Tschüss INF, hallo neue Unsicherheit

Die USA haben den INF-Vertrag aufgekündigt. Noch mal zur Erinnerung:

Bereits 2007 hat die russische Militärführung dafür plädiert, aus dem Vertrag auszusteigen. Zum einen, weil zahlreiche andere Staaten solche Raketen entwickelten, zum anderen weil die USA Raketenabwehrsysteme in Osteuropa einzurichten begannen. Der damalige russische Verteidigungsminister Iwanow nannte den INF-Vertrag ein Relikt des Kalten Krieges und sagte, dass Russland Kurz- und Mittelstreckenraketen bräuchte. 2013 dann hat Russlands Präsident Putin offen ausgesprochen, dass der Vertrag schlecht für Russland ist. Es sei nicht klar, warum die Sowjetunion diesen Vertrag unterschrieben habe.

Wir haben also einen Vertrag, der schlecht für Russland, aber gut für Europa ist.

USA und Russland bedrohen sich durch Langstreckenraketen. Mit Kurz- und Mittelstreckenraketen bedrohen sich Russland und West-Europa. Wenn Trump also den INF-Vertrag aufkündigt, dann steigen die Spannungen in den Generalstäben der EU-Staaten. Umso mehr, als Trump deutlich macht, dass für den Schutz Europas durch die USA ab sofort eine Sondersteuer fällig wird.

Putin hat sich bereits gemeldet. Im Gespräch mit Lawrow und Schoigu haben alle drei ihre Rollen gehabt:

  • Lawrow durfte erläutern, wie die USA nach und nach einseitig aus vielen Verträgen ausgestiegen sind und wie sie bestehende Verträge verletzt haben. Und wie Russland sich über zwei Jahrzehnte hinweg immer wieder bemüht hat, Verhandlungen zum Erhalt der Verträge zu initiieren. Das tat Lawrow, damit niemand vergisst, wer Schuld an der ganzen Misere hat. Wenn die Europäer bald heulend angelaufen kommen, werden Lawrows Aussagen zitiert und die Kläger an die USA weitergeleitet.
  • Schoigu teilte mit, dass die russische Armee bereit ist, Kalibr in bodenbasierter Version sowie neue Mittelstrecken-Hyperschallraketen zu entwickeln. Ohne Budgetanpassungen! Interne Umstrukturierungen würden ausreichen. Zur Info: Die existierenden Kalibr verletzten den INF-Vertrag nicht, weil sie nur see- und luftbasiert eingesetzt werden. Aber es braucht keine Hochleistungen, um den Startkontainer, der auf Schiffen eingesetzt wird, auf der Erde oder auf einem Spezial-LKW zu montieren. Was die Hyperschallraketen angeht, hat Russland die luftbasierte Mittelstreckenrakete Kinschal und die bodenbasierte Langstreckenrakete Avangard. Beide Systeme werden in Serie gefertigt. Die Lücke zur bodenbasierten Mittelstreckenrakete zu schließen dürfte auch nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.
  • Putin gab folgende Anweisungen: Wir verhalten uns spiegelbildlich zu den USA; die USA steigen aus dem Vertrag aus, wir auch; die USA entwickeln bodenbasierte Mittelstreckenraketensysteme, wir tun das auch. Da unsere Verhandlungsangebote konsequent abgelehnt wurden, machen wir von jetzt an keine neuen Angebote mehr. Wir warten, “bis unsere Partner reif werden” (Zitat). Und wir setzen unsere neuen Systeme nicht in denjenigen Regionen ein, in denen auch die USA ihre bodengestützten Mittelstreckenraketen nicht einsetzen.

Letzteres ist ein Wink an die EU und an Japan. Die EU hat bereits bodenbasierte US-Systeme (Polen, Rumänien), von denen sich Mittelstreckenraketen ohne irgendwelche Modifikationen am System einsetzen lassen. Japan hat gerade erst beschlossen, es der EU in dieser Hinsicht gleich zu tun. Das bedeutet, dass Putins wohlwollende Regelung nicht auf EU und Japan anzuwenden ist.

Der Kater sprüht vor Begeisterung und erklärt, was es für die EU bedeutet (zusammenfassende sinngemäße Übersetzung):

Trump hat uns befreit und die Europäer sind jetzt in einer verdammt ausweglosen Lage. In JEDEM Szenario eines hypothetischen zukünftigen Krieges (und diese Szenarien liegen immer auf dem Tisch und müssen in jedem Fall berücksichtigt werden) wird die EU garantiert zerstört – egal wie der Krieg endet. Egal wer den hypothetischen Krieg beginnt, egal wer ihn gewinnt – der EU-Raum wird garantiert ausgelöscht. Im Falle eines zukünftigen Krieges hängt es nun allein von Russland ab, ob die EU überlebt oder stirbt. Deswegen muss die EU um jeden Preis dafür sorgen, dass Russland seine Atomwaffen nicht auf auf die EU richtet, und das geht nur, wenn die EU die bei sich stationierten US-Waffen hinauswirft. Wir sind in diesem Spiel die Guten und verteidigen uns nur, aber die EU wird im Falle des Falles auf jeden Fall und vor allen anderen verrecken. Dafür gibt es jetzt keine Schranken. Deswegen hat Putin auch gesagt: Keine Abrüstungsinitiativen mehr!

Das ist das große Schachspiel, dessen sich die wenigsten Menschen bewusst sind.

Man könnte meinen, dass die USA mit ihren Waffen aus der EU zu werfen nur eine Möglichkeit ist. Die andere könnte doch sein, mehr US-Waffen in die EU reinzuholen, um Russland Paroli zu bieten. Diese scheinbare Lösung hat zwei Probleme: Erstens führt sie dazu, dass Russland umso mehr eigene Raketen auf di EU richten wird, je mehr US-Raketen in der EU stationiert sind, was im Falle des Krieges zu einer umso gründlicheren Auslöschung der EU führen wird. Das eigentliche Problem würde also gar nicht gelöst werden. Zweitens würde diese “Lösung” bedeuten, dass die EU ihren gerade hart erarbeiteten Emanzipationskampf komplett aufgibt und sich Trump zu Füßen wirft und ihm alles Geld in den Rachen wirft, was er nur verlangt. Denn Trump verlangt schon für den jetzigen Zustand viel mehr Vasallensteuer von der EU, als diese bereits entrichtet. Was käme erst, wenn die USA plötzlich in der Rolle wären, die EU gegen neueste russische Raketensysteme schützen zu dürfen…

Tatsächlich ist die Dynamik im aktuellen Krieg schon so weit fortgeschritten, dass sich kein Scheideweg auftut. Es gibt nur einen Ausweg und es ist der gleiche wie bisher. Die EU muss sich von den USA frei machen. Die Auflösung des INF-Vertrags und die neue Sicherheitslage, die sich dadurch ergibt, sorgen nur dafür, dass die EU umso schneller den einzigen Ausweg nehmen muss und umso weniger Spielraum hat, auf diesem Weg eigene Forderungen zu stellen.

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