Gas-Schach

Erdöl lässt sich bequem in Fässer füllen und per Schiff transportieren. Damit kann Öl kostengünstig zwischen verschiedenen Kontinenten ausgetauscht werden.

Gas lässt sich nicht so einfach in Fässer füllen. Es ist technisch möglich und wird auch gemacht, aber dadurch wird Gas sehr teuer. Zu teuer im Vergleich zum Gas, der durch Pipelines gepumpt wird. Damit ist ein wirtschaftlicher Handel mit Gas nur auf Landwegen möglich, von kurzen Seepipelines mal abgesehen. Wirtschaftlich unmöglich ist beispielsweise eine Gaspipeline von Nordamerika nach Europa. Das ist ein großes Problem der US-Fracking-Industrie. Ihr Gas können sie nicht außerhalb des Kontinents exportieren.

Die große Weltbühne des Gas-Schachs ist die eurasische Landmasse. Auf ihr konzentrieren sich sowohl die weltgrößten Gasvorkommen (in Russland und im Nahen Osten) als auch die Mehrheit der Gasabnehmer, von denen die EU und China zu den wichtigsten gehören.

Von Russland führen Gaspipelines in die EU auf drei großen Wegen (Grafik im Link): Weissrussland, Ukraine, Nord Stream.

Mehr als 50% des Gastransfers von Russland in die EU verläuft in normalen Zeiten durch die Ukraine. Die Transitleitungen in Weissrussland und Nord Stream sind zwar nicht ausgelastet, könnten die ukrainischen Transitkapazitäten aber nicht kompensieren. Somit ist die Ukraine als Transitland derzeit nicht ersetzbar.

Hinsichtlich des Gases hat die Ukraine noch eine weitere Bedeutung. Das Land verfügt über riesige Gaslagerstätten, die als Puffer notwendig sind. Gas fließt aus einem Bohrloch sowohl im Sommer als auch im Winter mit konstanter Menge. Der Verbrauch dagegen ist im Winter viel höher als im Sommer. Es werden so viele Bohrlöcher wie notwendig gebohrt, um den Jahresbedarf an Gas zu decken. Einer Überschussproduktion im Sommer steht eine entsprechende Unterversorgung im Winter gegenüber. Ausgeglichen wird das über alte, leergepumpte Gasfelder, die als Zwischenspeicher benutzt werden. Die Ukraine verfügt über genau solche Zwischenspeicher, die auf anderen Transitwegen von Russland in die EU fehlen. Das steigert die Bedeutung der Ukraine als Transitland zusätzlich.

Da die Ukraine auch sonst von großem geopolitischem Interesse für die USA ist, will Russland schon seit langem Ukraines Bedeutung als Transitland reduzieren. Deswegen gibt es Nord Stream. Deswegen sollte es South Stream geben, eine Pipeline von Russland nach Bulgarien (und weiter nach Südeuropa) unter Umgehung der Ukraine.

Die USA sehen solche Diversifizierungsprozesse nicht gern, denn es erschwert ihnen die Kontrolle des Gashandels zwischen Russland und EU. Wenn es eine gigantische Transitleitung wie in der Ukraine gibt, muss man nur diese eine besetzen und hat schon den EU-Russland-Handel mit Gas im Griff.

Die USA haben im Zuge des Ukraine-Konflikts den Sohn von US-Vizepräsident Biden in Ukraines größtes Gasunternehmen geschmuggelt, direkt ins Direktorium. Außerdem ist die neue ukrainische Regierung dabei, die Kontrolle über die Transitleitungen an US-Investoren zu verkaufen.

1:0 für die USA also im Kampf gegen Russland (und die EU). Außerdem haben die USA South Stream erfolgreich sabotiert. Höhepunkt dieser Bemühungen: McCain ist in Begleitung weiterer Senatoren persönlich nach Bulgarien gereist und Tage später hat Bulgarien sich bei South Stream quer gestellt. Die EU hat in diesem Spiel mal wieder ihr diplomatisches Unvermögen unter Beweis gestellt und übte auch größtmöglichen Druck auf Gasprom aus, bis Russland sich entschied, South Stream fallen zu lassen.

