Das ging schneller als gedacht. Die USA waren mit dem Rückzug der Truppen noch gar nicht fertig, da legte der afghanische Präsident schon sein Amt nieder und flüchtete ins Ausland.
Die Taliban marschierten ohne Widerstand in Kabul ein (wie auch fast überall sonst im Land) und übernehmen nun die Regierung. Die westlichen Demokratiebringer flüchten panikartig aus dem Land. USA, Deutschland und Frankreich haben die Botschaften evakuiert. Afghanen klammerten sich am Flughafen von Kabul an die US-Militärflugzeuge. Die Amis verlassen das Land in Schande. Wie damals in Saigon.
US-Präsident Biden sieht sich zu einer Rechtfertigung gezwungen. Hätte er doch lieber geschwiegen.
Was lernen wir aus dieser Geschichte?
- Alle Versprechen der USA, in Afghanistan Demokratie und Wohlstand aufbauen zu wollen, können mit einem Wisch rückwirkend für nichtig erklärt werden. In Wirklichkeit wollten sie dort nur Bin Laden jagen, den haben sie gekriegt, das Ziel des Krieges sei demnach erfüllt, so Biden.
- 20 Jahre lang (eine ganze Generation!) bildet die NATO eine Armee aus, die am Ende 300.000 (dreihunderttausend!) Mann zählt, aber den technisch weit unterlegenen Taliban praktisch keinen Widerstand leistet. Was ist die NATO wert? Was ist die Ausbildung der NATO wert? Eine Schande. Das ist auch keine Ausnahme. Die von der NATO ausgebildete und reichlich ausgestattete georgische Armee wurde von zahlenmäßig unterlegenen russischen Einheiten in zwei Tagen in die Flucht geschlagen. Die von der NATO ausgebildete und reichlichst ausgestattete saudische Armee ist an einer jemenitischen Bauernarmee gescheitert, trotz unterstützung der jemenitischen Regierung. Das Versagen der NATO hat System. Das einzige, was dieses Bündnis gut kann, ist bei dramatischer technischer Überlegenheit sämtliche Infrastuktur eines angegriffenen Landes auszulöschen.
- Die Taliban von heute sind grundlegend anders, als die Taliban von vor 20 Jahren. Sie haben aus ihren Fehlern gelernt und sich vom Steinzeit-Islamismus verabschiedet. Ihr neuer Kurs deutet auf einen mehr oder weniger modernen muslimischen Staat hin, wie er etwa im Iran gedeiht. Schulen für Mädchen, Arbeit für Frauen, Kopftuch statt Burka, keine Feindschaft mit den vielen in Afghanistan wohnhaften Ethnien, diplomatische Beziehungen zu allen Nachbarländern.
Putins diplomatischer Sondergesandter für Afghanistan Kabulow hat auch sehr Interessantes zu erzählen.
Russland verhandelt demnach schon seit sieben Jahren mit den Taliban. Im Ergebnis hat Russland im Gegensatz zu den westlichen Staaten keine Probleme in Afghanistan. Die russische Botschaft wird von den Taliban geschützt. Für die an Afghanistan grenzenden ehemaligen Sowjetrepubliken gibt es Sicherheitsgarantien und Kabulow betont, dass es aktuell keinen einzigen Anlass für eine Gefährdung dieser Garantien gibt. Die Taliban hält er für bessere Verhandlungspartner als die geflüchtete afghanische Regierung.
Warum waren die USA überhaupt in Afghanistan? Wegen der geopolitischen Lage. Aus Afghanistan heraus kann man Russland destabilisieren. Man kann China destabilisieren (die Uiguren, die durch die westliche Presse gejagt werden, sind ganz in der Nähe). Man kann Integrationsprojekte verhindern, die von Russland und China in Eurasien geplant und angestrebt werden. Und nebenbei haben die USA aus Afghanistan eine Drogenfabrik für die ganze Welt aufgebaut.
Der US-Knochen im Hals der asiatischen Integrationsprojekte ist jetzt weg. Zwei große Infrastrukturprojekte in Afghanistan sind bereits in Planung. Zum einen eine Gas-Pipeline von Turkmenistan nach Pakistan und Indien, zum anderen eine Eisenbahnlinie von China nach Iran.
Um genau solche Projekte zu verhindern, waren die USA dort. Und genau solche Projekte werden jetzt Fahrt aufnehmen.
Und warum sind die USA aus Afghanistan raus, wenn das doch so vorteilhaft für sie war? Weil sie den Dritten Weltkrieg verloren haben. 2016 konnte man bereits klar erkennen, wie sie eingeknickt sind, seitdem sind sie überall auf dem Rückzug. Der Rückzug aus Afghanistan reiht sich ein in eine lange Liste der Rückzüge. Beachten Sie, dass der Wechsel der US-Regierung das nicht verhindern konnte. Trump hat den Rückzug aus Afghanistan eingeleitet, Biden hat ihn zu Ende geführt. Keine Wende. Es kann keine Wende geben. Nicht so kurzfristig – und bei kurzfristig reden wir von einem Jahrzehnt.
Der Fall der USA wird weiter gehen. Irak und Syrien gehören zu den nächsten Ländern, in denen die USA ihre Präsenz werden aufgeben müssen. Und sogar das Überleben der NATO ist überhaupt nicht sicher. In diesen Tagen erleben wir sehr anschaulich, was die Schutzherrschaft der USA wert ist, wie sehr man sich auf ihre Ausbildung, ihre Militärtechnologien und ihren Schutz verlassen kann. Vergleichen Sie das mit Syrien oder Venezuela, die Moskau als Schutzpatron haben. Die Eliten überall auf der Welt sind nicht blind. Der Umbau der Welt geht weiter.
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