden, die Erde?
Was machen die Vögel? Singen sie, ohne uns?
Wie geht es den Kirschbäumen? Blühen sie, ohne uns?
Wie hellt sich der Fluß auf? Wie fliegen die Wolken über uns?
Ohne uns.
Vergesst nicht!
Über die Jahre und Jahrhunderte – vergesst nicht!
An die, die nie mehr zurückkehren – erinnert euch!
Weint nicht!
Haltet den Kloß im Hals zurück, den bitteren Schmerz.
Im Gedenken an die Gefallenen seid würdig!
Würdig, immer!
Menschen!
Solange die Herzen schlagen, vergesst nicht!
Zu welchem Preis das Glück errungen – bitte, vergesst nicht!
Wenn ihr euer Lied singt – erinnert euch!
An die, die nie mehr singen werden – erinnert euch!
Erzählt euren Kindern von ihnen, damit sie nicht vergessen!
Den Kindern eurer Kinder erzählt von ihnen, damit auch sie nicht vergessen!
Ja, dieser Zug mit den Bildern der Väter und Großväter, die im Krieg gekämpft, verwundet oder gefallen sind, ist sehr beeindruckend.
Eine schöne Aktion fü den 9. Mai.
Ein tolles Foto!
Was neben diesem Domonstrationszug und der Moskauer Parade noch wunderschön war, war das große Konzert am Abend mit dem abschließenden Feuerwerk.
Mehrere tausend Schauspieler, Sänger, Tänzer haben in einer beeindruckenden Performance den 2. Weltkrieg nachgespielt, Musik von Okudschawa bis Schostakowitsch.
Sehr sehenswert.(Ich habe es mir schon mehrmals angeschaut. Jedesmal, wenn ich es verlinke, schaue ich es mir zur Gänze an 😉 )
http s://www.youtube.com/watch?t=300&v=GTqmWzx8ds4
(Kein Leerzeichen nach dem http)
Bewegend.
Man spürt, wenn das Herz spricht.
Dann gibt es auch keinen Hass mehr.
Und ein Bild, dass ohne Vorwurf mahnt, nicht zu vergessen.
Denn so wie wir Menschen Licht sind, sind wir auch Schatten.
Es liegt an uns, den Schatten zu erkennen,
um so im Licht zu leben.
Für uns und damit andere.
Danke Analitik, fast hätte ich diesen Beitrag “überlesen”.
Herzliche Grüße an alle
ped43z