2:0 für die USA im Kampf gegen Russland (und die EU)?

Es gibt ein großes ABER. Russland hat aus South Stream den Türkei-Stream gemacht (eine Erweiterung des Blue Stream). Exakt die Kapazität von South Stream wird in die Türkei und bis zur griechischen Grenze realisiert. Dort kann sich die EU das Gas abholen und durch eigene (nicht mehr von Gasprom gebaute und betriebene) Pipelines von Griechenland weiter durch die EU verteilen.

Außerdem enden die Verträge der Ukraine als Transitland 2019 und Russland hat angekündigt, diese Verträge nicht zu verlängern. Das ist logisch aus russischer Sicht. Die Bedeutung der Ukraine wird dadurch reduziert, das Vergnügen der USA, ein bedeutendes Transitland zwischen Russland und EU zu kontrollieren, währt nur wenige Jahre.

Noch ein Punkt ist zu bedenken. Russland hat 2014 gewaltige Gas-Verträge mit China abgeschlossen (eins, zwei). Der Transit kann in wenigen Jahren beginnen.

Fällt Ihnen etwas auf?

Ein paar Jahre noch fließen große Mengen russischen Gases durch die Ukraine in die EU. Dann wird dieser Hahn zugedreht. Russland entstehen dadurch keine Nachteile, denn zum gleichen Zeitpunkt kann die große Menge Gas, die durch die Ukraine in die EU geflossen wäre, in die frisch eingeweihten Transitleitungen nach China umgeleitet werden. Kein Handelseinbruch für Russland also. Wenn die EU bis dahin Pipelines nach Griechenland gezogen hat, kann Russland seine Gasexporte sogar enorm steigern. Russlands Position im Gas-Schach ist hervorragend. Die Exporte werden auf jeden Fall nicht weniger, vielleicht mehr. Außerdem hat Russland mit dem Türkei-Stream die Türkei aus der Einflusssphäre des Westens entfernt. Das allein ist sehr bedeutend, denn die Türkei ist die NATO-Speerspitze an Russlands Südflanke.

China gewinnt deutlich. Derzeit muss China viel Flüssiggas importieren. Das ist a) teuer und b) verwundbar, weil es auf Meeren verschifft wird, die von den USA kontrolliert werden. Gastransit aus Russland ist eine Verbesserung beider Punkte.

Für die USA ist es bestenfalls ein Nullsummenspiel. Sie haben einen Keil zwischen EU und Russland getrieben, was gut für sie ist. Sie haben damit aber auch eine weitere strategische Annäherung zwischen Russland und China befördert, was sehr schlecht für die USA ist.

Am schlechtesten geht die EU aus der derzeitigen Partie hervor. Sie glaubte sich als Global Player und übte starken Druck auf Russland aus. Russland hat reagiert, indem es sich einfach einen vollwertigen Ersatz für den EU-Markt geschaffen hat. Jetzt hat die EU keine Druckmittel mehr und muss sich mit dem Bau neuer Pipelinenetze beeilen, um die Reste des künftigen Festmahls zu bekommen. Selbst wenn Türkei-Stream voll in die EU exportiert, wird es nicht reichen, denn die Pufferspeicher der Ukraine sind damit nicht ersetzt und die EU wird im Winter teures Flüssiggas importieren müssen.

So weit die nördliche Seite des eurasischen Gas-Schachbretts. Einen wichtigen Posten gibt es noch im Süden, im Nahen Osten. Auf der arabischen Halbinsel befinden sich weitere massive Gaslagerstätten.

