Liefern oder nicht liefern, das ist hier die Frage

Versuchen wir den EU-Aufstand einzuordnen, nachdem ein paar Tage vergangen sind.

Also, am 7. März geht es damit los, dass das Kanzleramt den US-Falken in Vertretung von Breedlove “gefährliche Propaganda” vorwirft. Auf englisch gibt es beim Spiegel einen deutlich ausführlicheren Artikel bereits am 6. März. Ich empfehle ihn zur Lektüre. Die Autoren beschreiben, dass die deutsche Politik und auch andere EU-Staaten bereits vom Beginn des Konflikts an über die Propaganda der USA informiert und darüber irritiert waren. Sie führen mehrere Beispiele dafür an. Solange diese Propaganda nicht zur Folge hatte, dass die EU selbst unter die Räder gerät, war es offenbar in Ordnung, denn weder Politiker noch Presse haben der US-Propagada etwas entgegengesetzt.

Aber als klar wird, dass die USA diesen Konflikt nicht gewinnen werden und dass die EU jetzt einenen gescheiterten 40-Millionen-Menschen-Staat mit Bürgerkrieg an der eigenen Grenze hat und die USA diesen Bürgerkrieg mit Waffenlieferungen weiter zu eskalieren drohen, wird es der EU definitiv zu heiß.

Der Propaganda-Vorwurf wird von Forderungen nach einer eigenen EU-Armee flankiert. Angeblich, um stärker gegen Russland auftreten zu können. Das Gerede über eine EU-Armee in diesen Tagen ist nichts weiter als ein diplomatisches Signal an Washington. Die Perspektiven einer EU-Armee hat Saker analysiert. Die USA schultern zwei Drittel des NATO-Budgets. Zusammen mit dem treuen Großbritanien, das sich bereits klar gegen die EU-Armee ausgesprochen hat, sind es fast drei Viertel des Budgets. Ohne die USA ist die EU in militärischer Hinsicht erbärmlich schlecht aufgestellt. Natürlich wissen das alle Verantwortlichen.

Welches Signal will die EU an die USA senden? Es lautet: keine Waffenlieferungen an die Ukraine.

Der deutsche Botschafter in den USA erinnert am 9. März an den Obama-Merkel-Deal vom Februar, der vorsieht, dass die EU den Konflikt auf diplomatischem Weg zu entschärfen versucht, während die USA sich zurückhalten.

Ebenfalls am 9. März äußert sich Obama kurz dazu, nach dem Motto: ja ja, habe ich nicht vergessen.

Ebenfalls am 9. März ist Donald Tusk bei Obama zu Besuch. Tusk ist ein US-Vasall wie aus dem Bilderbuch und er ist ein Hardliner, voll auf der anti-russischen US-Linie. Es muss ihm weh tun, Obama mitzuteilen, dass die EU derzeit nicht bereit ist, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.

Ebenfalls am 9. März erinnert Merkel daran, dass Deutschland eine diplomatische Lösung will.

Und Steinmeier verkündet am 9. März, dass die Feuerpause in der Ukraine wirkt, womit er zu verstehen gibt, dass Waffenlieferungen jetzt völlig fehl am Platz sind.

Am 11. März schreibt Steinmeier in der New York Times, Überschrift: “Save Our Trans-Atlantic Order“. Am 12. März hat Steinmeier intensive Verhandlungen mit Kerry in Washington.

Die EU stemmt sich gegen US-Waffenlieferungen an die Ukraine. Mehr Waffen werden das Ruder nicht mehr herumreißen können. Sie werden die Situation nur eskalieren lassen.

Das US-Außenministerium wollte sich am 10. März nicht zur EU-Armee äußern.

Am 12. wurde verkündet, die Ukraine mit 75 Millionen Dollar für nicht-tödliche Militärausrüstung zu unterstützen. Außerdem wurden die Sanktionen gegen Russland erweitert. Das ist offenbar das Mindeste, was Obama zu seiner Gesichtswahrung tun musste. Offiziell bleibt die Frage der Lieferung tödlicher Waffen offen.

Die EU hämmert auf Obama ein und fordert, auf keinen Fall Waffen zu liefern. Deutschland hat den Ton verschärft und droht offen mit einem Zerwürfnis der transatlantischen Beziehungen (“gefährliche Propaganda”, “Save Our Trans-Atlantic Order”). Genauso stark wird auf den US-Präsidenten von der anderen Seite eingehämmert. Die Kriegspartei der USA verlangt lautstark und mit Nachdruck Waffenlieferungen an die Ukraine. Obama hat es nicht leicht.

Noch ist nichts entschieden. Die Waffenruhe in der Ukraine ist nur vorübergehend. Selbst in dieser ruhigen Phase hat die EU größte Mühe, sich gegen die US-Falken durchzusetzen. Die transatlantischen Beziehungen werden einem noch härteren Stresstest ausgesetzt, sobald der Krieg in der Ukraine wieder eskaliert.

Veröffentlicht in Analysen Getagged mit: , , , ,
2 Kommentare zu “Liefern oder nicht liefern, das ist hier die Frage
  1. angband sagt:

    http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/aussenminister-steinmeier-zu-besuch-in-washington-13481788.html

    Die FAZ sieht einen Riss zwischen Kongress und Regierung in den USA, wobei der Kongress (und auch viele Demokraten) radikalere Linien vertrete als Obama.