Zum Mord an Nemzow

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar wurde Boris Nemzow ermordet. Am Morgen des 28. Februar konnten Teile der westlichen Presse bereits den Schuldigen benennen.

Unwiderlegbare Beweise
“Unwiderlegbare Beweise”

Die Deutschen lieben Krimis. Daher weiss jeder Deutsche, dass keine Mord-Untersuchung ohne die große Frage nach dem Motiv auskommt. Wem nützte der Mord?

Nemzow war einer der Anführer der russischen liberalen Opposition. Damit ist das Motiv geklärt. Er war Putins Feind, demnach hat Putin ihn umgebracht.

Ein Tatort dauert aber 90 Minuten. Uns bleiben noch ein paar Minuten, um ein klein wenig über den Tellerrand dieser simplem Schlussfolgerung zu blicken.

Die Liberalen waren in den 90ern noch selbst an der Macht in Russland. Nemzow bekleidete verschiede hohe Posten in der Regierung. Die 90er sind den Russen als Jahrzehnt des Schreckens in Erinnerung geblieben. In den 2000ern sind die Liberalen aus den hohen Regierungskreisen in die “nichtsystemische” Opposition abgerutscht. Nichtsystemisch bedeutet, sie waren nicht mehr Teil des politischen Systems. Noch deutlicher ausgedrückt: Sie wurden nicht mehr gewählt, nicht mal mehr in die Opposition. Ihr Schlachtfeld wurden die US-geförderten liberalen Medien.

2011 hatten die Liberalen wieder einen kleinen Höhepunkt. Die USA wollten unbedingt die erneute Präsidentschaft Putins verhindern. Die “Weiße Revolution” blieb aber trotz großer Demonstrationen erfolglos.

2014 war ein schwarzes Jahr für die Liberalen. Der Westen entblößte sein wahres Gesicht gegenüber Russland und die russische Gesellschaft versammelte sich um Putin herum. Seine Beliebtheit stieg auf bis dato unbekannte Höhen von über 80% und bleibt bis zum heutigen Tag auf diesem hohen Niveau. Die Liberalen sind so unpopulär wie nie in Russland. Noch nie war ihre Gefahr für den Kreml so gering wie heute.

Die an den Rand der Gesellschaft abgedrängten Liberalen haben Ende Januar einen Marsch in Moskau angekündigt. Für den 1. März, also heute. Der Marsch “Vesna” (“Frühling”) wurde als DAS Großereignis der russischen Liberalen gefördert. Alle liberalen Leuchttürme haben sich dafür zusammengeschlossen, Nemzow war einer der Organisatoren.

Die Annahme, dass Putin Nemzow physisch beseitigen wollte, ist an sich völlig bescheuert. Selbst in Zeiten, als Nemzow mit seiner Aktivität für Putin echt gefährlich werden konnte, ist ihm nichts geschehen. Noch bescheuerter wäre es, Nemzow ermodern zu lassen, wo er politisch absolut ungefährlich geworden ist. Und noch dreifach bescheuert wäre es, Nemzow genau einen Tag vor einem liberalen Marsch erschießen zu lassen, bei dem Nemzow als Organisator fungiert.

Aber nichts ist den westlichen Medien bescheuert genug, wenn es darum geht, den Teufel in Putins Gestalt zu entlarven.

Wenn Sie glauben, das Maß der Bescheuertheit sei damit erreicht, irren Sie sich. Es wird noch toller. Der Marsch “Vesna” drohte zu einem Fiasko zu werden. Die Resonanz war schlecht. “Vesna” war auf dem besten Weg, ein Geschenk an Putin zu werden: Ein groß angekündigter Marsch der Liberalen, zu dem nur ein paar Tausend Leute erscheinen.

Der Zeitpunkt des Mordes gab den Veranstaltern genau einen vollen Tag, irgendwie auf die drohende Misere zu reagieren. Sie haben reagiert:

Вечером 27 февраля на Большом Москворецком мосту в Москве четырьмя выстрелами в спину был убит политик и один из организаторов марша «Весна» Борис Немцов. В связи с этой трагедией в Москве вместо марша «Весна» пройдет траурное шествие.

“Am Abend des 27. Februars wurde mit vier Schüssen in den Rücken einer der Organisatoren des Marsches “Vesna”, Boris Nemzow, ermordet. Im Zusammenhang mit dieser Tragödie wird in Moskau statt des Masches “Vesna” ein Trauerzug stattfinden.” (Die Ankündigung auf der Startseite des Marsches kann sich ändern und hat sich verändert. Das zitierte Statement ist vom 28. Februar. Für Verschwörungstheoretiker habe ich extra einen Screenshot gemacht, der gern bei mir angefragt werden kann, wenn sich die Startseite des Marsches wieder ändern sollte.)

Versetzen Sie sich in Putins Lage. Sie können zusehen, wie die liberale Opposition sich blamiert. Oder Sie können einen ihrer Anführer einen Tag vor der Blamage erschießen lassen, um zu sehen, wie die Blamage abgewendet wird und die “freie westliche Presse” eine neue Hetzkampagne gegen Sie startet.

Cui bono?

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2 Kommentare zu “Zum Mord an Nemzow
  1. rochusthal sagt:

    das argument, dass es ‘bescheuert wäre’, wenn putin nemzow hätte ermorden lassen, ist qualitativ auf derselben stufe wie das argument, dass putin nemzow habe ermorden lassen, weil er sein feind war. das was sie ‘dem westen’ vorwerfen, tun sie selbst. die frage cui bono?, davon abgesehen, dass sie das abgenutzteste marxistische vorurteilsmuster war, beantwortet ja nur, wem etwas nützt, und nicht, wer warum der täter war. die frage nach dem warum kann man ohnehin nicht beantworten.

  2. HELLMOOD sagt:

    “Die Annahme, dass Putin Nemzow physisch beseitigen wollte, ist an sich völlig bescheuert. Selbst in Zeiten, als Nemzow mit seiner Aktivität für Putin echt gefährlich werden konnte, ist ihm nichts geschehen. Noch bescheuerter wäre es, Nemzow ermodern zu lassen, wo er politisch absolut ungefährlich geworden ist. Und noch dreifach bescheuert wäre es, Nemzow genau einen Tag vor einem liberalen Marsch erschießen zu lassen, bei dem Nemzow als Organisator fungiert.”

    … und zum Vierten etwas zum Tatort, zu dem es im Milieu heisst:

    Kein Hund scheisst in die eigene Hütte!