Der Wunsch der USA ist es, eine Gaspipeline von Saudi-Arabien in die EU zu ziehen. Deswegen wurde South Stream so konsequent sabotiert. Saudi-Arabien ist ein US-Vasall, der Gashandel der EU mit Saudi-Arabien wäre also unter der Kontrolle der USA. Die Gas-Trümpfe, die Russland im politischen Spiel mit der EU in der Hand hält, hätte die USA gern selbst in der Hand.

Der Plan der USA, South Stream durch Saudi-Arabien-Stream zu ersetzen, hat ein Problem: Syrien. Syrien liegt genau auf dem Weg der potentiellen Pipeline. Syrien steht aber nicht unter US-Kontrolle und ist politisch eng mit Russland verbunden. Sie ahnen vielleicht, warum Syrien in den letzten Jahren bluten musste.

Inzwischen ist klar, dass Assad nicht zu stürzen ist. Saudi-Arabien-Stream bleibt damit in weiter Ferne. Noch ärgerlicher für die USA ist, dass Russland die Türkei ins Boot holen konnte und die sabotierte South-Stream durch Türkei-Stream ersetzt hat. Eine akute Notwendigkeit für die Ersatzpipeline aus Saudi-Arabien entfällt damit und es wird den USA schwer fallen, die EU für dieses Wunschprojekt der USA zu mobilisieren. Türkei-Stream ist für die EU schlechter als South-Stream, allerdings besser als Saudi-Arabien-Stream. Und Syrien steht auch noch im Weg.

Bleibt noch ein Eckchen zu erwähnen. Die ehemaligen Sowjetrepubliken rund um das kaspische Meer und Iran, die eine Menge Gas aus dem Kaspischen Meer und der Region fördern. Die Nabucco-Pipeline, inzwischen ein geschlossenes Projekt, sollte ebenfalls eine Alternative zu South Stream bieten. Dieses Feld haben Russland und China besetzt, indem sie langfristige Kaufverträge mit den Förderländern rund um das Kaspische Meer abgeschlossen haben und praktisch deren gesamte Förderleistung für die kommenden Jahrzehnte schon aufgekauft haben, so dass für andere Interessenten nicht mehr viel zu holen ist.

Zusammenfassung und Fazit:

Gashandel ist nur auf der Landmasse wirtschaftlich, auf der es gefördert wird. Auf der eurasischen Landmasse gibt es große Gasvorkommen in Russland, dem Nahen Osten und den ehemaligen Sowjetrepubliken rund um das kaspische Meer. Ziel der USA war es, die EU vom russischen Gas zu trennen und die beiden anderen Förderregionen als Ersatz zu implementieren. Dadurch erklären sich deren Schachzüge der letzten fünfzehn Jahre:

  • Sabotage von South Stream
  • Kontrolle der Ukraine
  • Nabucco-Pipeline
  • Saudi-Arabien-EU-Pipeline

Russland hat die Pläne der USA durchkreuzt und sich zusätzlich eine Alternative für die bockige EU geschaffen.

Die EU hat keine eigenen Interessen erkennen lassen und ist gefügig den US-Interessen nachgegangen (Förderung von Nabucco, Sabotage von South Stream, allerlei Erschwernisse für Gasprom). Dafür stehen wir Europäer jetzt besonders dumm da, denn unsere günstige Energieversorgung ist jetzt mit einem großen Fragezeichen versehen und um das Fragezeichen auszuradieren, können wir nicht auf Augenhöhe verhandeln, sondern müssen auf Knien vorkriechen.

Außerdem wird der innere Druck in der EU weiter steigen. Deutschland hat sich in der insgesamt schlechten Lage eine gute Position gesichert, indem North Stream eine Direktzulieferung von russischem Gas erlaubt. Der ganze Süden Europas dagegen war auf South Stream eingestellt und darf jetzt zusehen, wie seine Gasversorgung bedroht ist. Das wird die ohnehin angespannte Beziehung zwischen Deutschland und Südeuropa nicht gerade verbessern.

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